Mehrheit und Wahrheit

Die Kritik an meinem Artikel zum Minarettverbot, das ich für illegitim halte, hebt darauf ab, daß meiner zentrale These widersprochen wird:

Wenn die Herrschaft des Rechts aber bestehen soll, dann darf es keine uneingeschränkte Herrschaft der Mehrheit geben.

Widersprochen wird etwa bei Spreeblick, ab Kommentar 196:

Wer entscheidet denn, was Recht und Unrecht sein soll in einer Gesellschaft ausser deren Mehrheit?


Meine These baut auf einem normativen Begriff der Demokratie auf (das hat gute Tradition; schon bei Aristoteles und Polybios wurde die rechtmäßige Herrschaft der Mehrheit von der Herrschaft des Mobs unterschieden). Demokratie ist demzufolge mehr als die Anwendung der Mehrheitsregel. Es genügt also nicht, wenn jedem Individuum ein gleiches Stimmrecht zugeteilt wird. Demokratie heißt auch, daß es Grundrechte gibt, Bereiche, die der Verfügung der Staatsgewalt, der Mehrheit, überhaupt anderer entzogen sind.

Institutionell wird das gesichert über eine Grundrechtsverpflichtung allen staatlichen Handelns, die Gewaltenteilung, die Rechtsstaatlichkeit. Wo das nicht vorliegt, herrscht keine Demokratie. Staatliche Verfahren, die nicht der rechtsstaatlichen Kontrolle unterliegen, sind nicht demokratisch. (Das macht gerade das Schweizer Verfahren fragwürdig.)

Der Einwand ist dann: Wenn die Mehrheit nicht entscheidet – wer entscheidet dann, was legitim ist?

Am einfachsten nähert man sich diesem Einwand ex negativo, indem man sich Fragen stellt:

  • Darf die Mehrheit entscheiden, daß die Todesstrafe eingeführt wird?
  • Darf die Mehrheit entscheiden, daß eine bestimmte Person getötet wird?
  • Darf die Mehrheit entscheiden, daß ich getötet werde?

Intuitiv wird so deutlich, daß die Mehrheitsregel Grenzen kennen muß, wenn man von Rechtmäßigkeit sprechen möchte. (Mit Kant könnte man hier fragen: Kann man wollen, daß das möglich ist?) Die Frage bleibt, was die Rechtsquelle dafür ist. Das kann ein Menschenbild sein: Eines, das von einer unveräußerlichen Würde ausgeht oder eines, das von Selbsteigentum ausgeht. Das kann etwas Transzendentes sein: Die Natur, die Vernunft, Gott. Eine Mehrheitsentscheidung (und selbst Konsens) ist nur eine weitere Rechtsquelle, die gegenüber anderen nicht privilegiert ist.

Das Problem ist natürlich offensichtlich: Da keine der genannten Rechtsquellen als richtig bewiesen werden kann (nicht einmal falsifiziert!), braucht es eine Meta-Rechtsquelle, die ein Kriterium bereitstellt, nach der sich entscheiden läßt, welche Rechtsquelle zu verwenden ist. Und schon befindet man sich in einem infiniten Regreß, einer Endlosschleife der Begründungen.

Die Mehrheitsregel ist also nicht die Lösung des Problems (weil sie die Wahrheit der Rechtsquelle Mehrheitsentscheid voraussetzt, also gerade das, was sie zu beweisen versucht), sie steht vielmehr gleichberechtigt neben den anderen Rechtsquellen. (Wer das bezweifelt, möge sich noch einmal die Kontrollfragen oben stellen.)

Die Mehrheitsregel allein ist sogar – intuitiv – anderen Rechtsquellen unterlegen, wie die intuitive Antwort auf die Frage »Kann man wollen, daß alles per Mehrheitsentscheid entschieden wird?« zeigt. Die Alternative ist nämlich nicht undemokratisch, sondern eine Grundrechtsbindung der Mehrheitsentscheidung. Darum geht es – und nicht darum, Volksentscheide nach »gefällt mir« und »Entscheidung blöd« zu unterscheiden.

(Daß es eine dem positiven Recht, also dem Recht, das nach einem legalen Verfahren zustande gekommen ist, vorgelagerte Rechtsquelle gibt, ist zwar insbesondere im Rechtspositivismus nicht anerkannt, dürfte aber spätestens nach 1945 und nach Gustav Radbruch als herrschende Meinung angesehen werden.)

