Nicht nur Rousseau

In der Zeit ist ein klug abwägender Kommentar von Jan Roß dazu, wie sich Bildungseliten herablassend über die ungebildete Masse äußern, und wie das gefährlich für die Gesellschaft und ihren Zusammenhalt ist. Der Autor differenziert, zeigt die Grenzen und Gefahren nicht durch Recht und individuelle Freiheit gebändigter Mehrheitsherrschaft auf, weist klar paternalistische Ansprüche auf Ausschlüsse als minderwertig (kulturell wie intellektuell) empfundener Gruppen aus dem partizipativen Prozeß zurück – und trotz allem Differenzieren fehlt mir doch etwas, weniger sachlich als auf der Ebene des Gefühls; mir ist da zuviel Einsatz für den Mehrheits-Aspekt der Demokratie und zu wenig Sympathie für den Freiheitsdrang Einzelner.
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Ein Volk

Alle beklagen sich über Schwarzrotgold. Immerhin: Die Fahnen überall sind Symbole. Symbole als Verweise machen eine Differenz klar: Sie stehen für etwas, das sie selbst nicht sind. Diese Unterscheidung geht bei einer anderen Sache verloren: Wenn’s um das Volk geht.

Anläßlich des bayerischen Volksentscheids zum Rauchverbot hört man viele Freunde des Volkes, allen voran Horst Seehofer: »Wenn das Volk entscheidet, hat es recht«. Sebastian Frankenberger, der Initiator des Volksentscheids, vertraut gar darauf, »daß das Volk immer zum richtigen Zeitpunkt die richtige Entscheidung trifft.« (Tagesschau vom 5. Juli, bei Minute 8.05)

Das ist die Gefahr, die in direkter Demokratie liegt: Daß plötzlich alles legitimierbar scheint. Daß die Entscheidung »des Volks« nicht als Summe von Einzelentscheidungen erkannt wird, sondern es scheint, als gäbe es den einen Willen eines Kollektivs, der wahr und richtig und gut ist, und der zu exekutieren ist.
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Wahrheit ist keine Kategorie des Politischen

Direkte Demokratie ist kein Anwendungsfall der »Weisheit der Massen«, auch wenn das immer wieder gerne ins Feld geführt wird, wenn für direkte Demokratie argumentiert wird. (Jüngst etwa in den Kommentaren zu David Pachalis auch ansonsten lesenswertem Artikel Medienhype ums Minarett.)

Der Argumentation liegt eine Fehleinschätzung zugrunde: Die Weisheit der Massen und Politik beschäftigen sich mit unterschiedlichen Arten von Urteilen: Hier Sachurteile, dort Werturteile.
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Das Kreuz mit dem Minarett

Das in der Schweiz vom Volk beschlossene Minarett-Verbot ist illegitim. Nicht wegen der Religionsfreiheit, sondern weil ihm die Vorstellung zugrunde liegt, daß eine Mehrheit das Recht hätte, alles entscheiden zu können, und weil das Minarett-Verbot in dieser Form kein allgemeines Gesetz ist. Wenn die Herrschaft des Rechts aber bestehen soll, dann darf es keine uneingeschränkte Herrschaft der Mehrheit geben. Inhaltlich ist das Gesetz sowieso grober Unfug.
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Kritik am Freiburger Uni-Rätesystem

Einige Semester habe ich mich in der Hochschulpolitik engagiert; bewußt immer nur als Mitglied der u-Fachschaft Philosophie, nie auf höherer Ebene: Mein Grundsatz ist, keine Ämter mit imperativem Mandat anzunehmen, und darauf baut das Freiburger alternative Hochschulpolitikmodell, das u-Modell, auf. Ein Kritikpapier, das dieser Tage im u-asta diskutiert wird, bestätigt mich darin.
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Le roi est mort

Vor anderthalb Jahren habe ich mich in diesem Medium recht desillusioniert über die Institution Bundespräsident ausgelassen. Diesen Artikel hat Herr Wasner von der Arbeitsgemeinschaft für katholische Medien- und Konzeptarbeit rzmedia heuer zitiert; ohne Angabe eines Datums.

Dazu stelle ich fest:

Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?

Die Amtsführung des geschätzten Herrn Köhlers hat wieder einmal gezeigt, daß gerade unser semimonarchistisches Staatsoberhaupt dieses halbabsolute Schweben über der Tagespolitik braucht, und vor allem, daß gerade so die scheinbar willigen Vollstrecker ihrer sie schöpfenden Meister wider den Stachel löcken können. (Und das sage ich nicht nur aus bekannten Gründen.)

Man stelle sich vor, stattdessen wäre irgendein parteiischer, womöglich gar tagespolitisch Involvierter, Staatsoberhaupt, wie es – notwendig! – der Bundestagspräsident ist! Nicht auszudenken. Autorität braucht Freiheit.

In Sachen Kinderwahlrecht (auch hier wurde mein – genau – anderthalb Jahre alter Artikel zitiert) gilt klar: Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.

Mehr noch: Rousseaus fast transzendente Sicht der Volkssouveränität muß heute einer säkularen weichen, so daß aus diesem Grund der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl nur quantitativ, nicht qualitativ begründet werden kann. Das Wahlrecht hat einen Mischcharakter; es changiert zwischen individualistischer (das Wahlrecht als Menschenrecht) und ganzheitlicher (das Wahlrecht als vom Staat gewährtes Privileg) Interpretation, wobei jedoch sowohl die historische Entwicklung als auch die Neuinterpretation der Volkssouveränität immer weiter die individualistische Sicht nahelegen. Beschränkungen des Wahlrechts müssen daher grundsätzlich individuell begründet werden und dürfen bestenfalls Ausnahmeerscheinungen sein.

Weiter: Ein demokratischer Staat muß die Reife seiner – aller! – Bürger annehmen und das Wahlrecht wirklich allgemein zur Verfügung stellen. »Die Anerkennung des einzelnen als Person ist die Grundlage aller Rechtsverhältnisse. Durch diese Anerkennung wird aber der einzelne Mitglied des Volkes in dessen subjektiver Qualität«, schreibt Jellinek, und »während Art. 3 I jede sachlich begründete Ungleichbehandlung zuläßt, liegt es gerade im Wesen der Demokratie, daß sie – wenigstens für das Wahlrecht – nur Staatsbürger kennt«, assistieren Maunz und Düring.

Drunt im roten Nordkorea: Juche!

Ich gebe es ja zu: Ich denke schon seit Monaten über eine schicke Kurzhaarfrisur nach. Nicht mehr nur meine Irland-Photos sind gewichtige Argumente dagegen, auch Nordkorea liefert Argumente: Kurzes Haar entspreche sozialistischer Manier, lange Haare wiesen antisozialistische Anhänger der Bourgeoisie aus. Ergo: Mähne als Bürgerpflicht für ordoliberale Citoyens jetzt!

(Rousseau möge mir die Vermengung von Bourgeois und Citoyen verzeihen.)