Zwei Sorten symbolische Freiheit

Quelle: CC-by-sa 3.0, Pappnaas666
Quelle: CC-by-sa 3.0, Pappnaas666

Martin Schulz hat wohl etwas gesagt. Was genau, ist so klar nicht. Irgendwas mit religiösen Symbolen im öffentlichen Raum, die da nicht sein sollen, nur: Den genauen Wortlaut finde ich nicht.

Was Schulz gesagt hat, kann ganz verschiedenes sein — und wie ich finde, etwas sehr vernünftiges oder etwas sehr dummes. Zwei Sorten symbolische Freiheit weiterlesen

Staat, Kirchen, Rechtsform?

In Baden-Württemberg sollen die Zeugen Jehovas nach Willen der Landesregierung nicht als Körperschaft des öffentlichen Rechts die Privilegien einer offiziell anerkannten und verfaßten Religionsgemeinschaft bekommen. Daß sie damit nicht steuerlich bessergestellt werden, daß sie keine Rundfunk-Sendezeit eingeräumt bekommen, daß sie nicht in Rundfunkräte kommen, ist mir durchaus sympathisch – Sympathie ist aber im Verhältnis zum Staat keine gute Richtschnur.

Die Begründung der Landesregierung jedenfalls zeigt, daß das Konstrukt KdÖR im Staatskirchenrecht (und die damit verbundenen Privilegien) als Organisationsform grundsätzlich problematisch ist.
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Deutschland unterm Kreuz

Aygül Özkan, designierte Sozialministerin in Niedersachsen, steht für einen säkularen freiheitlichen Staat auf dem Boden des Grundgesetzes. Ganz im Gegensatz zu ihrer Partei, der CDU. Ich hoffe, daß es Rückgrat und nicht Naivität ist, daß sie sich so offen gegen den CDU-Mainstream stellt, indem sie sich gegen religiöse Symbole in Klassenräumen ausspricht. Die Süddeutsche kommentiert sehr treffend: »Keiner konnte ahnen, dass die 38-jährige Aygül Özkan einen eigenen Kopf hat, den sie dummerweise auch noch einschaltet.«

Die lebhafte Debatte spült den gerechten Volkszorn der christdemokratischen Alpenayatollas und Deichmullahs nach oben. Geprägt ist die Position weiter Teile der CDU von einem völlig verfehlten Verständnis von Öffentlichkeit und Religionsfreiheit – aber auch einer Geringschätzung des Glutkerns des christlichen, eben Christus und seinem Tod am Kreuz.
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Ökologie? Der moderne Ersatz für Glauben

Klimawandel wird von einem britischen Gericht nun also wie eine Religion behandelt. Das fordert süffisante Kommentare geradezu heraus, und mit klammheimlicher Freude lese ich Überschriften wie »The Church of the Very Sad Polar Bears«.

So einfach ist es aber dann doch nicht. Klimawandel ist nicht zur Religion erklärt worden. Geprüft wurde, ob eine ökologische Einstellung analog zu Religion zu behandeln sei gemäß den britischen Employment Equality (Religion or Belief) Regulations. Die Entscheidung, den schwammigen Anwendungsbereich des Gesetzes (»›religion or belief‹ means any religion, religious belief, or similar philosophical belief.«) auf eine ökologische Grundhaltung auszudehnen, bringt Probleme mit sich – über die Probleme, die jeder Versuch einer gesetzlichen Regelung gegen Diskriminierung mit sich bringt.
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(k)no(w) god – Twitter-Theologie

Gestern durften wir einen neuen Evolutionssprung bei Twitter beobachten:

glad to see Twitter has moved from where we get our news to where we base our theology

Twitters trending topics wurden angeführt von »no god«. Dazu kam es, nachdem @RevRunWisdom einen Besinnungsspruch getwittert hatte: »Know God… Know Peace. No God.. No Peace!.« [sic!] Meine erste Reaktion war, das unter die beliebte Argumentationsfigur einzuordnen, daß es keine Moral ohne Gott gebe und damit den Sinnspruch als Kitsch zu verwerfen. (In einem anderen Artikel habe ich mich damit auseinandergesetzt.) Nach etwas längerem Nachdenken bin ich zu dem Schluß gekommen: Da steckt mehr dahinter.
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Moral ohne Gott? Anmerkungen zu Kolakowski

Unter dem Titel »Ich rechne nicht mit dem Tod Gottes« veröffentlicht die Welt postum ein Gespräch mit dem polnischen Philosophen Leszek Kolakowski, das Scipio zitiert. Kolakowski argumentiert ganz im Sinne Dostojewskis »Wenn es keinen Gott gibt, dann ist alles erlaubt.«. Er sieht Glauben als notwendig für die Moral an:

Was ist Menschwürde, wissenschaftlich gesehen? Aberglaube? Empirisch gesehen sind die Menschen ungleich.