20 Gedanken zu „Mehrheit und Wahrheit“

  1. Von mir volle Zustimmung zu deiner Position Felix. Die These ist aber zugegebenermaßen nicht ganz ganz einfach – insbesondere da Demokratie im Allgemeinverständnis oft auf die “Herrschaft der Mehrheit” reduziert wird.

  2. Ich finde diesen Gedankengang gut nachvollziehbar. Es heißt nicht umsonst “Alle macht geht vom Volk aus” und nicht “Alle Macht hat das Volk!” Der Unterschied dieser Sätze macht deutlich, dass für ein funktionierenden Rechtsstaat weitere Grundsätze notwendig sind, welche Entscheidungen des Volkes in einem bestimmten (zu bestimmenden) Rahmen halten.

    1. Ich muss insofern hier doch einen kleinen Rückzieher zu meiner ersten Zustimmung machen (war so begeistert über die Dichte des ersten Minarett Beitrags), als mir hier der entscheidende Satz “Die Alternative ist nämlich nicht undemokratisch, sondern eine Grundrechtsbindung der Mehrheitsentscheidung.” etwas zu unkommentiert dasteht: schon, aber woher kommt die Grundrechtsbindung? Für mich geht es um den Stufenbau der Rechtsordnung, in der letztlich wiederum (besonders qualifizierte, aber doch) Verfahren der Mehrheitsfindung eine Rolle spielen müssen. Wesentlich scheint mir, dass eine Auseinandersetzung mit der Grundrechtsgesetzgebung gesondert von Einzelfällen stattzufinden sollte. Man daher auch nicht die Tagesgesetzgebung die Verfassung durchbrechen lassen darf. Warum? Aus purem Interesse am Schutz vor uns selbst – und somit wiederum weil wir uns aus freien Stücken (mehrheitlich) zu so einer Vorgangsweise entschliessen.

      Ich tendiere trotzdem dazu der Radbruchschen Formel zuzustimmen, sofern man dieser einen nur extrem stark eingeschränkten Anwendungsbereich gibt. Sie kann sicher nicht mehr die Ausgestaltung von zB Grundrechten im Einzelnen betreffen.

      Insofern tu ich mir mit dem Satz der “gleichberechtigt neben den anderen Rechtsquellen” stehenden Mehrheitsentscheids wiederum schwer… ja im Extremfall, davon abgesehen eher nein…

      1. Klar, Deine Kritik trifft natürlich zu, weil ich hier sehr rechtstheoretisch argumentiere. Gleichberechtigt neben anderen Rechtsquellen steht der Mehrheitsentscheid tatsächlich nur dann, wenn es um Rechtsquellen geht – also die Letztbegründung.

        Sobald man sich auf Grundrechte (wie auch immer begründet) als sinnvolle Verfahrensgrundlage geeinigt hat, ist natürlich die Mehrheitsregel das geeignetste (wenn nicht das einzig sinnvolle) Instrument, um zu Entscheidungen zu kommen.

  3. Eine Mehrheit wird aus Selbstschutz immer einen Minderheitenschutz einführen, da jeder irgendwann mal in der Minderheit sein wird. Von daher lösen sich die vermeintlichen Probleme des “wütenden Mobs” in Luft auf.
    Oder wie Oma immer gesagt hat: Was du nicht willst, das man dir tu, das füge keinem anderen zu!

    1. Ich bin nicht sicher, ob diese Hoffnung stimmt. Denn jede Mehrheit sieht sich (vorerst) niemals in der Lage einer Minderheit.

      Es ist ja oben gut beschrieben, warum Demokratie nicht einfach auf jene Form von Basisabstimmungen reduzierbar sein sollte, die an manchen Stellen gerade so heftig gefordert wird. Nicht zuletzt bleibt auch die berechtigte Befürchtung, dass am Ende zu oft derjenige eine (Basis-. Volks-) Abstimmung gewinnt, der am meisten Geld in die vorhergehende Propaganda investieren konnte.

