Gunter Gabriel – Genialer Ikonoklast

Seit Tagen höre ich Gunter Gabriels vielgetwittertes, vielkommentiertes Cover von Radioheads Creep. Die Meinungen sind fast einhellig entsetzt, bestenfalls »herausragend. In seiner OMFGigkeit.« (Eine Ausnahme habe ich gefunden.) Ich halte dieses Cover für brillant.

Das Gros der Kritik hebt darauf ab, daß es anmaßend sei, was Gunter Gabriel (dessen größter Hit »Hey Boss, ich brauch mehr Geld« war) hier tut. In der Tat: Der Kontrast ist maximal. Radiohead sind die Säulenheiligen der urbanen Alternativkultur: Ein leeres Altbauzimmer, auf dem Boden eine Matratze, daneben ein Macbook und ein Plattenspieler mit grotesk überdimensioniertem Kopfhörer, OK Computer auf Vinyl. Geht es hipper? Dann das Album, auf dem das rechtzeitig kunstvoll viral gemarketete Creep-Cover zu finden ist: »Sohn aus dem Volk. German Recordings« – geht es anmaßender, als Johnny Cash (zu dessen deutscher Antwort, gar zu dessen Freund Gabriel sich stilisiert (Wobei das wohl mehr als bloße Pose ist.)) zu kannibalisieren?

Dieses Anmaßende paßt zur künstlerischen Herkunft Gabriels: Für Außenstehende ist die deutsche Countryszene bestenfalls peinlich. Es gibt schlicht keinen deutschen Country. Es gibt nur Epigonen (und Ikonoklasten). Deutscher Country verharrt in der bloßen Übersetzung authentischen, amerikanischen Countrys, vermengt mit Elementen des (volkstümlichen) Schlagers. Das Milieu und die Kultur des amerikanischen Countrys, einsame Männer in weitem Land, Gottvertrauen und Freiheit, ehrliche Arbeit, echte Freundschaft und der Teufel Alkohol, taucht auch im deutschen Country auf: Die Straße und der LKW. (Vgl. etwa Tom Astor mit Danke Brummi und Geistertruck.) Das Milieu des amerikanischen Countrys ist im besten Sinne unpolitisch: Die Weite des Westens, wo es dann und wann einen korrupten oder heldenhaften Sheriff gibt, wo Männer ihr Glück selbst machen. Das Milieu des deutschen Countrys ist sozialdemokratisch: einfache Menschen mit goldenem Herzen, harte Arbeit und Solidarität, den Kindern soll es einmal besser gehen, Karohemden und speckige Lederwesten. (Mir scheint das alles anbiedernd zu sein – die Kommentare bei Youtube sprechen aber eine andere Sprache.)

Das also ist auch das Milieu Gunter Gabriels. Anders als Tom Astor, der mit Johnny Cash, Willie Nelson, Kris Kristofferson, Dolly Parton Duette aufgenommen hat, der durchweg erfolgreich war, hat Gabriel eine wechselhafte Lebensgeschichte: Einfachste Kindheit, Erfolg, Alkohol, Schulden. Jetzt versucht er ein Comeback und knüpft an Johnny Cash an – German Recordings.

Cash, schon vom Krebs gezeichnet, macht schon von Haus aus brillante Stücke von Nick Cave (The Mercy Seat), den Nine Inch Nails (Hurt) und Depeche Mode (Personal Jesus) zu Meisterwerken. Er verwebt die Erfolge anderer mit seiner eigenen Biographie. Die lebenssatte gegerbte Stimme, jede Falte in den kunstvoll ausgeleuchteten Videos (allen voran das von Mark Romanek gedrehte zu Hurt): Das ist es, was Gunter Gabriel mit Creep auch versucht. (Sehr aufschlußreich ist die Bildsprache von Ich geb den Rest für dich.)