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Der Buchstabe tötet

In der aktuellen FAZ (Nr. 194, S. 10) kommentiert G.H. unter dem possierlichen Titel »Mützenfanatismus« die Kopftuchdebatte: Sollen Lehrerinnen Kopftücher tragen dürfen? Für G.H. ist die Sache klar:

Wer aus religiösen Gründen staatliche Gesetze missachtet – ein Schnippchen schlagen wollen ist schon eine Form der Missachtung –, zeigt Anzeichen von Fanatismus und ist als staatlich besoldetes Vorbild für Kinder ungeeignet.

So einfach ist das. Im fraglichen Fall geht es um die Lehrerin, die statt eines Kopftuchs eine Mütze tragen wollte. Die praktischen Probleme eines säkular motivierten Mützenverbots sind schon kompliziert genug. Vom Grace-Kelly-Kopftuch über Baseballmützen zu Habit, Kippa und Perücke gibt es einen breitestmöglichen Graubereich, um nur die Kopfbedeckung anzusprechen (und nicht von Paris-Hilton-Kreuzen und Knasttätowierungen anzufangen).

Das eigentliche Problem ist der völlig naive Rechtspositivismus, der nicht einmal eine schiefe Ebene zugestehen will, sondern gleich den theokratischen Abgrund herbeibeschwört.

Ist es denn immer verkehrt, »aus religiösen Gründen staatliche Gesetze zu mißachten«? (Und ausdrücklich: im legitimen Rechtsstaat!) Schönbohm beschwört gerade die Rechristianisierung des Ostens, mit genuin staatstragender Motivation. Wer so etwas ernsthaft fordert, der muß auch mit dem subversiven Potential eines vom rechtlichen erstmal unabhängigen Systems klarkommen. Was würde der Kommentator zu Kirchenasyl sagen? Ist damit jeglicher ziviler Ungehorsam desavouiert? (Oder nur dann, wenn er religiös motiviert ist?)
Das Problem einer solchen kategorischen Sicht, die gleich alles unter einen Fanatismusverdacht stellt, ist ihr rechtspositivistischer Fanatismus: Dem Gesetz wird grundsätzlich eine umfassende Gültigkeit und eine umfassende Legitimität zugesprochen nicht nur im Kernbereich, sondern auch in seiner Peripherie; wo es Graubereiche gibt, werden die nicht zugunsten des in seiner Handlungsfreiheit Eingeschränkten ausgelegt, sondern möglichst maximiert. Das ignoriert, daß das Leben komplexer ist als das Recht. Das will eine umfassende Regelung, aus Angst davor, daß eine differenzierende Regelung nicht alles abdeckt, was potentiell unerwünscht sein kann.

Im Strafrecht gibt es das Analogieverbot: Was nicht explizit geregelt ist, darf nicht über andere Straftatbestände abgedeckt werden. Hier macht man es sich einfach: »Ich erkenne Pornographie, wenn ich sie sehe.« G.H. konstruiert gerade den Bereich der Religionsausübung (speziell der muslimischen?) als einen potentiell gefährlichen. In der Tat ist dieser Bereich heikel, weil offenkundig verschiedene Grundsätze des legitimen Rechtsstaats aufeinanderprallen. Die Konsequenz daraus sollte aber keine umfassende Daumenregel sein, sondern ein peinlichst befolgtes Bestimmtheitsgebot. G.H. schließt seinen Kommentar so:

»Wehret den Anfängen« ist guter rechtsstaatlicher Grundsatz.

Allerdings.

Mein Vater war ein Höhlenmann, und mir steckt's auch im Blut

Der Spiegel überrascht mit seinem Weihnachtstitelthema: Kreationismus. Etwas enttäuschend, wie ich finde. Bis jetzt tat sich eben diese Publikation immer mit zwar polemischen, dafür aber unfundierten Religionsthemen hervor, und plötzlich gibt’s keinen völlig undifferenzierten Rundumschlag mehr. Online liest man folgendes:

Doch ein allgemeines Unbehagen angesichts des Triumphzugs der Genome bleibt. Katholiken und Protestanten betonen gern die ethischen Probleme, die damit verbunden sind. Die Skepsis ist überall die Gleiche, denn es geht ans Eingemachte: Wenn alle Geheimnisse des Menschseins ausgeplaudert und in Datenlisten gespeichert und auf Reagenzgläser verteilt sind, dann ist Gott bald so überflüssig wie ein Schreiber mit Federkiel in einer High-Tech-Druckerei. Um die Welt der Biologen zu erklären, braucht ihn kein Mensch mehr.

