Niebel? Entwicklung? Gar nicht mal so doof

Die kurioseste Personalie im neuen Kabinett ist Dirk Niebel als Minister im Entwicklungshilfeministerium (BMZ), das die FDP eigentlich (nach Beschlußlage von 2007) abschaffen wollte. Diese Entscheidung wird überwiegend kritisch bis entsetzt kommentiert (keine Links, Google genügt). Natürlich, ist ja die böse FDP.

Man kann die Personalie allein unter dem Machtaspekt diskutieren. Man kann die Personalie aber auch ernstnehmen: Als große Chance für die deutsche Entwicklungspolitik.

Am Ende waren Niebel übrig, der nach diesem Wahlergebnis als Generalsekretär einen Wunsch frei hatte, und Franz-Josef Jung hat zwar keine Freunde, aber bei Roland Koch was gut. An Ministerien waren Arbeit und Entwicklung zu vergeben. Arbeit wäre für den ehemaligen Arbeitsvermittler und Verwaltungswissenschaftler Niebel zwar ideal gewiesen, für diesen Posten war er aber wohl zu wirtschaftsliberal für die präsidiale mitfühlend-konservative Kanzlerin der Mitte; der Wechsel von Verteidigung zu Entwicklung hätte auch ein gewisses Hautgout gehabt. (Der eigentliche Skandal ist ohnehin Jung: selbst der Kanzlerin fällt auf der weiß Gott gut vorbereitbaren Pressekonferenz nichts Gutes zu ihm ein.)

Der FDP war es wichtig, daß im BMZ keine Neben-Außenpolitik betrieben wird, es ist also ganz rational, das mit einem Getreuen des Außenministers zu besetzen. Aber auch darüber hinaus: Entwicklungspolitik und FDP paßt besser als man denkt. Natürlich: Niebel hat keine Erfahrung. (Das hatten Walter Scheel, Jürgen Warnke, Carl-Dieter Spranger und selbst Erhard Eppler auch nicht.) Eine gesunde Distanz zu einem so emotionalen Politikfeld (»Entwicklungshilfe ist kein Job, den man ohne jede innere Anteilnahme verrichten sollte.«) kann kaum schaden.

Viel Spott zieht die Personalie Niebel auf sich wegen der Beschlußlage »BMZ abschaffen«; Niebel sei ein »suizidaler Minister« – aber eigentlich ist das Ziel der FDP ja sehr sympathisch:

Fernziel guter Entwicklungspolitik ist, sich durch ihren Erfolg selbst überflüssig zu machen. „Wohlstand für alle“ ist das Ziel, „Hilfe zur Selbsthilfe“ ist der Weg. Es gilt, die Armutsursachen zu bekämpfen und den Menschen ein Leben in Würde und Freiheit zu ermöglichen! (Leitlinien Liberaler Entwicklungspolitik)

Die Abschaffung des BMZ ist aber nicht deshalb Beschlußlage, weil man sich diesem Fernziel zu nah wähnt; es geht darum, die Aufsplitterung von Not- und Katastrophenhilfe auf Auswärtiges Amt und BMZ abzubauen und Entwicklungspolitik als Querschnittsaufgabe zu begreifen, die nicht nur im Auswärtigen Amt, sondern auch im Wirtschafts- und (das ist jetzt aber meine Interpretation:) Verteidigungsministerium angesiedelt sein sollte. Die umgekehrte Argumentation, daß Entwicklungspolitik nicht zerrieben werden soll als nur ein weiteres Aufgabengebiet in diesen Ministerien, ist allerdings ähnlich gewichtig; aber es gibt das BMZ ja noch.

Und dort gibt es einiges zu tun: Entwicklungpolitik ist ein emotional sehr belastetetes Thema, das kaum sachlich diskutiert werden kann. (Es reicht nur, die Reaktionen auf Niebel zu verfolgen, die immer nur den Vorschlag der Abschaffung des BMZ und manchmal noch die Millionen für China diskutieren, nie die durchaus vorhandene umfassende Position der FDP dazu. Aber das Unwerturteil »marktradikal« ersetzt ja die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung.) In letzter Zeit mehren sich die kritischen Stimmen, durchaus auch in unverdächtigen Medien: Der Deutschlandfunk berichtet über falsche Adressaten von Entwicklungspolitik (korrpute Regierungen statt Akteure an der Basis), SWR2 über chaotische Zustände bei Vorfeldorganisationen des BMZ wie der GTZ, der Tagesspiegel über emotionalisierte Schauveranstaltungen, afrikanische Entwicklungshilfekritiker werden interviewt – der Spiegel mit dem Kenianer James Shikwati, die Zeit mit der Sambierin Dambisa Moyo –, der Copenhagen Consensus wird von der ARD ernsthaft diskutiert, das Freiwilligenprogramm »weltwärts« wird von der Süddeutschen massiv kritisiert.

