Aber er hat doch »Der Pianist« gedreht!

Als Sideshow-Bob der Prozeß gemacht wird, findet man auf seiner Brust »Die Bart, die!« eintätowiert:

Lawyer: But what about that tattoo on your chest? Doesn’t it say, “Die Bart, Die?”
Bob: [conciliatorily] No, that’s German for “The Bart, The.”
[The spectators laugh, understanding]
Officer: No one who speaks German could be an evil man.

So ähnlich kommen mir die Medien im Fall Roman Polanski auch vor: Niemand, der »Der Pianist« gedreht hat, kann ein schlechter Mensch sein. Bizarr finde ich, daß gerade Leute, die sonst für einen strikt rechtsstaatlichen Kurs stehen, plötzlich meinen, eine »Justizposse« diagnostizieren zu müssen. Zur Erinnerung, was passiert ist:

Bei einer Party verführt ein 44-jähriger Mann ein minderjähriges Model, ein Kind von 13 Jahren, mit Champagner und Drogen zum Sex. Der Mann wird wegen Vergewaltigung angeklagt. Er gesteht den Geschlechtsverkehr, flieht dann aber, ohne das Urteil abzuwarten, ins Ausland. Aus Angst vor Strafverfolgung kehrt er nie wieder zurück.

(Die Zusammenfassung kommt aus der Welt; überhaupt ein erfreulicher Kommentar, gerade wenn man das folgende sieht.)

Der sonst so verläßliche Transatlantiker Josef Joffe mokiert sich in der Zeit über die »Gnadenlosigkeit« der Schweiz, die nicht mit sich reden läßt und das Auslieferungsabkommen mit den USA nun doch noch zu erfüllen, nachdem das jahrelang ignoriert wurde. Der schmale Grat, auf dessen verschiedenen Seiten sich Zivilcourage, Whistleblowing und schlichtes Pflichtbewußtsein hier, Denunziation, Gnaden- und Mitleidslosigkeit dort befinden (und irgendwo am Horizont sieht man furchtbare Juristen und die Banalität des Bösen), wurde von einem »kleinen Beamten« nach Joffe in die falsche Richtung überschritten:

Wie immer wurde die große Causa von einem kleinen Beamten losgetreten, der pflichtbewusst beim Justizministerium nachgefragt hatte, wie man denn zu verfahren hätte, wenn Polanski zum Besuch des Zürcher Filmfestivals einreiste.

Ähnlich Heribert Prantl, der linksliberale Löwe der Süddeutschen, der hehre Kämpfer für das große »F« in »FDGO«. Schon im Aufmacher packt er das große Geschütz aus: Die Schweiz als Handlanger der USA, die Sorge um die faire Behandlung Polanskis. Ist es denn nicht fair, wenn man Leute, die vor der Urteilsverkündung fliehen, gerne wieder zurück hätte, um das rechtsstaatliche Verfahren auch rechtsstaatlich korrekt abzuschließen? Prantl sorgt sich um Ansehen und Vertrauen des internationalen Rechtssystems:

Das Vertrauen geht kaputt, weil der Prominenz des Verhafteten wegen bekannt wird, wie schludrig auf internationaler Ebene mit rechtsstaatlichen Grundsätzen umgegangen wird.

Schludrig war vor allem, daß es über 30 Jahre gedauert hat, bis jemand etwas dabei findet, daß sich da jemand seinem Verfahren entzogen hat. Und all die Krokodilstränen wegen des furchtbaren US-Rechtssystems! Auch dieses System kennt Prozeduren, um Fehlurteile zu korrigieren. (Zumal wenn der Verurteilte eher nicht auf Pflichtverteidiger angewiesen ist.) Schließlich der geschmacklose Hinweis auf das Opfer, das ihm verziehen hat. Die taz kommentiert angemessen:

Dazu passt, dass viele, die für den Regisseur Partei ergreifen, betonen, das Opfer […] habe ihm längst verziehen – ganz so, als sei ein sexueller Übergriff dieser Art Sache des Zivil- und nicht des Strafrechts.

Joffe und Prantl können noch so sehr eine Justizposse herschreiben: Selten gibt es einen so eindeutigen Fall. Gerade aus der kalten Sicht der Verfahrensgerechtigkeit. Natürlich gibt es Verfahren, die so eklatant ungerecht sind, daß man sich ihnen entziehen muß. Gustav Radbruch dazu in Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht:

Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als ‚unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat.

