Das Kreuz mit dem Minarett

Das in der Schweiz vom Volk beschlossene Minarett-Verbot ist illegitim. Nicht wegen der Religionsfreiheit, sondern weil ihm die Vorstellung zugrunde liegt, daß eine Mehrheit das Recht hätte, alles entscheiden zu können, und weil das Minarett-Verbot in dieser Form kein allgemeines Gesetz ist. Wenn die Herrschaft des Rechts aber bestehen soll, dann darf es keine uneingeschränkte Herrschaft der Mehrheit geben. Inhaltlich ist das Gesetz sowieso grober Unfug.

Auch wenn das Gesetz nach dem korrekten Verfahren zustandegekommen ist, ist es damit noch nicht legitim. Es ist noch nicht einmal demokratisch (was Aaron König, Beisitzer im Vorstand der Piratenpartei, als Lob für den Prozeß heranzieht, nebst einer kruden Gleichsetzung von Islam und Islamismus – zum Glück gibt es auch andere Piraten, die unter Demokratie nicht nur die Anwendung der Mehrheitsregel verstehen und auch sonst differenzieren können). Demokratie bedeutet eben nicht nur Herrschaft des Volkes, sondern auch Herrschaft des Rechts. (Das ist meine normative Argumentationsbasis – wo es eine Parlamentssouveränität wie in Großbritannien gibt, sieht es anders aus; auch die britische Demokratie würde ich mit den gleichen Mitteln kritisieren.)

Für die Zulässigkeit von Gebäuden ist das Baurecht (und nicht die Verfassung) zuständig; beim Baurecht wird die Abwägung von Rechten vorgenommen: Welche Traufhöhe ist hinzunehmen, bevor der ästhetische Gesamteindruck leidet, welche Beeinträchtigungen haben Nachbarn zu tragen, welche nicht (Schatten, Beobachtbarkeit durch Fenster, zulässige Lautstärken, Laufkundschaft durch gewerbliche Nutzung …), Bausicherheit, welche Gebiete werden für welche Nutzung als bebaubar ausgeschrieben und vieles mehr. Eine Entscheidung nach solchen Kriterien für Einzelfälle ist legitim – und kann je nach Situation anders ausfallen: Hier mag eine bestimmte Maximalhöhe für ein Minarett angebracht sein, dort mag ein Hundertwasserhaus nicht in den historischen Stadtkern gehören. Die kollektive Dimension der Religionsfreiheit privilegiert in solchen Situationen Bauten mit religiösem Ziel (und zur negativen Religionsfreiheit gehört nicht das Recht, von Religion im öffentlichen Raum unbehelligt zu bleiben); ansonsten sind sie aber genauso den allgemeinen Gesetzen unterworfen. Alles das regelt aus guten Gründen ein allgemeines Gesetz. Das Minarettverbot stellt ein illegitimes Gesetz dar, weil es kein allgemeines Gesetz ist. (Von einer Kritik, die nur kritisiert, daß das Ergebnis ja so nicht sein dürfe – kategorisch!–, halte ich daher nichts; Übergriffe der Staatsmacht sind, egal ob sie von »links« oder von »rechts« kommen, nicht zu dulden. Das Verfahren ist zu kritisieren!)

Gerne wird damit argumentiert, daß Minarette gar nicht nötig seien für die Religionsausübung. Das stimmt, tut aber nichts zur Sache: Diese Argumentation ist gefährlich. Damit wird allen Handlungen ein Begründungszwang auferlegt: Erlaubt ist dann nur das, was sich auch der Mehrheit als notwendig einsichtig machen läßt. Ein wesentlicher Aspekt von Rechtsstaatlichkeit ist aber gerade der Minderheitenschutz. Demokratie ist ja systembedingt nicht darauf ausgelegt, Minderheiten zu schützen: Die Mehrheitsregel ist ihrem Wesen nach erstmal im Wortsinn totalitär: Alles kann Gegenstand einer Mehrheitsentscheidung werden. (Deshalb ist der demokratischste aller Staatstheoretiker, Rousseau, auch der totalitärste.) Demokratie braucht deshalb Grenzen und Regeln. Es muß also völlig irrelevant sein, ob eine bestimmte Handlung der Mehrheit mißfällt – das Kriterium kann nur sein, ob andere in ihren Rechten eingeschränkt werden und ob diese Einschränkung nicht hingenommen werden muß.

Auch wenn die Notwendigkeit von Minaretten »objektiv« nicht gegeben ist, folgt daraus noch nicht, daß Minarette, deren Bau auf einer ästhetischen Entscheidung (oder der subjektiven Einschätzung, daß der Bau eben doch notwendig für die korrekte Glaubensausübung ist) beruht, legitim verboten werden dürfen.

