Wer »Geistiges Eigentum« sagt, hat sich in netzpolitischen Kreisen fast schon disqualifiziert. Dumm nur, daß wer nicht »geistiges Eigentum« sagt, sich unmöglich macht auf der anderen Seite des Grabens der Diskussion um die Zukunft des Urheberrechts.
Ich glaube: dieser Kampfbegriff läßt sich fruchtbar machen für eine urheberrechtspolitische Diskussion, die dringend von beiden Seiten zustimmungsfähige Beiträge benötigt.
Auf der diesjährigen Tagung »Kirche im Web 2.0« habe ich in einem kurzen Vortrag (die Folien sind online) und einem Workshop skizziert, wie aus der Position der katholischen Soziallehre ein Beitrag zur Urheberrechtsdiskussion geleistet werden könnte. Klar: Es ist über Personalität, Solidarität, Subsidiarität, Gemeinwohl zu reden, die klassischen Sozialprinzipien. Aber mit Blick auf normative Eigentumstheorien aus der Tradition der christlichen Sozialphilosophie ist mir ein weiterer Weg aufgefallen: Was, wenn wir über Immaterialgüterrechte reden wie Thomas von Aquin über Eigentum?
Es besteht ein Zielkonflikt: Unbestritten ist, daß über das Urheberrecht und verwandte Immaterialgüterrechte Investition, Leistung und Kreativität von Urhebern geschützt werden sollen. Immaterialgüterrechte, die geistige Schöpfungen in einigen Aspekten körperlichem Eigentum gleichstellen, sind die Voraussetzung dafür, daß Urheber von ihrer Arbeit leben können und ihre Schöpfungen wirtschaftlich nutzen können. Gleichzeitig verhindern (oder besser: kriminalisieren) solche Rechte selbstverständliche kulturelle Praktiken, die nicht nur zentrale Ausdrucksformen einer vernetzten Gesellschaft sind, sondern schon immer Grundlage von Kunst, Kultur, Wissenschaft, Gesellschaft, Öffentlichkeit waren.
(Der nächste Absatz ist ein wenig philosophiegeschichtliches Glasperlenspiel, wer direkt zum eigentlichen Argument will, möge ihn überspringen.)
Auch wenn es »geistigem« Eigentum an (klar:) Materialität und damit an natürlicher Exklusivität fehlt: Die Problematik ähnelt durchaus der klassischen Eigentumsproblematik, und die Lösung von Thomas scheint mir sogar besser auf immaterielle Güter zu passen als auf körperliche. (Das ist aber mein klassisch-liberaler Bias: beim Materiellen bin ich mehr bei Aristoteles.) In der Summa theologiae diskutiert der Aquinate, inwiefern Eigentum naturrechtlich zu rechtfertigen ist und führt naturrechtliche Positionen an: Eigentlich nicht. Naturrechtlich sei nur Gemeineigentum zu begründen. Das ist die urheberrechtliche Extremposition, die auch ich sympathisch finde: Immaterialgüter und Eigentum passen ihrem Wesen nach nicht zusammen. Aber, und da übernimmt Thomas dann die Rolle des Vermittlers (zwischen Aristoteles und den Vätern, der Philosoph plädierte für Privateigentum als Regel und Gemeineigentum als Ausnahme, die Theologen sahen das andersherum): Vernunftrechtlich ergibt Eigentum Sinn. »Der Besitz ist demgemäß nicht gegen das Naturrecht, sondern erscheint als etwas demselben seitens der menschlichen Vernunft rechtmäßig Hinzugefügtes.« (IIª-IIae q. 66 a. 2 ad 1; im lateinischen Original benutzt Thomas »possidere«; die Unterscheidung von Eigentum und Besitz mal außen vor)
Eigentum ist praktisch begründet: Um Privateigentum kümmert man sich besser, es wird besser verwaltet, klar abgesteckte Rechte befördern den Frieden (IIª-IIae q. 66 a. 2 co.).
Aber: Eigentum und Gemeinwohl hängen zusammen: »Und so handelt der Reiche nicht unerlaubterweise, welcher zuerst sich in den Besitz von etwas im Anfange Gemeinsamen setzt und davon anderen leicht mitteilt, ihnen hilft. Aber er handelt unrecht, wenn er ohne die gebührende Rücksicht, in maßloser Weise, andere vom Gebrauche des Besitzes abhält.«
Oder kurz: Eigentum verpflichtet.
Und das wäre auch ein Weg, die Debatte um Immaterialgüterrechte zu versachlichen: Ja, wir reden von geistigem Eigentum – aber nicht ohne die Sozialpflichtigkeit des geistigen Eigentums zu betonen. Konkret politisch kann das in die Richtung der Forderungen von rechtaufremix.org gehen: Ein klares Bekenntnis zu Urheberrechten – aber ein ebenso klares Bekenntnis zum gerechten Ausgleich zwischen Nutzenden und Produzierenden, zwischen produzierenden Nutzenden und nutzenden Produzierenden.
Fruchtbar machen wäre sinnvoll. Hier als Ergänzung etwas über die Komplexität des Begriffs „Geistiges Eigentum“: http://www.carta.info/48614/das-janusgesicht-des-geistigen-eigentums/
Weil das mit dem Grundgesetzzusatz ja so wunderbar geklappt hat und alle Besitzenden voll doll gerne Zugang zu all ihrem Hab und Gut gewähren, willst du dieses Erfolgsmodell also mit dem „geistigen Eigentum“ wiederholen?
Polemik mal bei Beiseite: So auf die Urheberrechtslobby zuzugehen wäre vor allem ein strategischer Fehler. Denn anders als die Feststoffkörperbesitzer stehen die Imaterialgüterbesitzer schon längst mit dem Rücken zur Wand, weil sich ihr schöner jeder über ihren Gartenzaun lacht und munter drübersteigt. Du wirst bei ihnen also mit Zugeständnissen nichts erreichen, weil sie nur panisch um sich schlagen und keinen Millimeter freiwillig weichen werden.
Eine Urheberrechtsreform mit Verbesserungen der Rechte der Öffentlichkeit – egal wie radikal oder auch nicht sie ausfallen soll – wird man nur gegen den erbitterten Widerstand der Urheberrechtslobby durchsetzen können. Alles andere ist illusorisch.
Das glaube ich nicht, und das ist mir auch zu monolithisch gedacht. Eine Urheberrechtsreform mit Verbesserungen der Rechte der Öffentlichkeit wird nicht kommen, wenn Urheber_innen und Verwerter_innen weiterhin als gemeinsames Feindbild gesehen werden. Die Verwerter_innen sind eben nicht auf der Seite der Urheber_innen. (Wenn etwa Journalist_innen einen »Feind« haben, dann Verlage.) Wolfgang Michal führt das in dem von ihm verlinkten Text schön aus. Eine Wir-gegen-alle-Strategie, wie Du sie zu befürworten scheinst, würde nur funktionieren, wenn man stärker (an Finanzen und Ressourcen) als »die« Gegenseite ist. Sind wir aber nicht.