      1. Ich kann das nicht im Detail ausführen, ich glaube aber, daß man dem zu guten Teilen über unveränderliche Verfassungsgrundsätze gerecht werden kann:
        (a) staatliche Regeln (auch die vom Volk direkt bestimmten) müssen immer sehr generelle Regelungen sein, wenn sie etwa zwischen Sakralbauten der einen oder anderen Religionsgemeinschaft unterscheiden, sind sie entweder zu generalisieren oder wären rechtswidrig und würden damit vom Gericht kassiert. Hier könnte man sich vielleicht am kantschen kategorischen Imperativ orientieren.
        (b) solche Regelungen dürfen sich nur auf objektiv nachvollziehbare, justitiable, Tatsachen stützen – andernfalls wären sie Unrecht.
        (c) Abstimmungen über Einzelfälle sind nur da zulässig, wo es um konkrete Handlungsoptionen im Spektrum ohnehin bereits bestehender konkreter Handlungsoptionen des Staates geht, etwa Bahnprivatisierung, Aufgabe einer Kaserne oder Veränderung einer Grenzlinie. Solche Entscheidung mögne zwar dauerhafte Wirkungen erzeugen, sind aber dadurch, daß sie getroffen wurden, quasi “verbraucht” und müssen danach nicht mehr weiter angewandt werden – anders etwa als Steuerregelungen oder Bauvorschriften, die weiter gelten.

    2. Das würde unter den Bedingungen vollständiger Rationalität zutreffen. Daß es in der Praxis nicht zutrifft, zeigt etwa das Schweizer Modell, das gerade keinen Minderheitenschutz eingebaut hat, oder politische Systeme, die die volle Parlamentssouveränität kennen (Großbritannien, wobei das mit EU-Beitritt nicht mehr uneingeschränkt gilt).

      Im Fall der Schweiz kommt dazu, daß die totale direkte Demokratie zur Geschichte und zum nationalen Selbstverständnis gehört. Sehr schön ist in dem Kontext die Debatte über die Parlamentarische Initiative »Gültigkeit von Volksinitiativen« vom Frühjahr, wo mit einem Grundrechtsschutz dafür argumentiert wird, während dagegen damit argumentiert wird, daß das Volk so entmündigt werde. Sehr eindrücklich das Plädoyer von Nationalrat Hans Vehr (SVP):

      Bisher war die Sache klar. Eine Volksinitiative ist oder war dann ungültig, wenn sie zwingendes Völkerrecht oder die Einheit der Materie verletzt. Neu […] wird auch eine Ungültigerklärung möglich, wenn gegen den sogenannten Grundrechtsschutz verstossen wird – dann erklärt man natürlich alles zu Grundrechten – oder aber wenn gegen völkerrechtliche Verfahrensgarantien verstossen wird. […] Sie machen die Demokratie […] kaputt. Das ist letztlich Totengräberei an der direkten Demokratie.
      Ich bringe es auf den Punkt: Weil das Schweizervolk immer das letzte Wort haben muss – ohne Wenn und Aber, bei allen wichtigen Vorlagen -, bitte ich Sie, […] Nein zu sagen.

      1. Aber schau doch mal die Realtität an. Die Schweiz ist eines der liberalsten Länder der Welt. Dort herrscht eine Ausländerquote von ~22%. In Grosstädten wie Zürich und Genf sogar bis zu 40%. Hinzu kommen noch Schweizer Bürger mit Migrationshintergrund. Die Wirklichkeit zeigt, dass die Schweiz nicht nur Deutschland meilenweit vorraus ist, was das interkulturelle Zusammenleben betrifft (Sicherheit, Integration, …). Ein Berlin wäre gottfroh über auch nur annähernd ähnliche Erfolge. Wieso bekommt es dort die parlementarische Demokratie nicht hin?

        Von daher stimmt die Aussage schlicht nicht, dass das Schweizer Modell (direkte Demokratie) in der Praxis beim Minderheitenschutz o.ä. nicht taugt. Das Gegenteil ist in der Realität der Fall und das kann man nicht leugnen.

        1. Ja, die Schweiz ist eines der liberalsten Ländern der Welt mit einer extrem hohen Lebensqualität – Deiner Sicht auf die Schweiz kann ich nur zustimmen.

          Das liegt auch bestimmt am politischen System, das großen Wert auf Subsidiarität und Föderalismus legt.

          Was nicht geleugnet werden kann, ist, daß das Schweizer direktdemokratische Modell keinen Minderheitenschutz kennt. (Das steht so in Art. 139 der Bundesverfassung.)

          Die direktdemokratische Praxis zeigt auch, daß immer wieder Grundrechte verletzt werden. Sei es bei der Religionsfreiheit (das Minarettverbot, bis 1973 war der Jesuitenorden verboten und die Errichtung von Köstern), sei es bei Frauenrechten (Frauenwahlrecht erst 1973 bundesweit, in Appenzell-Innerrhoden sogar erst 1990 – und nicht durch Volksabstimmung, sondern weil ein Gericht die Regelung kippte).

