Der Öffentlichkeit nicht den Boden entziehen. Anforderungen an ein neues Urheberrecht

Das Sigint-Panel zum Thema Urheberrecht (meine Einführung dazu hier) hätte der Ausschreibung nach lösungsorientiert sein sollen, und das ist grandios gescheitert. Man kann nicht zu Lösungen kommen, wenn eine Partei (hier waren es der Vertreter der Musikindustrie und der exemplarische Künstler) das Problem leugnet. Für eine lösungsorientierte Diskussion des Themas Urheberrecht darf man nicht beim Geld anfangen. Man muß beim zu schützenden Rechtsgut anfangen – und das ist nicht das ökonomische Interesse, das ein fiktives »geistiges Eigentum« kodifiziert und durchgesetzt sehen will. Es ist das Interesse an einer funktionierenden öffentlichen Sphäre.

Die Diskussion über Geld, Leistung und Geschäftsmodelle ist nachgelagert.

Beginnen wir dennoch damit: Die ganze Zeit hörte man »Leistung muß sich lohnen« als Hauptbegründung für das bestehende Urheberrecht; Stefan Herwig, der Labelvertreter, beklagte ein »Marktversagen«, weil sich Content nicht verkaufen lasse. Zwei fundamentale Fehlannahmen über Marktwirtschaft.

Die vulgärliberale Parole »Leistung muß sich lohnen« verschleiert, was ein Markt leistet: Ein Markt bringt Angebot und Nachfrage zusammen, Preise sind Indikatoren für Knappheit, Bedarf und Verfügbarkeit. Es gibt kein Recht darauf, daß aus Mühe Bezahlung folgt, auch wenn die marxsche Arbeitswerttheorie sympathisch klingt. Arbeitswert ist aber tatsächlich kein Wert; man kann noch so schöne Postkutschen bauen: Im Zeitalter von Flugzeug und Bahn wird man Postkutschen nicht mit dem Argument verkaufen können, man hätte ja einiges an Leistung zur Herstellung erbracht. Leistung kann sich nur lohnen, wenn es Abnehmer dafür gibt.

Und es ist kein Marktversagen, wenn niemand mehr Content kauft. Der Markt ist ein Instrument, mit Knappheit umzugehen. Wenn man ein nicht-knappes Gut nicht verkaufen kann, dann liegt das daran, daß der Markt schlicht das falsche Werkzeug ist. Immaterialgüter verkaufen zu wollen ist aus einer naturrechtlichen Perspektive so sinnvoll wie Luft verkaufen zu wollen.

Es wird damit argumentiert, daß die knappe Ressource nicht das Immaterialgut selbst sei, sondern die Kreativität und die Leistung der Urheber. Als ob Kreativität und der Wille, Kultur zu schaffen, jemals knapp gewesen wären! (Der weitaus größte Teil kulturellen und kreativen Schaffens wird gerade nicht monetarisiert, sondern von uns allen gemacht, weil wir es können und gerne tun!) Antje Schrupp kommentierte vor kurzem hier im Blog:

Besonders entlarvend fand ich ja diesen Satz [der Leipziger Erklärung zum Schutz geistigen Eigentums]: “Missachtung, Aushöhlung und sträfliche Verletzung des Urheberrechts führt zur Entwertung, Aufgabe und schließlich zum Verlust jedweder eigenständigen intellektuellen und künstlerischen Leistung.” Dass soll doch wohl heißen: Wenn wir dafür nicht gebauchpinselt und bezahlt werden, stellen wir das Denken und Schaffen ein. Genau so eine Kunst, die geschaffen wird, um dadurch Status und Geld zu bekommen, brauchen wir aber nicht. […] Es ist eine männliche Vorstellung vom “Originale schaffenden Genie”, das hier zelebriert wird. Frauen haben über viele Jahrhunderte vorwiegend anonym geschrieben, oder unter Pseudonymen. Es geht beim (künstlerischen) Schreiben nicht um Geld, Anerkennung und Status, sondern darum, etwas zu schreiben, wovon man glaubt, dass es geschrieben werden muss.

