Natürlich auf der Höhe der Zeit?

Titelblatt der Ratio Studiorum von 1599
Die jesuitische Ratio Studiorum von 1599. (Gemeinfrei.)
Thomas Reese SJ hat im National Catholic Reporter einen differenzierten, wertschätzend-kritischen Blick auf das Erbe von Papst Benedikt geworfen. Kritisch ist er im Blick auf die sehr griechische Seite Joseph Ratzingers: Seine deduktive Methode, die von einem Wahren und Guten ausgeht und zwingend eins aus dem anderen folgert, und die zu seiner klaren Kante als Präfekt der Glaubenskongregation geführt hat. (Ich nenne diese Eigenart der ratzingerschen Theologie »griechisch« mit Blick auf Johann Baptist Metz’ Gegensatz von Athen und Jerusalem, mit dem Blick der griechischen Philosophie auf das zeitlose Wahre im Gegensatz zur jüdischen memoria passionis.)

Ein Absatz scheint mir für aktuelle kirchliche Debatten sehr relevant zu sein:

To explain the Christian message to people of the 21st century will require the same kind of creativity shown by Augustine and Aquinas. We cannot simply quote them; we must imitate them. Augustine took the best thought of his age, Neoplatonism, and used it to explain Christianity to his time. Aquinas took the rediscovered Aristotle to explain Christianity to his generation. Theologians must be free to do the same today. Remember, Aquinas had his books burned by the archbishop of Paris.

Das ist auch nach Benedikt sehr aktuell. Als gäbe es seit der Scholastik nichts neues, fragt Rom im die Familiensynode vorbereitenden Fragebogen »Welchen Raum nimmt der Begriff des Naturrechts in der weltlichen Kultur ein, sowohl auf institutioneller, erzieherischer und akademischer Ebene als auch in der Volkskultur?«. Erfreulich klar antwortet die deutsche Bischofskonferenz: »Der Begriff ›Naturrecht‹ ist in der Gesellschaft kaum bekannt. Er spielt auf institutioneller und erzieherischer Ebene sowie in der Alltagskultur praktisch keine Rolle. Auch in der akademischen Ethik- und Rechtsbegründung wird der Naturrechtsbegriff nur noch selten gebraucht.« Das ist eine sehr höfliche Formulierung. Der Naturrechtsbegriff wird zurecht – außerhalb der Rechtsphilosophie – spätestens seit der französischen Existenzphilosophie hochgradig kritisch gesehen. Aber eigentlich ist ein allzu forsches Propagieren einer »natürlichen« Ordnung als Grundlage von Werturteilen schon mit David Hume problematisch geworden; und gerade im 20. Jahrhundert ist das Rekurrieren auf »Natur« bei G.E. Moore und später bei Norbert Bischof doch hinreichend in Frage gestellt. (Auch die von Reese angesprochene Pariser Verurteilung Thomas von Aquins hatte mit dem Naturbegriff zu tun: Es durfte nicht sein, daß Thomas neben der allen Mitgliedern einer Art eigenen Artnatur eine Individualnatur propagierte, die einzelnen Exemplaren einer Art zukommen kann und durchaus zu von der Artnatur verschiedenen Ausprägungen führen kann; scharfsinnig hatte der Bischof von Paris erkannt, daß damit auch die Doktrin einer in sich »naturwidrigen« Ausübung von Sexualität zu fallen drohte.)

Wir argumentieren lehramtlich immer noch mit einem Naturbegriff, der »the best thought of [t]his age« ignoriert und Philosophie auf eine Schule und eine Methode verengt, und folgerichtig intellektuell immer weniger satisfaktionsfähig ist. (Reeses Orden, die Jesuiten, hatte sich in seiner wechselvollen Geschichte auch einmal – nicht nur einmal – einer derartigen intellektuellen Verengung unterworfen; in der Ratio Studiorum von 1599 wird skrupulös aufgeführt, wie Thomas und Aristoteles für die Ausbildung engzuführen seien.) Diese selbstverschuldeten geistigen Ghettoisierung wird dann mit einer arroganten Haltung gegen den »Zeitgeist« (die wiederum doch selbst nur die Konservierung des ultramontanen Zeitgeists des 19. Jahrhunderts und des Kulturkampfs ist) vertreten, die nach innen vielleicht die Wärme einer kleinen erleuchteten Herde heimelig hält, nach außen aber nicht prinzipienstark, sondern nur starrköpfig wirkt: Nur weil etwas Unzeitgemäß ist, ist es noch lange nicht überzeitlich – manchmal ist es einfach überholt.

Der immer wieder beklagte Mangel an katholischen intellektuellen Stimmen hängt bestimmt auch damit zusammen. Auf jeden Fall ist eine derartige Verengung auf eine philosophische Schule und eine Begründungsfigur nicht dienlich, wenn christliche Positionen in die Gesellschaft hinein getragen werden sollen. Reese hat recht: »To explain the Christian message to people of the 21st century will require the same kind of creativity shown by Augustine and Aquinas.«

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