          Deine Argumentation ist dann stichhaltig, wenn man an politische Prozesse nicht den Maßstab von Grundrechtsschutz legt, sondern utilitaristische: Dann sind das eben Kollateralschäden, die zu akzeptieren sind, weil netto die »bessere Gesellschaft« herauskommt.

          1. Der letzte Absatz trifft es denke ich recht gut, wobei ich dir nicht zustimme, dass das Minerettverbot juristisch gesehen die Religionsfreiheit beschneidet. Den Gleichheitsgrundsatz okay, aber die Religionsfreiheit … hmm. Das gilt es denke ich zu klären.

            1. Die Beschränkung zielt explizit darauf ab, eine religiös motivierte Handlung zu beschränken. (Selbst wenn die Behauptung stimmen würde, daß Islam=Islamismus und Minarette Machtdemonstrationen sind und Teil der Strategie der Islamisierung des Abendlandes sind: Auch das ist religiös motiviert.) Religionsfreiheit hat auch eine kollektive und eine öffentliche Dimension: Religion darf nicht nur privat betrieben werden, sie darf auch öffentlich und in organisierter Gemeinschaft gelebt und gezeigt werden. Wenn eine muslimische Gemeinde entscheidet, daß dazu ein Minarett gehört, dann gehört das zu ihrer Religionsausübung. (Ich bin da freilich auch geprägt von der sehr weitreichenden Auslegung der Religionsfreiheit, wie sie im deutschen Staatskirchenrecht seit der Lumpensammler-Entscheidung vertreten wird.)

              Ich kritisiere auch nicht generell, daß Religionsfreiheit beschränkt wird. Grundrechte haben Schranken, spätestens, wenn sie mit anderen in Konflikt kommen. Ich kritisiere, daß im Schweizer System Grundrechte unkontrolliert beschränkt werden können.

              1. Nein, nichts wird “unkontolliert” beschränkt. Die Kontrolle geht viel weiter als in Deutschland. Denn in der Schweiz prüft erst das Parlament und dann das Volk. In Deutschland hätte die grosse Koalition mit einer 2/3 Mehrheit mal kurz das Grundgesetz ändern können – ohne dass das Volk irgendwas hätte tun können!

                Ein gutes Beispiel dafür ist, dass diese Kontrollen durchaus in der Schweiz funktionieren ist beim Thema Burkaverbot zu sehen (http://www.nzz.ch/2007/02/16/il/newzzEY8FT69T-12.html).

                Und zum Thema Auslegung der Religionsfreiheit. Da bin ich _persönlich_ eher etwas zu restriktiv, da diese mMn inzwischen immer mehr als “Ausrede” benutzt wird um rechtsstaatliche/demokratische “Regeln/Werte/Gesetze” zu umgehen. Egal ob es nun um das Schächten, Zwangsehen, Entbindung der Schulpflicht oder sonstiges geht.

                SpOn (http://www.spiegel.de/kultur/tv/0,1518,664896,00.html) hatte da ein guten Absatz:
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                Im Alltag wird diese Diskrepanz zum Beispiel daran deutlich, dass christliche Kreuze in Ämtern und Behörden nach einem höchstrichterlichen europäischen Entscheid abgehängt werden sollen, während muslimische Schüler Gebetsräume in Schulen einklagen und türkische oder arabische Eltern ihren Töchtern verbieten, am Schwimmunterricht teilzunehmen.
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                Wird inzwischen nicht die Mehrheit diskriminiert, nur weil sie eine Mehrheit ist (in dem Fall die Christen in Europa)?

                Am Rande – Europäische Menschengerichtshof:
                http://www.derwesten.de/nachrichten/politik/2009/12/1/news-142325959/detail.html

                1. Das Burkaverbot war laut dem Artikel keine Volksinitiative. Volksinitiativen werden nach Art. 139 der Bundesverfassung nur auf materielle und formelle Einheit (eine rein formale Prüfung also) und auf eine Übereinstimmung mit zwingend anzuwendendem Völkerrecht überprüft. Selbstverständlich kann die Bundesverfassung per Volksentscheid so geändert werden, daß dort ein Burkaverbot eingefügt wird.