So sehr sich das Plädoyer für Urheberrechte auch liberal gibt: Tatsächlich ist es nur ein Einfordern von hoheitlich gewährten Privilegien, von künstlich geschaffenen Monopolen, einer politisch durchgesetzten Marktverzerrung. (Auch wenn Content kein marktfähiges Gut ist, wird der Markt doch verzerrt, indem Ressourcen künstlich umgeleitet werden.) Die Argumente der Urheberrechtslobby sind strukturell dieselben wie die der Kohleindustrie, die der Autobranche: Ein Wirtschaftszweig soll künstlich am Leben gehalten werden.

Daher ist es auch nicht sinnvoll, mit der Content-Lobby über Urheberrechte zu sprechen: Ihr Interesse ist es, ihren Wirtschaftszweig zu erhalten. So wie aus Leistung kein Anspruch auf »sich lohnen« folgt, hat aber auch keine Branche eine Bestandsgarantie; im Gegenteil ist es gerade ein Vorteil einer Marktwirtschaft gegenüber einer Planwirtschaft, daß knappe Mittel nicht unnötig einer nicht benötigten Industrie zugeteilt werden. Mit der Content-Industrie über die Zukunft des Urheberrechts zu sprechen ist, als hätte man vor hundertfünfzig Jahren die Postkutschen-Industrie zum Zukunftsgespräch Transport eingeladen.

Es geht also nicht um das Partikularinteresse (und sei es auch noch so sehr mit Appellen an die eigene Gemeinwohlnotwendigkeit gekoppelt) der Musikindustrie. Die Frage der Monetarisierung und Verrechtlichung von Kultur ist (um wieder einmal Habermas zu bemühen) eine Kolonialisierung der Lebenswelt: Die wirtschaftliche Sphäre wird verabsolutiert. Natürlich ist es völlig legitim, auch Kultur unter wirtschaftlichem Paradigma zu behandeln: Skulpturen können verkauft, Symphonien in Auftrag gegeben und bezahlt, Filme gegen Geld im Kino aufgeführt werden. Daraus aber abzuleiten, daß alle Kultur marktförmig zu sein habe, ist ähnlich absurd wie aus der Existenz von Prostitution zu fordern, daß alle Zärtlichkeit monetarisiert werden soll.

Kultur und Kunst gehören in die öffentliche Sphäre und konstituieren sie mit. Was bei einer Erneuerung des Urheberrechts daher an erster Stelle stehen muß, ist die Frage nach der Öffentlichkeit: Welche rechtlichen Rahmenbedingungen sichern Öffentlichkeit?

Öffentlichkeit ist nicht nur der nicht-private Raum: Die Öffentlichkeit ist der Raum, in dem Menschen als gleiche aufeinandertreffen. In der Öffentlichkeit handeln und interagieren Menschen; Öffentlichkeit ist also die Voraussetzung von demokratischer und freiheitlicher Politik, ist die Bedingung der Möglichkeit, daß nicht nur die Gedanken frei sind, sondern auch ihre Äußerung – Öffentlichkeit ist der Resonanzraum, ohne den es keine demokratische Kontrolle von Macht, keine Diskussion, keine Argumente und damit keinen rationalen Diskurs und keinen gesellschaftlichen Fortschritt gibt.

