Das Lesen war ihm nun einmal so zum Bedürfnis geworden, wie es den Morgenländern das Opium sein mag, wodurch sie ihre Sinne in eine angenehme Betäubung bringen. – Wenn es ihm an einem Buche fehlte, so hätte er seinen Rock gegen den Kittel eines Bettlers vertauscht, um nur eins zu bekommen. – Diese Begierde wußte der Antiquarius wohl zu nutzen, der ihm nach und nach alle seine Bücher ablockte und sie oft in seiner Gegenwart sechsmal so teuer wieder verkaufte, als er sie ihm abgekauft hatte.
Karl Philipp Moritz, Anton Reiser (1785-1790), Kapitel 36.
Gefunden bei Jana Herwig, die zum Thema Internetsucht einen Bullshit-Test per Analogie vorschlägt: Was passiert, wenn $neuesMedium im Argument durch $altesMedium ersetzt wird? – Dazu paßt natürlich auch hervorragend Kathrin Passigs großartiger Text Standardsituationen der Technologiekritik.
Ich traue dem Google Reader nicht mehr. Bisher liegen dort per Stern markiert Artikel, die mir potentiell zitierfähig scheinen – und bevor das nächste Updates die Sterne abschafft, lagere ich meinen Zettelkasten lieber hier ins Blog aus.
Macht denn das Alter der Kritik bzw. deren Wiederaufwärmung sie substanziell falsch? Man sollte darüber zumindest einmal Nachdenken. Anton Reiser ist jedenfalls die Geschichte eines Scheiternden.
Nicht notwendig falsch; es zeigt sich aber doch immer wieder, daß neue Medien immer die gleichen Befürchtungen auslösen. Die Befürchtungen scheinen also nicht in der jeweiligen Eigenart des neuen Mediums begründet zu sein, sondern allein der Tatsache geschuldet, daß das Medium neu ist. Platon kritisiert das neue Medium Schrift mit denselben Argumenten, wie Wegweiser, Romane und Twitter in je anderen Epochen kritisiert wurden und werden. Bei der Schrift, bei Wegweisern und Romanen scheint uns das offentlichtlich falsch zu sein – es scheint mir also nicht allzu abwegig zu sein, hier eine Struktur zu erkennen, die verläßlich auftaucht und verläßlich widerlegt wird, sobald sich das Medium etabliert hat.