Die Argumentation, daß Minarette ja gar nicht religiös geboten sind (gerne auch in der Form, daß man muslimische Gewährsmänner zitiert, die dieser Meinung sind), sagt den Betroffenen, daß ein speziell gegen sie gerichtetes Gesetz ja kein Problem ist, weil irgendjemand dekretiert hat, daß ihr Wunsch irrational sei. Das ist ein Übergriff der Politik in Bereiche, die sie nicht anzugehen hat. Die Immunisierungsstrategie dagegen ist die Betonung, daß es natürlich reine Symbolpolitik ist – aber daß es ja darum geht, eine Debatte zu führen über den Islam und europäische Werte. Bei Arlesheim reloaded spricht Manfred Messmer davon, daß in der Schweiz nicht nur ziellos debattiert wird, sondern diese Debatten auch Konsequenzen haben. Das ist ein hoher Wert. Das ist, was in Deutschland fehlt. Das ist die Chance von direkter Demokratie.

Hier schlägt man aber das Türmchen, wo man den extremistischen Islamisten meint, der die Scharia einführen will. (Die FAZ kommentiert treffend: »Aus der Mücke Minarett wird der Elefant Islamisierung«)Was nutzt es, wenn man alle Angehörige einer Gruppe vor den Kopf stößt? Die Entscheidung zieht eine klare Grenze: Wir Schweizer mit unserer Kultur, ihr Moslems mit eurer. Die gegen wir. Diese Strategie gibt die moderate Mehrheit der Muslime in die argumentative Geiselhaft der extremen Minderheit – wie soll man die Entscheidung anders auffassen als eine Entscheidung gegen den Islam? Wie alle Kollektivismen wird auch das der Komplexität der Welt nicht gerecht. Natürlich können Minarette als »kulturelle Landnahme« verstanden werden – ist eine Ghettoisierung des Islam dagegen eine Lösung? Alle Muslime in Hinterhofturnhallen zum Beten zu schicken, wo ihnen immer wieder deutlich gemacht wird, daß die islamistische Weltdeutung von der feindlichen nichtislamischen Welt so verkehrt nicht ist?

Ganz verquer wird es, wenn man wie Henryk M. Broder eine Symmetrie »der Verbote für Religionen im Orient und Okzident« fordert: Die verbieten unsere Kirchen, wir verbieten ihre Minarette. Richtig ist: Die heuchlerische Reaktionen aus arabischen Ländern, die rechtsstaatlich rückständig sind, entlarven genau deswegen die dortige Rechtskultur als chauvinistisch und illegitim, weil wir die glaubhafte Kritikfolie dagegen sind. Ein notwendiger ernsthafter Umgang mit der Frage nach den Grundwerten unter dem Vorzeichen der Zuwanderung von Menschen anderer Kulturkreise kann man kaum erreichen, wenn man sich nicht an der hiesigen Tradition der Aufklärung, sondern an der rückständige Rechtssituation von anderswo orientiert. In einem Kommentar der Welt wird das klar benannt:

Die Frage, die inzwischen ja alle europäischen Gesellschaften umtreibt, ist die nach dem richtigen Umgang mit einer wachsenden muslimischen Minderheit, nach den Grenzen der Toleranz gegenüber zuweilen rückschrittlicher Sitten.
[…]
[Das Minarettverbot nimmt] die tradierte, dem christlichen Kirchturm verwandte architektonische Geste wichtiger als das, was in der Mosche unter dem Minarett an Inhalten gelehrt wird. Und darauf kommt es am Ende an.

Mit der Beschäftigung mit Symbolpolitik wird man die drängenden Fragen nicht lösen können. Erst recht nicht, wenn man sich von rechtsstaatlichen Standards löst und illegitime Gesetze beschließt.

(Illegitimität ist nicht das einzige rechtsstaatliche Problem. Auch die Bestimmtheit fehlt: Hoffentlich findet sich bald ein Spaßvogel, der ein minarettartiges Türmchen baut, das kein Minarett ist. Oder eine muslimische Gemeinde, die ein historisches Gebäude kauft, das unter Denkmalschutz steht und ein Türmchen hat.)

Ergänzung, 1. Dezember 2009: Der beliebteste Einwand gegen meine These ist die, daß es keine Alternative zur Mehrheitsentscheidung gibt: Wie soll man auch über Grundsätze entscheiden, wenn nicht per Mehrheitsregel? Dazu eine Antwort in »Mehrheit und Wahrheit«.

15 Gedanken zu „Das Kreuz mit dem Minarett“

  1. Das vom Volk entschiedene Minarett-Verbot ist keineswegs illegitim. Jede Volksinitiative wird von der Bundesversammlung (= Nationalrat und Ständerat, also die grosse und kleine Kammer des Parlaments) genehmigt. In der Bundesverfassung heisst es dazu (Punkt 2)

    “Verletzt die Initiative die Einheit der Form, die Einheit der Materie oder zwingende Bestimmungen des Völkerrechts, so erklärt die Bundesversammlung sie für ganz oder teilweise ungültig.”

    http://www.admin.ch/ch/d/sr/101/a139.html

    Das ist nicht geschehen, zurecht nicht. Über illegitime Vorlagen wird in der Schweiz nicht abgestimmt.

