Spitzenbildung braucht Breitenbildung

Im aktuellen Krokant habe ich einen Artikel zum Thema Bildung geschrieben:

Während ich diesen Artikel schreibe, laufen in Stuttgart gerade die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und FDP. Für uns in der KjG ist besonders der Bildungsbereich interessant. Ergebnisse sind noch keine bekannt – man ahnt aber, wohin es gehen wird. Baden-Württemberg leistet Beeindruckendes: Vordere Plätze in Deutschland bei der PISAStudie, unter den zehn von der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgewählten möglichen Elite-Universitäten sind vier in Baden-Württemberg. Beide Regierungsparteien wollen weiterhin Eliten fördern.

Das ist der gute Teil. Über der Elitenförderung geraten aber andere Themen aus dem Blick: Welche »Eliten« werden eigentlich gefördert? Viele Studien haben gezeigt: Bildung wird in Deutschland quasi vererbt. Kinder von vergleichsweise reichen und gebildeten Eltern haben eine weit größere Chance auf Bildung und damit Teilhabe an der Gesellschaft. In Baden- Württemberg ist es besonders schlimm: nur in Bremen gibt es einen noch stärkeren Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildung; nirgendwo sonst hängt die Grundschulempfehlung so stark damit zusammen, ob ein Kind deutsche Eltern hat. Bildungsforscher sprechen von »Reproduktion«: Getrennte Bildungswege festigen die Abgrenzung zwischen verschiedenen Schichten: Die Arbeitertochter wird Arbeiterin, der Sohn der Professorin studiert. Der wichtigste Grund ist, daß schon nach der vierten Klasse sortiert wird: hier die zukünftigen Ärzte und Anwältinnen, dort die Fliesenlegerinnen und Friseure. Eine Gesamtschule ist keine Gleichmacherei, eine um wenige Jahre verlängerte gemeinsame Schulzeit erst recht nicht; Länder wie Finnland machen es vor. CDU und FDP wollen dennoch beide die dreigliedrige Schule beibehalten. Auch wenn immer wieder betont wird, daß damit jeder einzelne ideal nach seinen Fähigkeiten gefördert wird – es führt dazu, daß alle Bildungswege entwertet werden: Für Ausbildungen, bei denen früher ein Hauptschulabschluß genügte, wird heute ein Realschulabschluß verlangt, gleiches gilt für das Abitur. Die Hauptschule droht zur Restschule zu werden, an der sich nur die Verlierer des Systems sammeln.

Erste Ansätze wurden gemacht, um etwas zu ändern, etwa im Bereich der frühkindlichen Bildung – aber es gibt noch viel zu tun. Im Sport hat sich der Grundsatz »Spitzensport braucht Breitensport« durchgesetzt. Genauso muß es in der Bildung sein: Von einem Bildungssystem, das allen, egal welcher Herkunft, die gleichen Chancen anbietet, profitiert die ganze Gesellschaft. Baden-Württemberg kann es sich nicht leisten, auf Kinder von Migranten und Arbeitslosen an den Universitäten zu verzichten.

Daran muß sich die neue Landesregierung messen lassen: Nicht, wie viele Eliteunis es in Baden-Württemberg gibt, sondern welche Bildungschancen sie benachteiligten Kindern und Jugendlichen bietet.

Drunt im roten Nordkorea: Juche!

Ich gebe es ja zu: Ich denke schon seit Monaten über eine schicke Kurzhaarfrisur nach. Nicht mehr nur meine Irland-Photos sind gewichtige Argumente dagegen, auch Nordkorea liefert Argumente: Kurzes Haar entspreche sozialistischer Manier, lange Haare wiesen antisozialistische Anhänger der Bourgeoisie aus. Ergo: Mähne als Bürgerpflicht für ordoliberale Citoyens jetzt!

(Rousseau möge mir die Vermengung von Bourgeois und Citoyen verzeihen.)

Die Ästhetik des Widerstandes

Mannheim ist schön. Mannheim ist wie Irland: Klein, übersichtlich und stellenweise gefährlich. Guinness heißt Eichbaum, Clonmacnois Jesuitenkirche, der Shannon Rhein und Donegal Ludwigshafen.

Die IRA heißt in Mannheim Feuerio und macht statt in Bombenterror in Fastnacht. Wie die IRA hat auch der Feuerio einen politischen Arm, der aber nicht, wie man denken könnte, Sinn Féuerio, sondern ML heißt (nota bene: hier Mannheimer Liste und nicht Marxistisch-Leninistisch) und ähnlich nationalistisch (und dazu pleonastisch: Für uns zählt nur Mannheim. Aus Liebe zu Mannheim) ist. (Die obligatorischen – und gerechtfertigten – Prügel von links gehören auch dazu.)

Eines aber spricht für die ML (neben dem Hund): die Ästhetik. Nicht die stadthygienische (wg. Sozialhilfempfänger-Putzkolonnen) sondern die der Frisuren. Meine politischen Wurzeln sind bekannt – aber nie könnte ich eine Partei wählen, deren männlicher Spitzenkandidat Vokuhila und Schnauzer trägt.

Fun fact you didn’t know: Der Autor der Ästhetik des Widerstandes heißt wie der Bundestagsabgeordnete von Emmendingen-Lahr.

Corpora sana

Die Schulzeit war eigentlich doch die schönste Zeit – außer donnerstags in der neunten und zehnten Stunde. Da stand Sport auf dem Stundenplan (ein Fach, in dem ich im Abizeugnis 15 Punkte hatte – in der Summe). Wie ich zu Schulsport stehe, wissen die Elefanten unter den Lesern dieser kleinen Kolumne sicher noch – umso ungewöhnlicher ist es, daß ich eine Initiative zu mehr Schulsport gutheiße: Die Grünen forderten in Stuttgart, Sport ab 16 Jahren freiwillig anzubieten und die freiwerdenden Lehrer (die oft »Diplomsportlehrer« heißen, aber nichts Ordentliches gelernt haben) dann für die unteren Klassen zu verwenden. Bitter nötig: In meiner Gruppenstunde habe ich oft genug Kinder erlebt, die keinen Ball fangen können und gleichzeitig von ihrer zwei in Sport erzählen.