Mit diesem seltsam zwischen Trotzdem-glauben-Wollen und Unfähigkeit, dem unreflektiertem Naturalismus etwas entgegenzusetzen, pendelndem Artikel wird der Sache ein Bärendienst geleistet. Und zwar nicht nur dem Glauben, sondern auch der Wissenschaft. Die Arkandisziplin Biologie wird verabsolutiert, der naturalistische Fehlschluß feiert fröhliche Urständ, der ontologische Vorrang der Seinsfrage ist auch nur hingeheideggert, und Wissenschaftstheorie hat ausgepoppert. (Wie es anders geht, zeigt der Jesuit Christian Kummer heuer in den Stimmen der Zeit.)

Sozialkapital

Daß Religion für den Zusammenhalt der Gesellschaft wichtig ist (neumodisch heißt das »spiritual capital«), galt lange als gesichert, und keine Sonntagsrede (auch meine nicht) kommt ohne den alten Böckenförde aus.

Im aktuellen Journal of Religion and Society allerdings wird versucht, diese These zu widerlegen. Cross-National Correlations of Quantifiable Societal Health with Popular Religiosity and Secularism in the Prosperous Democracies nennt Gregory S. Paul seinen Artikel.

Ohne die empirischen Daten überprüft zu haben, sehe ich da einiges Potential für Kritik:

  • Der Autor versteht mal wieder Kardinal Schönborn falsch, der eben nicht die Evolution anzweifelt und Redneck-Hillbilly-Kreationismus predigt, sondern nur das sagt, was selbstverständlich allen (?) Christen gemeinsames Glaubensgut ist: Gott hat die Welt erschaffen. Was danach technisch passierte und wie, darüber muß die Bibel gar keine Aussage machen. Deshalb alle Christen unter das pejorative Label »Kreationist« zu packen (cf. dort Fußnote 1), mag technisch zulässig sein, wirft aber ein eindeutiges Licht auf die Vorurteile des Autors – auch unter Christen ist der methodische Atheismus als notwendig akzeptierte Forschungsgrundlage unumstritten.
  • Im wesentlichen scheint es darum zu gehen, zu belegen, daß die USA eben nicht die leuchtende Stadt auf dem Hügel ist – ein ehrenwertes Ziel: man kann nur jeden darin bestätigen, der den Evangelikalen die Bigotterie vorhält, für die Todesstrafe (am besten noch bei Minderjährigen und geistig Behinderten), Abtreibungsgegner (am besten noch mit Anschlägen auf Abtreibungskliniken) und NRA-Mitglied zu sein. Den desolaten Zustand der amerikanischen Gesellschaft (den der Autor unter anderem mit Mord- und Selbstmordraten operationalisiert) aber auf die Religiosität dort zu beziehen, scheint mir bestenfalls gewagt. Es wird zwar selbstkritisch auf kompliziertere Funktionen verzichtet, um die Korrelation nachzuweisen, als Gegenprobe hätte man sich aber doch noch angeboten, die Sozialsysteme den Indikatoren für die desolate Gesellschaft gegenüberzustellen.
  • In armen und wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern gibt es stärkeren Glauben. Folgerung: Wer weniger gläubig ist, ist wirtschaftlich erfolgreicher. Der ursächliche Zusammenhang wird nicht bewiesen (daß die USA ohnehin ein Sonderfall ist, wird immer wieder betont). Wenn überhaupt, dann andersrum (eine Behauptung, die ich natürlich ebenso wenig hier belege): Je saturierter eine Gesellschaft ist, desto mehr verdrängt sie, daß nicht alles technisch lösbar ist. (Und desto hilfloser steht sie den menschlichen Konstanten gegenüber, die sie, da unbeherrschbar, verdrängt. Gibt es in den Entwicklungsländern Sterbehilfevereine?) Mt 19,23 ist eben mehr als Müntefering für Christen, sondern eine im Grunde traurige soziologische Wahrheit.