Möchte Prantl, möchte Joffe ernsthaft behaupten, daß im Fall Polanski das positive Recht (das kalifornische Recht, das eine Verjährung in diesem Fall ausschließt) einen Widerspruch unerträglichen Ausmaßes gegen die Gerechtigkeit erreicht? Was die Nichtverjährung ausgelöst hat, hat allein Polanski sich zuzuschreiben. Auch wenn er »Der Pianist« gedreht hat:

In any event, I look forward to more detailed explanations of who the Real Victim is here, and more fine-grained elaboration of the criteria — other than “marvelous dinner guest” — for being issued a Get Out of Child Rape Free card. (Crooked Timber)

(Auch lesenswert: Common Roman Polanski Defenses, Refuted und das Mädchenblog zum Thema. fefe schafft meine Kritik in deutlich unter 700 Wörtern, und wie sich die Bild verhält, gibt’s unter dem Titel »Vergewaltigung im nationalistischen Kontext« zu lesen – bitte inklusive der Kommentare.)

8 Gedanken zu „Aber er hat doch »Der Pianist« gedreht!“

  1. Ja, Ethik ist schon eine komplizierte Angelegenheit; da kann man als Filmfan kräftig durcheinander kommen. Recht, Gerechtigkeit, Rache, Vergebung, Zivil- und Strafrecht… Die ganze Diskussion erinnert mich an de unselige Debatte um Christian Klar – das war ähnlich nervig und ähnlich konfus. Und du hast recht: “aber sie hat ihm doch vergeben” ist auch meine Lieblingsblödheit.

  2. Es geht aber immer noch blöder: Heute in der Kommentarspalte der Lokalpresse gelesen, Polanski hätte es immer schwer gehabt. Mutter vergast, Frau ermordet, da müsse man doch endlich Gnade mit ihm zeigen!
    Für den abgewrackten Teenie dagegen, der eine schwere Körperverletzung im U-Bahnhof begeht, wollen die gleichen Kulturjuristen Schandpfahl und Lynchmob legalisieren, weil die softe Justiz ständig von Jugendstrafrecht und Resozialisierung faselt.

    Im Übrigen sollte man es ganz mit Karamasow halten: Wer das Recht will, muss die Gnade ablehnen.

    1. Wg. »es geht noch dümmer« empfehle ich nachdrücklich die Kommentare des letzten verlinkten Artikels, in denen Briefe von Herrn Wagner aus der Bild zitiert werden.

      Karamasow trifft sicher einen wunden Punkt. (Radikalisiert dadurch, daß er damit auch ein zentrales Dilemma der Gotteslehre benennt: Wie kann Gott allgütig und allgerecht zugleich sein?)

      Ich halte das aber für verkürzt: Das Recht kann notwendig nicht alle Fälle abdecken, selbst beim klügsten Richter und dem weisestmöglich genutzten Ermessensspielraum (nicht zu Unrecht ist für John Rawls der Gerichtsprozeß das Paradebeispiel für unvollkommene Verfahrensgerechtigkeit).

      Dennoch ist es ein elementarer Bestandteil der Verfahrensgerechtigkeit, daß eine rechtliche Lösung systemimmanent, also ohne einen Rekurs auf Gnade, herbeigeführt wird.

      Das schließt aber noch nicht aus, daß es Gnade gibt. Recht ist schließlich nur ein Subsystem, sei es der Gesellschaft, sei es der Gerechtigkeit. Der Charakter der Gnade ist gerade, daß sie unverdient (und damit ohne Rechts-Anspruch) und freiwillig ist – Gnade darf damit, wenn sie Gnade bleiben soll, nicht rechtssystemimmanent sein, sondern von einer dritten ((rechts-)system-transzendierenden) Stelle kommen: Das ist eine der ganz wenigen sinnvollen Dinge, für die man sich einen Monarchen halten kann.

      Zu diesem Thema gibt es übrigens in Lichtwolf Nr. 23 (S. 22ff.) einen Artikel von Augušt Maria Neander mit dem Titel »Wunderbarer Gnadenthron«, der das anhand der Fälle Filbinger und Christian Klar durchdekliniert.

  3. Es wird bei dieser Diskussion auch immer wieder vergessen, dass Polanski nicht nur diverse recht wertvolle Filme gedreht, sondern eben auch das Muscial zu Tanz der Vampire mitverschuldet hat.

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