Gesten-Design

Pebble.
Pebble (mit dem sehr hübschen Watchface Filmplakat).

Seit gut drei Wochen trage ich meine Pebble, die mit dem Telefon verbundene Armbanduhr. Pebble wurde durch das bis jetzt erfolgreichste Kickstarter-Projekt finanziert – das Konzept kann also nicht ganz am Markt vorbei ausgedacht sein. Wearable computing ist eines der nächsten großen Dinge, Armbandgeräte sind viele in der Mache (Samsung jüngst mit seiner public beta als erster wirklich großer Player im Markt), und Google Glass natürlich. Nach den paar Tagen Smartwatch glaube ich nicht, daß der Formfaktor Armbanduhr für diesen Zweck ideal ist.

Ich finde das Gerät großartig, da sehr nerdig. (Und trotzdem sieht es nicht so schlimm aus wie befürchtet.) Erwartungsgemäß ist die Pebble nicht so spektakulär, wie es anderthalb Jahre Vorfreude auf ein Dick-Tracey-Gadget erhoffen ließen. Die Pebble ist praktisch, aber weit davon entfernt, essentiell zu sein, der praktischste Nutzen für mich ist der One-time-password-Generator, weil die Uhr doch mehr dabei ist als das Telefon. Als unauffälliger, leicht zugänglicher Zweitbildschirm für Benachrichtigungen zeigt sich die Schwäche und die Stärke der Pebble.

Beim Tragen der Pebble ist mir eines aufgegangen: So praktisch Daten am Handgelenk sind, es gibt noch einen wichtigen Designfehler, oder besser: blinden Fleck im Design. Der techniksoziologische Aspekt: welche Konnotation hat welche Technik? Wie wirkt Technik? Der Unterarm ist nicht technisch und sozial unbelastet, dieser Raum kann nicht einfach mit einem noch so praktischen Gadget umgenutzt werden, als gäbe es keine Kulturgeschichte des Unterarm-Gadgets. An den Arm in den eigenen Blick gehört nicht irgendetwas, sondern eine Uhr, und damit sind soziale Praktiken und Gesten verbunden: Gesten, die aus unserem Technikgebrauch entstanden sind, und jetzt mit sozialer Bedeutung aufgeladen sind, selbst wenn da gar nichts am Arm ist.

Das gibt es nicht nur am Arm. Etwas Längliches an ein Ohr halten (so abstrahiert, daß eine Faust mit abgespreiztem Daumen und kleinem Finger schon ein Telefon ergibt), steht für Telefonieren und gibt das Zeichen, daß die kommunikative Aufmerksamkeit woanders ist. Vielleicht hat sich das Handy in der Öffentlichkeit normalisiert, die Freisprecheinrichtung, sei’s als Bluetooth-Headset oder als Kopfhörer-Variante, dagegen nicht, weil die Geste Ans-Ohr-Halten so bildmachtig ist, während das Reden mit einer nicht präsenten Anderen ebenso bildmächtig impliziert, daß der in die Luft Sprechende nicht ganz knusper ist.

Auch der Blick auf den Unterarm ist ein solches soziales Signal, und deshalb scheint es mir zumindest schwierig zu sein, den Formfaktor Armbanduhr als Goldstandard für trag-bare Displays zu etablieren. Der Blick auf den Unterarm ist aufgeladen mit Ungeduld, mit der Frage, ob endlich Zeit vergangen ist, und gilt dem Gegenüber gegenüber als unhöflich. Schlechte Voraussetzungen für unaufdringliche Information, weil das Abholen der Information aufdringlich etwas nicht Intendiertes kommuniziert. (Aufdringlich auch die noch nötige Größe des Geräts, aber das mag auch mein Problem sein, trage ich doch sonst möglichst kompakte Uhren; aufdringlich vor allem die nur mit verhältnismäßig viel Kraft zu bedienenden Knöpfe, wo man doch mittlerweile das Streicheln von Glasscheiben gewohnt ist. [gestrichen: Heidegger-Exkurs wg. »aufdringlich«] Der Pebble – und anscheinend allen bisherigen Smartwatches – fehlt im Interface-Design und generell in der Haptik noch die Beiläufigkeit eines wirklich guten Werkzeugs.)

Genau das spricht übrigens für die Klugheit des Ansatzes von Google Glass, den Monitor aus dem direkten Sichtfeld zu nehmen und ein bemerkbares Aufblicken nötig zu machen (auch wenn der Augmented-vision-Pionier Steve Mann genau diese Anordnung gegen die Praktikabilität ins Feld führt) – die Geste, die Augen nach oben zu richten, ist mit »Überlegen« konnotiert. (Interessant die TNG-Folge, in der die mit ihrem Computersystem verwachsenen Bynare den Kopf nach oben legen, wenn sie mit dem Zentralrechner kommunizieren.)

Ich glaube nicht, daß Wearable computing an der Ästhetik scheitern wird; Ästhetik ist relativ, und nur weil die üblichen Schmocks in einer Standardsituation der Technologiekritik sich über die ästhetische Wirkung von Glass amüsieren, heißt das nicht, daß das ein belastbareres Urteil ist als zu anderen Zeiten das über die Lächerlichkeit von Fahrrädern oder Frauenhosen. Wenn Wearable computing einen kulturellen Nerv trifft und hinreichend cool konnotiert ist, wird es schon schnell schick wirken. Problematischer als die recht flatterhafte Frage nach der Ästhetik sehe ich diesen techniksoziologischen Aspekt: Wie wird die Benutzung von Wearable computing in Gesten und Gebräuche, die tief und wirkmächtig geprägt sind, integriert? Werden bei der Augmentierung des unmittelbar Gegenwärtigen Signale bedacht, die sich in andere Alltags- und Kommunikationspraktiken einfügen? Wie lassen sich solche Gesten und Signale designen?

2 Gedanken zu „Gesten-Design“

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