Citizen capitalists

Tom Slee und Tim Wu führen eine kleine Debatte über die Regulierung von Uber und AirBnB, peer-to-peer-Plattformen für Transport- und Übernachtungsdienstleistungen: Apps to Regulate Apps, und Peer-to-Peer Hucksterism: An Open Letter to Tim Wu. Es geht darum, wie solche crowdsourceten Dienstleistungen und die sie vermittelten Plattformen reguliert werden sollen, weil herkömmliche politische Regulierung nicht auf diese Form von Jedermann-Dienstleistung paßt. Slee verteidigt klassische Regulierung gegen Wu, der den Bedarf für ein neues Regulierungsregime sieht, das einem völlig veränderten Markt Rechnung trägt. Ich sehe in dieser Frage ein weiteres Beispiel dafür, wie alle gesellschaftliche Sphären, hier die der Wirtschaft, durch sinkende Transaktionskosten durch das Netz massiv verändert werden – und es dafür auch einen entsprechenden politischen und rechtlichen Rahmen braucht, weil der alte nicht mehr zum Handeln und Rechtsempfinden der Menschen paßt.

Das Netz verändert nicht nur politics, politische Gepflogenheiten, Verfahren, Regeln, Erwartungen, sondern auch policy, also die Inhalte von Politik, und das über Netzpolitik hinaus auch in einem grundsätzlich scheinbar nicht direkt betroffenen Feld: Regulierung von Dienstleistungen, hier Übernachtungen und Transport.

»Prosuming«, produzierend konsumierend handeln, wird normaler, vor allem da Transaktionskosten wegfallen. Natürlich sind auch vor dem Netz Leute regelmäßig auf Flohmärkte gefahren und haben Dinge verkauft, natürlich gab es Kleinanzeigen und Handel zwischen Privatleuten, natürlich gab es Dienstleistungen auch gegen Geld unter privat. Das blieb aber alles im Rahmen, solange die Transaktionskosten für eine dauerhafte aktive wirtschaftliche Rolle so hoch waren, daß die Sphären von kommerziellen organisational verfaßten Unternehmungen und Privatleuten klar getrennt waren. Die klare Trennung verschwimmt aber immer mehr: eBay, Craigslist, Etsy, Dawanda, Uber, AirBnB als spezielle Plattformen, die einfache Verfügbarkeit von Reichweite und Infrastruktur (einfach und billig zu konfigurierende Shopsysteme, Paypal, natürlich auch E-Mail) – das alles als Katalysatoren für Menschen, die völlig selbstverständlich mit ihren Fähigkeiten auch handeln, mit ihren Talenten wuchern wollen. So wie das Urheberrecht von einem Spezialrechtsgebiet unter wirtschaftlichen Akteuren zu einem alle betreffenden Rechtsgebiet wurde, wird hier der bisher klar im B2B-Bereich angesiedelte rechtliche Rahmen wirtschaftlichen Handelns auf der Anbieterseite potentiell relevant für viel mehr Leute.

Die Kritik von Tom Slee ignoriert diese Veränderung; sie liest sich sehr klassisch: Eine klare Unterscheidung von wirtschaftlicher, unternehmerischer Sphäre als anbietender Seite und einer konsumierenden Sphäre als abnehmender. Der Normalfall für den einfachen Bürger, die einfache Bürgerin in der Wirtschaft ist die Rolle als Konsument_in, abhängig beschäftigte_r Arbeitnehmer_in. Wirtschaftliche Regulierung dient dem Schutz der abnehmenden Seite, die wiederum nur passiv agierend, also konsumierend auftritt. Das paßt aber immer weniger. Das Netz wirkt als Hebel, wie individuell noch unter diverse (steuerliche, regulatorische) Bagatellgrenzen fallendes Handeln (die eine Übernachtung via AirBnB, die eine Transaktion auf eBay) in der Summe eine relevante wirtschaftliche Größe annimmt, und individuell plötzlich doch auch signifikantes Einkommen bedeuten kann. Neben klassische Selbständige und Einzelunternehmer_innen als kleinste wirtschaftliche Subjekte treten »citizen capitalists«, die ganz selbstverständlich anbieterseitig und -förmig nebenbei tätig sind.

Je niedriger die Transaktionskosten fallen, desto relevanter wird dieses Feld – und da hilft es nicht, wie Slee, einfach eine Durchsetzung der bestehenden Regulierung zum Beispiel bei den unterstützenden Plattformen durchzusetzen – das funktioniert ganz netzfrei schon bei Schwarzarbeit nicht. Es funktioniert deshalb nicht, weil Recht ein Mindestmaß an grundsätzlicher Akzeptanz braucht. Recht, das als absurd und Gängelung wahrgenommen wird (wenn etwa der Staat mir verbieten will, per AirBnB mein Gästezimmer zu vermieten, Erdbeermarmeladeverkäufe per Dawanda unmöglich macht oder für meine Hangouts on air eine Sendelizenz vorschreibt), Recht, das dem auch vom kulturellen, gesellschaftlichen, technischen Umfeld geprägten Rechtsempfinden nicht eingängig ist, wird ignoriert.

Ich habe den Eindruck, daß dieses Phänomen der citizen capitalists als eigenständige und neue Herausforderung bisher noch wenig auf dem Schirm der Politik ist – da würden mich Einschätzungen von Leuten interessieren, die näher dran sind. Im rechtswissenschaftlichen Diskurs bin ich noch weniger drin. Auch hier: Wie finden da solche Tendenzen Niederschlag?

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