Die FDP kann all das angehen, gerade da sie so schmerzfrei ist, gerade da sie nicht durch und durch im postmateriellen, wohlmeinenden Milieu verwurzelt ist, kann Maßnahmen sachlich bewerten. Und allen Unkenrufen zu Trotz: Sie hat ein durchdachtes entwicklungspolitisches Konzept. Der Liberalismus ist – historisch gesehen – eine Bewegung gegen protektionistische Nationalchauvinismen; eine Bewegung wie die Anti-Corn-Law-Liga afrikanisch-europäischen Ausmaßes bräuchte es gerade heute. Die Ziele von Entwicklungspolitik sind liberal. Die gegenwärtigen Mittel sind es nicht. Das Wahlprogramm und die daraus abgeleiteten Antworten auf Wahlprüfsteine sind vielversprechend.

Liberale Entwicklungspolitik steht für eine konsequente Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips: Menschen dafür stark machen, selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen zu können und nicht auf Almosen angewiesen zu sein. Eckpfeiler, das zu erreichen, ist das typisch liberale Mißtrauen gegenüber Macht: Gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und die Garantie des Eigentums (statt staatlicher Willkür) werden eingefordert, Menschenrechtsschutz und die Verrechtlichung der Verfolgung von Menschenrechtsverfolgung als Querschnittsaufgabe festgelegt, existierende Programme sollen evaluiert, gebündelt und vorurteilesfrei weiterentwickelt werden. Hilfe muß nachhaltig Infrastruktur schaffen (wie etwa der Marshall-Plan) statt Bedürftigkeit. Besonders erfreulich ist es, daß die FDP einmal nicht als Klientelpartei auftritt, sondern tatsächlich marktfreundlich:

Die FDP tritt gegen jede Form von Protektionismus im internationalen Handel ein. Dazu gehören gesetzliche oder politische Aufforderungen, nationale Produkte zu kaufen, den Wettbewerb verzerrende Beihilfen sowie alle Formen der Abschottung von Märkten. (Deutschlandprogramm, S. 72)

Programmatisch hat die FDP die Chance, eine wirkliche Verbesserung in der Entwicklungspolitik zu erreichen; der Koalitionsvertrag entspricht in den entsprechenden Punkten auch sehr umfassend den FDP-Plänen. Freilich: Zu einer wirklich liberalen Entwicklungspolitik fehlt noch die Kritik an Pharma-, Bio- und insbesondere Saatgutpatenten und überhaupt an »geistigem Eigentum« – das ist aber von der FDP zur Zeit auf keinem Gebiet zu erhoffen. Und schließlich ist es eine Kärrnerarbeit, wirksame Entwicklungspolitik durchzusetzen, gerade gegen eine CSU-Agrarministerin (und wohl auch gegen den Kammerzwangfreund und Weinprotektionisten Brüderle): Millionenschwere Almosen bringen eine bessere Presse als ein Ende des europäischen Landwirtschaftsprotektionismus.

Vielleicht braucht es dazu einen schmerzfreien Haudrauf wie Dirk Niebel.

5 Gedanken zu „Niebel? Entwicklung? Gar nicht mal so doof“

  1. Hallo Felix,

    ich finde Deinen Beitrag sehr gut! Allerdings möchte ich behaupten, dass die Ansätze, die Du oben als die der FDP nennst, durchaus schon praktiziert bzw. eingeführt werden in der EZ. Nicht mehr “Wir geben Geld und schicken Leute hin, die das machen!” sondern es gibt schon viele PPPs (Public-Private Partnerships), die auf die Eigenständigkeit der Leute vor Ort abzielt.
    Ein spannender Schritt ist es allemal, Dirk Niebel auf diesen Posten zu setzen. Ich hoffe, ich bekomm ihn noch “aktiv” mit…

    Grüßle aus Bonn
    Gabi

    1. Revolutionär ist sicher nicht, was die FDP in ihrem Programm stehen hat. Ich sehe aber die Chance, daß einige Fehlentwicklungen jetzt vorurteilsfreier angegangen werden können und nötige Reformen, die bisher nicht durchgezogen werden konnten, einen neuen Schub bekommen. Sehr interessant fand ich dazu den SWR2-Podcast, den ich auch im Artikel verlinkt habe: Brücken ins Nichts – Wie deutsche Entwicklungspolitik ihr Ziel verfehlt.

  2. Wenn ich deinen Blog so lese wird mir die FDP für einen kurzen Moment sogar immer wieder sympathisch. Interessante Zusammenfassung. Hoffen wir darauf, dass es tatsächlich dabei bleibt “… daß die FDP einmal nicht als Klientelpartei auftritt, sondern tatsächlich marktfreundlich” 😉

    lg
    Daniel

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