                  Natürlich ist die deutsche Kontrolle deutlich stärker: Zunächst müssen Bundestag und Bundesrat mit einer qualifizierten Mehrheit zustimmen, danach prüft der Bundespräsident (mindestens formal, immer mehr aber auch materiell), und danach kann die Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden. Im Gegensatz zum Schweizer Modell gibt es weit mehr Vetoinstanzen, vor allem gibt es eine rechtsstaatliche Kontrolle des Verfahrens (die Judikative kann die Legislative überprüfen), die zudem nicht auf Mehrheitsmeinung beruht, sondern auf einer grundrechtlichen Prüfung.

                  Zur Kreuz-Entscheidung habe ich etwas im Artikel Rückzugsgefechte gegen die Welt geschrieben.

    3. das würde bedingen, dass die Mehrheit grundsätzlich rational handelt und sich dessen bewusst ist. Wenn man ein weniger positives Menschenbild als du hast, könnte man auch antworten, dass die Mehrheit darauf achtet, dass sie auch Mehrheit bleibt.

  4. @Stuti: Wenn es da mal noch nicht zu spät ist… (Siehe auch Martin Niemöller: “Als sie die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. […]” etc)

    Ansonsten: Sehr guter Artikel. Die Grundproblematik ist sehr schön benannt: Was ist die grundlegende Rechtsquelle, mit anderen Worten, was sind die grundlegenden Normen. Aber: Die sogenannte Goldene Regel (Wie Stutis Oma immer sagte…) findet sich in so ziemlich jeder Religion (Und sei es Humanismus 🙂 ). Das wäre doch ein Anfang, oder?

  5. Das Bundesverfassungsgericht prüft auf Grundlage der Bundesverfassung. Wenn dieses aber geändert/erweitert wird, dann hat es keine Grundlage mehr, auf der er sich berufen kann. Ist ja logisch, sonst wäre eine GG-Aenderung ja überhaupt nicht möglich.
    Ein Beispiel dafür wäre das Thema Flugzeug Abschüsse gewesen, dass gekippt wurde aufgrund des Schutzes der Menschenwürde, aber mit einer Änderung des Grundgesetzes dennoch hätte wirksam werden können – was zum Glück nicht geschehen ist.

    Links:
    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,506507,00.html
    http://www.focus.de/politik/deutschland/flugzeug-abschuss_aid_104995.html

    Und das obwohl die Menschwürde im Artikel 1 steht, welcher nicht abgeschafft werden dürfen.
    wiki:
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    Nach Artikel 79 Absatz 3 dürfen die Grundsätze aus Artikel 1 und Artikel 20 sowie Elemente der Bundesstaatlichkeit nicht abgeschafft werden
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    Wobei mir da die Logik dahinter etwas fehlt, denn man kann ja erst Artikel 79 abschaffen um dann den Weg frei zu machen um Artikel 1 und Artikel 20 abzuschaffen … aber das ist ein anderes Thema.

    1. Das Abschaffen von Art. 79 III ist natürlich die Standardfrage in jeder Staatsrecht-I-Vorlesung. Geht aber nicht (und das ist herrschende Meinung), das würde dem Sinn von Art. 79 entgegenlaufen, auch wenn man zur Begründung sehr interessante Überlegungen anstellen kann. Und natürlich unterliegt auch eine Verfassungsänderung der rechtsstaatlichen Kontrolle: Zum Zeitpunkt des Beschlusses war schließlich noch die ungeänderte in Kraft, und die zuständigen Organe sind gar nicht in der Lage, gültige verfassungswidrige Gesetze zu beschließen; wie sonst sollte auch Art. 79 III eine Wirkung entfalten können, wenn es keine Prüfung gibt? Nachlesen kannst Du das etwa in Christian Winterhoff: Verfassung – Verfassunggebung – Verfassungsänderung, Tübingen 2007, S. 416, FN 245:

      Die hier gewählte plakative Bezeichnung [»verfassungswidrige Verfassungsänderung«] für die in Rede stehende Konstellation darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Verfassung wegen der Verfassungswidrigkeit des entsprechenden »Rechtsaktes« gar nicht wirksam geändert wird, also strenggenommen gerade keine Verfassungsänderung [Herv. im Original] vorliegt.

      Das Grundgesetz könnte zum Abschießen von Flugzeugen auch nicht so geändert werden, wie es das Luftsicherheitsgesetz geregelt hätte (das steht auch im von Dir zitierten Focus-Artikel), da nach Argumentation des BVerfG die Regelung »mit dem Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar [ist], soweit davon tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden.«

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