Aus Fulda habe ich ein paar Seiten des Bonifatiusboten mitgebracht mit der Schlußansprache von Bischof Algermissen zum Diözesantag, einer Veranstaltung, bei der es um die Zukunft der Pastoral im Bistum ging. Die Ansprache gibt es auch online.
Bevor ich die Ansprache im Zug gelesen hatte, wurde sie mir gestern abend mündlich referiert von Leuten, die live dabei waren. Ohne dieses Gespräch wäre mir die Ansprache sehr unspektakulär vorgekommen; der Stil des Boniboten vielleicht ein wenig altväterlich-hofberichterstattend (»Der Bischof entspricht dem Wunsch vieler, die gebeten haben, das „Schlußwort“ im Bonifatiusboten abzudrucken.«), aber unspektakulär: Theologische Selbstverständlichkeiten mit durchaus vorhandenem Problemhorizont:
Die gegenwärtige Not des strukturellen Umbaus besteht aus meiner Sicht vor allem darin, daß uns zumeist die Vision fehlt, wie Kirche und Gemeinden in Zukunft aussehen sollen. […] Für mich steht fest: Wer sich die Zukunft als bloße Verlängerung der Vergangenheit oder der Gegenwart vorstellt, hat es schwer, in den kirchlichen Veränderungen Gottes Geist zu erspüren.
Interessant war, wie die Rede ankam: Überhaupt nicht gut.
Was für mich eine reichlich vertraute Textgattung war, war für meine Gesprächspartner ein Affront: Theologisch verbrämte schöne Worte, in denen sie ihre Lebenswelt nicht wiedererkennen konnten. Da fahren 1300 Leute zu einem Diözesantag, bei dem es um die Kirche der Zukunft geht, und der Bischof erzählt etwas von der Theologie der Kirchenväter und dem »mysterium lunae« – vorbei an der Zielgruppe. Da wird über Visionen gesprochen – und nicht einmal die komplizierte theologische Sprache kann darüber hinwegtäuschen, daß es keine gibt.
Mit diesem Vorwissen habe ich den Text gelesen. Und in der Tat: Wenn man sich durch den theologischen Zuckerguß beißt, kommt der Kern zutage: Natürlich ist da die Rede von einer Neuausrichtung der Kirche. Natürlich ist da die Rede davon, nicht die historische Sozialgestalt der Kirche zu verwechseln mit ihrem eigentlichen Kern, der sakramentalen Struktur, »die sich in den sieben Sakramenten als konkrete[n] Zeichen der Nähe Gottes und besonders im sakramentalen Amt ausprägt.«
Und dennoch: All diese Bekenntnisse wirken schal, wenn man liest, was dabei herauskommt. Sieben Prioritäten für Priester, die sich in der Betonung ihrer Spiritualität und Ausübung des Amtes in der Gemeindeseelsorge erschöpfen (beileibe nicht falsch!). Das Bekenntnis zum Abschied von Gewohntem, was für Algermissen wesentlich heißt: Priester von lästiger Verwaltung entlasten, liturgische Doppelungen vermeiden, Schwerpunkte setzen: weg von einer »additiven Pastoral«, die immer mehr Aufgaben aufeinander schichtet.
Alles völlig richtig. Nur über eines wird nicht nachgedacht: Über die Sozialgestalt der Kirche und ob sie den Zeichen der Zeit angemessen ist. Gemeinden kommen vor als Wirkungsort des Priesters, gerne auch als Pastoralverbund. Konsequent ergeht auch am Schluß die Aufgabe an die 48 Pastoralverbünde des Bistums, bis zum Advent 2010 ein »Schreiben der Hoffnung« auszuarbeiten, das neue Wege für die Gemeinden aufzeigt. Nur an die Gemeinden. Nicht an die Verbände, nicht an die Orden, nicht an die geistlichen Gemeinschaften.
Von Anfang an eine Verengung auf die aktuelle Sozialgestalt der Kirche, die zwangsvereinigte Großterritorialpfarrei. Über die Funktionen von Gemeinde wird im Bischofswort gesprochen – aber nichts über die Form. So kommt es dann auch, daß Priester primär als Pfarrer von Territorialpfarreien gesehen wird. Kein Wort über ihre unterschiedlichen Charismen. Stattdessen:
Änderungen im Sinne von Nachrangigkeiten muß es […] in folgenden Bereichen unbedingt geben:
[…]
- Wahrnehmung von Gruppen-, Vereins- und Vorstandstätigkeiten.