    Was jetzt folgt, die Klagen vor höheren Instanzen nämlich, sind abzuwarten.

    1. Legitimität durch Beachtung des legitim festgelegten Verfahrens ist eine notwendige Dimension, aber keine hinreichende (andere Ansichten: viele Rechtspositivisten). Beim einschlägigen Verfassungsartikel fällt auf, daß außer dem Völkerrecht keine materielle Schranke für die Ungültigkeit festgesetzt wird. Zwar gibt es in der Schweizer Bundesverfassung rechtsstaatliche Schranken (Art. 36, Einschränkung von Grundrechten), die grundsätzliche Unantastbarkeit des Kerngehalts von Grundrechten schlägt sich aber nicht in Art. 139 nieder.

      Anscheinend legt man Art. 139 eng aus. Mein Verständnis von Legitimität beinhaltet, daß auch eine Volksabstimmung (die ja auch staatliches Handeln ist, da das Volk hier als staatliches Organ handelt und Staatsgewalt ausübt) die Bestimmungen und Schranken, denen staatliches Handeln unterliegt, einhalten muß. Die Schweizerische Praxis verhält sich zumindest in diesem Fall anders. Warum ich der Meinung bin, daß notwendige rechtsstaatliche Schranken nicht beachtet wurden, steht im Artikel.

      1. Danke, Felix Neumann, für den ersten vernünftigen Ruf in der Wüste, den ich bis jetzt zu dem Thema lese. Es ist schrecklich. Wo sind alle unsere Vorzeigeliberalen geblieben. Wo die Verteidiger des Rechtsstaats? Wo die Verteidiger der Grundrechte des Individuums? Leiden all die, die sich sonst immer auf Hayek berufen, unter Amnesie? ALLE Rechte sollen vollständig zur Disposition durch Mehrheitsentscheid stehen?
        Jetzt preisen sie alle plötzlich den Mobokratie-Aspekt der Demokratie. Wo läge der Unterschied, wenn in Deutschland per Volksentscheid über die Zulässigkeit des Synagogenbaus entschieden werden könnte? Ob jetzt oder 1933 spielt da keine Rolle. Auf das Ergebnis kommt es auch nicht an. Der eigentliche Skandal ist doch, daß so eine Frage überhaupt durch den Souverän entschieden werden kann-egal ob per Volksentscheid oder durch ein Parlament.

  2. Mal wieder ein sehr guter Artikel. Mal wieder ein Fauxpas eines wichtigen Piraten. Immer wieder dieselben Fehler. Gut dass Probleme bei den Piraten zumindest im Internet eine Plattform finden und thematisiert werden. So kriegt man hoffentlich diese Probleme schnellstmöglich in den Griff.

    Ti

  3. Wozu wurden und werden Minaretts von ihren Glaeubigen gebraucht?
    Als nicht-elektronische Lautsprecher von denen ihre Kleriker ihre Glaeubigen mehrmals am Tage zum Gebet aufrufen.
    Billige elektronische Armbanduhren haben diese oeffentlichen Erinnerungen auch fuer diese Leute ueberfluessig gemacht und auf Ruhestoerung, besonders fuer Andersglaeubige, reduziert, genauso wie die Kirchenglockender Christen, wenigstens fuer die Atheisten, Mohammedaner etc.
    Ein starker Sprecher kann von bis zu 20,000 Menschen gehoert werden.
    Keiner braucht sich eine solche Ruhestoerung gefallen zu lassen, noch dazu in einer anderen Sprache und wenn er nicht ein Anhaenger dieser Religion ist. Die Schweizer haetten also erklaeren sollen:
    Diese Gebaeude lassen wir zu, auch wenn sie nicht unserem Geschmack passen, weil ein Gebaeude nicht aggressiv ist, gegen wirkliche Rechte, aber wir lassen nicht zu ihren Gebrauch als altertuemliche Lautsprecher, es sei denn, sie wuerden nur errichtet in Plaetzen wo es Andersglaeubige nicht gibt, die ihre Ruhe haben wollen.
    Diejenigen, die meinen, diese Tuerme seien nicht schoen genug fuer sie oder am falschen Platz, verlangen ja auch nicht, dass alle haesslichen Menchen ihr Gesicht verschleiern.
    Toleranz fuer alle toleranten Leute!
    Intoleranz nur fuer alle intoleranten Handlungen.
    Der Panarchismus hat das zum System gemacht: Exterritoriale Autonomie fuer alle Gemeinschaften von Freiwilligen. Dafuer hat auch der Islam einige gute historische Beispiele gesetzt. Siehe z.B. http://www.panarchy.org

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