Vive le Roi!

Eigentlich bin ich ja überzeugter Gegner der Monarchie und begeisterter liberaler Republikaner.

Eigentlich.

Aber wenn ich an den deutschen Bundespräsidenten denke, könnte ich Monarchist werden: Die Briten, die Japaner und wer weiß wie viele hoffnungslos romantisch-monarchistische Völker halten sich zwar noch Monarchen, die haben aber nichts zu sagen und nur zu repräsentieren. Abgedankt wird nicht, und wenn mal einer stirbt, hat man im königlichen Stammbaum gleich vermerkt, wer nach wie vielen Toten neuer Winkaugust wird.

Das ist zwar teuer, aber wenigstens ehrlich.

Bei uns dagegen wird über die Würde des Amtes lamentiert, und am Ende wird der gewählt, der von der Mehrheitsfraktion in der Bundesversammlung aufgestellt wird. Nennt man dann Staatsoberhaupt, hat ein Schloß, und fünf Jahre später geht das ganze Elend von vorne los. Teuer ist er (und eben nicht sie, denn Frauen werden ohnehin nur dann aufgestellt, wenn sie nicht gewählt werden), hat dafür aber nicht das adelige Flair von Jahrhunderten Inzucht und Intrige.

Ich glaube mittlerweile, daß dieses Prozedere unsere Demokratie weit mehr beschädigt, als das ein König tun würde: Wie einfach ist es, am Stammtisch über die da oben zu schimpfen, die nichts arbeiten, dafür aber einen Haufen Geld bekommen. Und das schlimme ist: Beim Bundespräsidenten ist es so.

Die Lösung ist also keineswegs, das Volk über sein Oberhaupt abstimmen zu lassen, sondern ganz radikal: abschaffen. Und als Staatsoberhaupt fungiert dann der Parlamentspräsident – das stünde einer Demokratie an – und nicht alimentierte Altersheimplätze für Eldest Statesmen.

Wahlverwandtschaften

Überhaupt ist es doch traurig, wie wenig in der Welt gedacht wird. Man verändert die Regierungsform, alles, alles – und das einzige, was man keinem Zweifel unterwirft, das einzig Feste ist der Glaube an die Art Entscheidung, die durch Ballotage bestimmt ist.

Søren Kierkegaard, X-4 A 65

Heute berät der Bundestag über den Antrag Mehr Demokratie wagen durch ein Wahlrecht von Geburt an. Das klingt erstmal nett und brand(t)neu, ist aber leider alles andere als begrüßenswert. Heißt es im Antrag noch pathetisch Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf zur Einführung eines Wahlrechts ab Geburt durch Änderung des Artikel 38 des Grundgesetzes und erforderlicher weiterer gesetzlicher Änderungen vorzulegen, nur leider kommt das Stellvertreterwahlrecht gleich danach durch die Vordertür: Dabei ist ein Wahlrecht ab Geburt dergestalt vorzusehen, dass die Kinder zwar Inhaber des Wahlrechtes werden, dieses aber treuhänderisch von den Eltern bzw. Sorgeberechtigten als den gesetzlichen Vertretern ausgeübt wird.

Fazit: Etikettenschwindel. Diese Lösung ist nämlich gerade kein Mehr an Demokratie, sondern vielmehr Wahltaktik. Ich behaupte: Vom Stellvertreterwahlrecht profitieren Volksparteien und hier besonders Konservative, von wählenden Kindern und Jugendlichen alternative und fortschrittliche Parteien. Mit Stellvertreterwahlrecht wird nämlich das Stimmgewicht der Wähler über 25 erhöht, während das Menschen unter 25 gleich bleibt. Menschen, die in alternativen Lebensformen wohnen (ich denke an Homosexuelle)werden mit dieser Regelung politisch noch mehr marginalisiert. (Obwohl: Adoption zum Stimmenkauf wäre eine interessante Sache.)

Interessant dürfte die statistische Verteilung sein: Es profitieren nämlich nur Eltern mit minderjährigen Kindern, also Menschen zwischen ganz grob 25 und 60 mit einem Hochplateau irgendwo in der Mitte. Das ist in einer überalterten Gesellschaft besonders fatal, da die besonders Alten schon jetzt im Bundestag (beispielsweise) prozentual deutlich unterrepräsentiert sind bei gleichzeitiger komplett fehlender Legitimation durch Minderjährige.

Als abschließendes Bonbon (mehr argumentieren möchte ich nicht, das tun die Kinderrechtszänker sehr gut) noch die Verteilung der Parteien der Antragsteller. (Hier kann man auch ablesen, wer statistisch gesehen profitieren wird.)

SPD Union Grüne FDP
11 13+1 3 19

Kinder, Kinder

Ich habe es ja schon mal erwähnt: Ich lese aug.

Dort wurde dieser Tage etwas Interessantes festgestellt:

In GB, some things are Royal, because they once belonged to or were done by the monarch, or now have her/him as Patron. Others are National because they cover the entire country.

[…]

I leave it as an exercise for the student to speculate why we have a Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals, but a National Society for the Prevention of Cruelty to Children.

Parallele Deutschland: Gründung des Kinderschutzbundes 1953, Gründung des Tierschutzbundes 1883. (Bei den Briten in der gleichen Reihenfolge: Tiere 1824 und Kinder 1884.)