Indem Algermissen »Gruppen-, Vereins- und Vorstandstätigkeiten« unterschiedslos als nachrangig betrachtet (und es gibt solche Nachrangigkeiten; muß der Pfarrer im Ortscaritasvorstand sitzen?), übersieht er, daß gerade solche Tätigkeiten auch eine wesentliche priesterliche Aufgabe sein können. Die Geistliche Verbandsleitung in (Jugend-)verbänden etwa. Gerade in seinem Bistum leiden die Jugendverbände darunter, daß man kaum Priester zur Begleitung der Verbände findet, auch weil die Geistliche Verbandsleitung als Nachrangigkeit, als bloße Verwaltungstätigkeit gesehen wird. Wenn der Pfarrer von Ars im vielgeschmähten Brief des Papstes zum Jahr des Priesters damit zitiert wird, daß man in einer Pfarrei ohne Priester nach zwanzig Jahren die Tiere anbeten würde – dann heißt das weniger polemisch das, was die Bischofskonferenz in Geistliche Verbandsleitung in den katholischen Jugendverbänden so ausdrückt:
Die geistliche Verbandsleitung steht dafür ein, dass diese kirchliche und pastorale Identität der Jugendverbandsarbeit entwickelt und in einem guten Zusammenspiel zwischen Priestern und Laien in konkreten Formen realisiert wird.
Geistliche Verbandsleitung braucht nicht nur dafür beauftragte Laien, sondern auch dafür beauftragte Priester, die diese Vergesellschaftungsform von Kirche mit ihrer sakramentalen Leitungskompetenz begleiten. Gemeinde kann auch im Verband stattfinden – das merken viele Jugendliche, die in ihrer Heimatgemeinde nicht aus Boshaftigkeit dem Gemeindeleben fortbleiben, sondern weil dort das Evangelium in einer Weise gelebt wird, die sie nicht erreichen kann.
Algermissen will aber anscheinend nicht vom Prinzip Territorialpfarrei weg, nicht einmal Alternativen dazu ermöglichen. Das macht das Bischofswort, bei aller visionärer Rhetorik, so konventionell. Vor fast vierzig Jahren wurde das von Karl Rahner schon einmal konsequenter, radikaler durchgedacht – auf der theologischen Basis und einer Analyse der Geschichtlichkeit der Sozialgestalt aufbauend, die übrigens mit Algermissen völlig d’accord geht:
Es ist aus theologischen Gründen und auch nach dem Zeugnis der Geschichte einfach nicht so, daß von einem unbestimmten Territorium her verfaßte Pfarreien allein die Grundelemente der Kirche sein können. Wenn sich lebendige Christengemeinden von den Christen selber her bilden, wenn diese eine gewisse Struktur, Festigkeit und Dauer haben und erreichen, haben sie ebensoviel Recht wie eine Territorialpfarrei, als Grundelement der Kirche, als Kirche von der Kirche des Bischofs und von der Gesamtkirche anerkannt zu werden, auch wenn ihr konkretes Assoziationsprinzip nicht ein Territorium ist, das von der Kirche des bischöflichen Amtes abgegrenzt wird und einfach die darin wohnenden Christen umfaßt. (Karl Rahner, Strukturwandel der Kirche als Aufgabe und Chance, Freiburg: 3. Auflage 1973, S. 116)
(Das ist übrigens auch ein Aspekt des vielzitierten und oft mißverstandenen letzten Satzes der Grundlagen und Ziele der KjG: »So versteht sich die KjG als Kirche in der Lebenswelt von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen.«)
Der Bischof von Fulda will das alles nicht wissen. Verbände als Glaubensorte, Zentren des Glaubens, die Gemeinden bilden (ob das ein Schönstattheiligtum oder eine Kolpingfamilie ist, eine »Basisgemeinde« oder ein Kloster), kommen nicht vor. Daß diese Formen der Gemeinde auch auf Priester angewiesen sind, wird als nachrangige und bloß belastende Verwaltungstätigkeit abgewertet. Sein selbstgesteckter Anspruch ist, eine »missionarische ›Geh-hin-Kirche‹, nicht eine ›Warte-ab-Kirche‹« zu haben. So lange das aber auf die alte territoriale Form (»beinahe im Stil von Polizeirevieren«, Rahner, ebd. S. 115) beschränkt ist, wartet man nur ab, wer wohl in eine solche Gemeinde hingehen könnte. Jugendliche immer weniger.
Oben habe ich Algermissens Rede verlinkt; auch wenn’s viel umständlicher und teurer ist: Wem die Zukunft der Kirche am Herzen liegt, wer Visionen sucht, »wie Kirche und Gemeinden in Zukunft aussehen sollen«, sollte vielleicht lieber doch zu Karl Rahner greifen, der das einlöst, was Algermissen in seiner Rede einzulösen behauptet:
Für mich steht fest: Wer sich die Zukunft als bloße Verlängerung der Vergangenheit oder der Gegenwart vorstellt, hat es schwer, in den kirchlichen Veränderungen Gottes Geist zu erspüren.
Zutreffende Analyse.
Algermissen ist speziell in den traditionell katholischen Gebieten seines Bistums wegen seiner pastoralen Pläne nicht gut gelitten. Ein Aufbruch ist kein Aufbruch, wenn er von oben angeordnet ist.
Zudem haben viele kleinere Gemeinden (bspw. in der Rhön) ohnehin schon immer Erfahrung im priesterlosen Dasein. Da gibt es schon seit \Urzeiten\ von Laien geleitete Gebete. Dass ein papierner Pastoralplan, der örtliche Gegebenheiten überhaupt nicht berücksichtigt und mit der Brechstange eingeführt wird, auf keine Gegenliebe stößt, sollte nicht verwundern.