Neuroreduktionismus

Winfried Hassemer in der FAZ über den Kategorienfehler, Strafrecht und (Neuro-)Biologie zu vermischen:

Der Kategorienfehler in den Neurowissenschaften besteht in der Annahme, empirisch arbeitende Wissenschaften könnten wissenschaftlich darüber befinden, ob andere Wissenschaften ein Konzept von Freiheit entwickeln dürfen oder nicht, also: ob es Freiheit „gibt“ oder nicht. Eine solche Annahme setzt eine Hegemonie unter Wissenschaften zwingend voraus, und diese Hegemonie gibt es nicht. Es gibt auch kein allgemeines Konzept von Freiheit, das über allen Wissenschaften schwebt, und es gibt schon gar keine Verfügungsmacht der empirischen Wissenschaften, gäbe es ein solches Konzept.

Ein schönes Plädoyer gegen einen normativen Reduktionismus, der glaubt, alles mit Methoden der Naturwissenschaft erklären zu können und so den naturalistischen Fehlschluß zur handlungsleitenden Maxime macht. (Und das ganze dann auch weder ontologisch noch erkenntnistheoretisch argumentierend, sondern aus dem Werkzeugkasten des Strafrechts heraus. Chapeau!) (via weissgarnix)

Thierse, blockier’se?

Als ich zum ersten Mal gelesen hatte, daß Wolfgang Thierse an einer Sitzblockade gegen die Nazidemo am 1. Mai teilgenommen hat, fand ich das gut. Je mehr ich darüber nachdenke, desto verzwickter scheint mir aber der Fall zu sein. Einfach nur einen strikten Rechtspositivismus gegen Thierse oder die guten Absichten aller für Thierse ins Feld zu führen, ist mir zu einfach.

Das Spannungsfeld, das diesen Fall so interessant macht, ist der Interessenskonflikt zwischen Thierse als Bürger und Thierse als Repräsentant eines Verfassungsorgans, auf die Spitze getrieben in der Frage: Ist ziviler Ungehorsam des Staates gegen sich selbst möglich, zulässig?
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Sex mit Tieren – Netzpolitik über Bande

Ist Sex mit Tieren in Hessen ein drängendes Problem? Für eine kleine Anfrage einiger hessischer CDU-Abgeordneter »betreffend Strafbarkeit von Zoophilie« (Drucksache 18/1744) hat es jedenfalls gereicht, und das Thema ist bizarr genug, um es in die Zeitung zu schaffen. Die Anfrage zeigt aber mehr als vorgebliche dringende Probleme in den Wahlkreisen: Um Zoophilie geht es eigentlich gar nicht. Mittels einer Politik des Ekels wird eine netzpolitische Agenda vorangetrieben.
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Mehrheit und Wahrheit

Die Kritik an meinem Artikel zum Minarettverbot, das ich für illegitim halte, hebt darauf ab, daß meiner zentrale These widersprochen wird:

Wenn die Herrschaft des Rechts aber bestehen soll, dann darf es keine uneingeschränkte Herrschaft der Mehrheit geben.

Widersprochen wird etwa bei Spreeblick, ab Kommentar 196:

Wer entscheidet denn, was Recht und Unrecht sein soll in einer Gesellschaft ausser deren Mehrheit?

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Die EU-Maultasche kolonialisiert die Lebenswelt

Die Schwäbische (Suppen-)Maultasche ist nun offiziell als regionale Spezialität unter den Schutz der EU gestellt. Die Presse feiert das einhellig, gemeinsam mit dem baden-württembergischen Landwirtschaftsministerium. Dabei ist der Sachverhalt hochproblematisch: Nicht nur der schwäbische Imperialismus, der überall mitklingt, auch eine zweifelhafte Ausweitung von künstlich geschaffenen Exklusivrechten und die Mentalität, die daraus spricht, sollte hinterfragt werden.
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Verbrechen, Strafe und Rechtsfrieden

In meinem letzten Artikel zu Polanski habe ich das Vorgehen der USA und der Schweiz als legitim bewertet mit einem Verweis auf Verfahrensgerechtigkeit und Gustav Radbruchs Rechtsphilosophie zwischen Rechtspositivismus und Naturrecht: Die Regeln, nach denen verfahren werden, sind legitim zustande gekommen, die Anwendung stellt keinen »Widerspruch unerträglichen Ausmaßes gegen die Gerechtigkeit« dar, damit ist die Auslieferung Polanskis legitim.

Eine andere Rechtfertigungsstrategie schlägt A. C. Grayling in der Times ein, der das Vorgehen mit der Schwere des Verbrechens rechtfertigt:

[I]t is right that the United States authorities are seeking to extradite him to serve his sentence for rape. Neither fame nor wealth, neither time nor distance, should render anyone immune to laws protecting against serious crimes against other human beings.

Im Fall Polanskis ist das meines Erachtens nicht die rechtsphilosophische Erwägung, die am schwersten wiegt.
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Aber er hat doch »Der Pianist« gedreht!

Als Sideshow-Bob der Prozeß gemacht wird, findet man auf seiner Brust »Die Bart, die!« eintätowiert:

Lawyer: But what about that tattoo on your chest? Doesn’t it say, “Die Bart, Die?”
Bob: [conciliatorily] No, that’s German for “The Bart, The.”
[The spectators laugh, understanding]
Officer: No one who speaks German could be an evil man.

So ähnlich kommen mir die Medien im Fall Roman Polanski auch vor: Niemand, der »Der Pianist« gedreht hat, kann ein schlechter Mensch sein. Bizarr finde ich, daß gerade Leute, die sonst für einen strikt rechtsstaatlichen Kurs stehen, plötzlich meinen, eine »Justizposse« diagnostizieren zu müssen. Aber er hat doch »Der Pianist« gedreht! weiterlesen