Das ist die dramatische Fallhöhe, der sich Gabriel aussetzt. Ein Kommentar bei einem anderen Blog verkennt diese Fallhöhe:

[N]ehmen wir mal an, der Typ da wäre nicht Gunter Gabriel, und wir würden mit diesem dann unbekannten Typen ÜBERHAUPT GAR NICHTS assoziieren, weder negativ noch positiv. Wir wären völlig unvorbelastet, als wäre das ein Wildfremder beim Karaokeabend im Irish Pub.
Dann – bei diesem Maximum an Objektivität – ja dann ist es gar nicht so scheiße. Zwar nicht wirklich gut, aber okay.

Das ist es gerade nicht. Gunter Gabriel gelingt es, seine Biographie, sein ganzes Leben mit diesem Lied zu verweben. Schonungslos, offen, ohne jede ironische Distanz – »Wo war ich 68, wo beim Mauerfall?« Das ist kein zwinkerndes Understatement – es beschreibt präzis Gunter Gabriels Image, es beschreibt präzis, wie sich der, der sich für den deutschen Johnny Cash hielt – »Was ist mein Auftrag? Was ist mein Talent?« – selbst bespiegelt. Gerade daß Gabriel das so abliefert, mit all seinen großen, ungelenken Gesten, ist die Größe des Stückes, die Größe Gabriels.

Auch die Auswahl des Materials ist brillant. Das Original von Radiohead ist zwar musikalisch großartig (wenn auch grenzwertig nah an The Air that I Breathe von den Hollies), der Inhalt ist aber larmoyante Teenagerbefindlichkeit. (Die Handlung von Creep: Junge trifft Mädchen, Junge wow, Mädchen hm, Junge ach, ach, gluckgluck. Auftritt Thom Yorke, seine Teenagerliebe deutend: Gender trouble, Mann in den 90ern, ach, ach.) Mit größtem Pathos jammert sich Thom Yorke durch die belanglose Boy-meets-girl-kommt-aber-nicht-zum-Schuß-Geschichte, voll von Klischees und abgeschmackten Bildern (»You’re just like an angel«), voll pickliger teenage angst, voll unterwürfiger Selbstgefälligkeit, der Weltuntergang stets in Sicht.

Gegen dieses Libretto gewordene Klischee steht Gabriels Text: »Ich bin ein nichts, ich bin ein niemand.« Die Figur aus Radioheads Text könnte das unterschreiben. Wie lächerlich wirkt aber der allumfassende, allesumschlingende Liebeskummer des Originals gegen das nüchterne Aufzählen des eigenen Versagens, das nicht aus der egomanischen Überschätzung der Jugend, am Anfang des Lebens, sondern vom Ende her, von einem Punkt aus, der ein Urteil zuläßt, erzählt wird. Gabriel leiht sich ein Lied aus dem alternativen Olymp, um seinen eigenen Hades in noch grellererem, unnachgiebigerem Licht ausleuchten zu können: Belanglose Gefühligkeit modischer jugendlicher Verzweiflung steht einem existentiellen und totalen Unwerturteil gegenüber. Bei Radiohead folgt die nächste Teenagerliebe. Bei Gabriel: Erlösung.

Es stimmt:

Wenn Gunter Gabriel Radiohead covert, sollte man eigentlich ergriffen oder erschüttert schweigen, je nachdem. (Die Rückseite der Reeperbahn)

Nachtrag, 15. Dezember 2009: Via Nerdcore kommt eine weitere Coverversion von Creep: Mustard, der obdachlos ist, singt mit einer kraftvollen verbrauchten Stimme. Auch hier zeigt sich die dramatische Fallhöhe, die in Creep liegt; eine Fallhöhe, die bei Radiohead nur Pose ist, die hier wie bei Gabriel aber lebenssatt zum Tragen kommt.

Nachtrag, 15. Februar 2010: In der Welt schreibt Alan Posener eine wunderbare Reportage, ach was: ein Sittengemälde zur deutschen Countryszene: Gabriel, Truck Stop & Co: Deutscher Country – veralbert und verschlagert

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