Die Natur von Immaterialgütern paßt hervorragend zur Öffentlichkeit: Sie sind nicht knapp, und alle können sich ihrer bedienen. Francis Bacon wird der Aphorismus zugesprochen, das Argument gleiche »dem Schuß einer Armbrust – es ist gleichermassen wirksam, ob ein Riese oder ein Zwerg geschossen hat«. Immaterialgüter, nicht nur Argumente, auch Zitate, Lieder, Melodien, sind noch in einem weiteren Aspekt mit dem Schuß einer Armbrust zu vergleichen: Die Schützin hat die Kontrolle darüber, ob sie den Abzug drückt oder nicht. Sobald sie aber geschossen hat, ist der Bolzen in der Welt. (Noch einmal, wieder einmal Antje Schrupp: »Wer sein geistiges Eigentum schützen will, muss seine Ideen einfach für sich behalten.«)

Sobald ein Werk in die Öffentlichkeit gegeben wird, kann es keine absolute Werkherrschaft mehr darüber geben. Egal, was das positive Recht sagt: Die Melodien werden gesummt, die Gedichte zitiert. Es paßt zur Natur des Immaterialguts und es liegt in der Natur des Menschen, Kontexte und Bezüge herzustellen, darüber zu reden, Kultur nicht nur zu konsumieren, sondern zu produzieren und weiterzuentwickeln. Eine Gesetzeslage, die das verbieten möchte, ist illegitim. (Und auch nicht durchsetzbar.)

(Kleiner philosophischer Exkurs: Hier scheint es mir zur Abwechslung wirklich gerechtfertigt, von »der« Natur des Menschen zu reden. Den Menschen als ζῷον λόγον ἔχον, als sprache-habendes Tier, zu fassen, scheint mir immer noch die Grundlage einer der besten Versuche einer anthropologischen Schätzung zu sein: Kommunikation macht den Menschen aus, für Sprache reicht nie einer allein aus; es ist die Möglichkeit der Intersubjektivität, die den Menschen ausmacht – ob man nun auf die Ähnlichkeit abhebt, »der Mensch wird am Du zum Ich«, oder auf die radikale Andersheit, auf das »Antlitz des Anderen«.)

Auf dieser Basis muß nun ein zeitgemäßes Urheberrecht agieren: Es muß ernstnehmen, daß Öffentlichkeit nicht mehr nur die räumlich begrenzte griechische Polis ist. Öffentlichkeit ist faktisch nicht mehr räumlich begrenzt. Youtube, Facebook, Twitter, Blogs: All das gehört zu einer neuen Öffentlichkeit. Diese neuen Formen von Öffentlichkeit dürfen nicht ihrer Funktion beraubt werden, indem man sie reduziert und unter das Paradigma der wirtschaftlichen Sphäre stellt: Singen am Lagerfeuer und Remixes und Fanvideos auf Youtube sind strukturell, in ihrer Funktion für die Öffentlichkeit, gleich zu bewerten. Ein Leistungsschutzrecht, das Blogs (oder Zeitungen) verbieten würde, kostenlos zu zitieren und die Zitate zu diskutieren, wäre ebenso totalitär wie das Verbot, auf dem Marktplatz über die Schlagzeile der Zeitung zu diskutieren.

Der Öffentlichkeit nicht den Boden zu entziehen: Das muß ein neues Urheberrecht leisten.

Welche Geschäftsmodelle sich innerhalb dieses Ordnungsrahmens etablieren lassen, ist kein Problem des Urheberrechts. Das ist der Kreativität der Geschäftsleute überlassen.

Der Artikel ist auch bei Carta zu lesen, daher sind hier die Kommentare geschlossen, drüben kann diskutiert werden.

Ergänzung, 2. September 2010: Der Weltgeist ist ein großer Ironiker: Ausgerechnet diesen Artikel kann ich nicht mehr unter CC-Lizenz zur Verfügung stellen. Er wird Teil des Buchprojekts »Medienwandel kompakt 2008–2010«, und dafür habe ich dem Nomos-Verlag die exklusiven Druck- und eBook-Rechte zur Verfügung gestellt. Die Vereinbarung wurde am 2. September 2010 geschlossen. Eine Weiterverbreitung online gemäß CC-Lizenz ist selbstverständlich weiterhin erlaubt.