Philipp Gessler, Kirchenredakteur der taz, hat einen in katholischen Kreisen vielbeachteten Artikel in seiner sonst mit der Kirche eher fremdelnden Zeitung veröffentlicht. Das Lob (zumindest aus den progressiven Kreisen) scheint ungeteilt zu sein.
Und in der Tat: Das meiste in Gesslers Artikel ist angenehm unaufgeregt zwischen dem – von ihm selbst festgestellten – Hossiana und Kreuzige ihn! ansonsten in den Medien, die Spitze gegen den ungleich unkontroverseren Dalai Lama (und die Linkspartei!) sehr willkommen. Alles in allem ein Artikel, den ich in weiten Teilen so unterschreiben kann, und in dessen Tenor ich mir mehr Katholiken in der Presse wünschen würde: Auskunft darüber, was Menschen dazu treibt, katholisch zu sein, geschrieben nicht für die eigenen Leute, nicht preaching to the converted.
Wenn da nicht zwei Absätze wären, die die politische Bedeutung des Papstes zurücknehmen. Zwei Aspekte werden dort ausgeblendet: Die Bedeutung des Symbolischen in der Politik und das politische Selbstverständnis der katholischen Kirche.
Es heißt dort:
Zum anderen darf man den Papst nicht zuerst als jemanden sehen, der politisch nach außen wirken will, sondern zunächst nach innen in die Kirche und geistig-theologisch, mit Abstrichen gesellschaftlich.
Das überrascht gerade in der linken taz, die doch üblicherweise ein Verständnis dafür hat, daß die Dinge nicht einfach nur isoliert sind, sondern gerade im Kontext und in ihrer Wirkung mit Bedeutung aufgeladen werden. Ohne Zweifel: Benedikt XVI ist (Gessler führt das an) ganz anders Papst als Johannes Paul II., der tatsächlich ein offen politischer Papst war. Was der Papst aber will, ist für seine Wirkung und Funktion in der Öffentlichkeit zwar nicht unbedeutend, aber sekundär. (Und, ganz theologisch: Mit dem eigenen Beispiel in die Gesellschaft wirken ist als Martyria, Zeugnis geben, gerade ein Grundprinzip des Christlichen.)
Der Papst ist primär ein Symbol für die mit ihm verbundenen Inhalte. Das ist schade, wenn sein friedenspolitisches Engagement oder all das Gute an der Kirche, das Gessler auch aufführt, in den Hintergrund treten, weil der Papst für seine Sexualpolitik steht. Derartig reduziert zu werden auf einen Aspekt wird niemandem gerecht. Das Christliche, der Papst sind aber im Diskurs eine Chiffre für ein bestimmtes Wertfundament, so wie das C in der CDU weniger für die Bergpredigt als vielmehr für ein bestimmtes moralisches Milieu steht, das nicht notwendig »christlich« im universellen und pazifistischen Sinn Gesslers ist.
Vor diesem Hintergrund wird dann auch die Rede vor dem Bundestag verhandelt: Die Ausflüchte, es handle sich beim Papst um ein Staatsoberhaupt und allein deshalb spreche er dort, verschleiern, worum es geht. Der Papst spricht natürlich auch, obwohl er in Berlin auf Staatsbesuch ist, für die Kirche. Die Positionierung zu dieser symbolischen Handlung ist selbst wiederum Symbolpolitik. Den boykottierenden Abgeordneten ihren Boykott vorzuwerfen, ist insofern auch ungerecht: Sie spielen ja nur mit im symbolpolitischen Theater. Auch wenn deren Erzählung etwas überdreht ist (es geht ja nicht um die Einrichtung einer Theokratie, sondern nur darum, Religionen als eine Wertquelle vieler zu akzeptieren): Es geht im Bundestag bei der Papstrede nicht um formalen Diskurs (herrschaftsfreien sowieso nicht) – und weil es der Bundestag ist, wird der politische Diskurs über die Symbole geführt. Was der Papst auch immer will: Symbolpolitisch wirkt er nach außen, und daher muß gerade in einem freiheitlichen Staat auch die Bedeutung dieses Symbols diskutiert werden. Daß der Papst Symbol einer Sexualpolitik ist, die die Liebe mancher Menschen diffamiert, verkürzt die Lehre und das Wirken der Kirche. Mit dem symbolischen Akt einer Rede vor dem Bundestag wird dieser Bedeutungsgehalt des Symbols aber mit aufgerufen – da ist es für alle, die für eine andere Politik stehen, Protest nichts anderes als legitim. (Und, ganz nebenbei gesprochen: wenn Daniel Deckers in der FAZ schreibt, Homosexualität sei ja nur eine Nebensache in der Lehre, es komme ja auf die Haupsache, die Hochschätzung der dauerhaften Liebe an, dann ist das selbstverständlich Unsinn: Das gesamte hehre Gebäude der Sexualmoral stürzt zusammen die Proteste zielen auch auf den Kern der behaupteten christlichen Botschaft – dazu auch mein alter Artikel zu Homosexualität.)
Im nächsten Absatz geht es Gessler um den Kern der christlichen Botschaft:
Die Botschaft Jesu war auch politisch-gesellschaftlich gemeint und wirksam, aber sie zielte doch zuerst auf das geistig-individuelle Leben des Menschen – Stichwort: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört.“ (Matthäus 22,21). So sind auch die meisten Stellungnahmen des Papstes zu lesen. Sie haben politisch-gesellschaftliche Implikationen, die man mit guten Gründen ablehnen mag, den Kern seiner Botschaft machen sie nicht aus.
Der Kern der Botschaft sei also verschieden von politischen Geltungs- und Gestaltungsansprüchen. Erstens: Richtig. Zweitens: Zwischen der Botschaft Jesu und heute liegen 2000 Jahre Kirchengeschichte und die Ausbildung eines kirchlichen Anspruchs an die politische Wirkung der eigenen Botschaft. Der Rückzug aus dem Politischen des frühen Christentums war spätestens mit Kaiser Konstantin vorbei.
Mit dem Christentum als Staatsreligion und einer christlichen Hegemonie über den politischen Raum geht ein Gestaltungsanspruch und der Anspruch einer moralischen Richtlinienkompetenz einher, der das Staatskirchenturm weit überdauert hat. (Selbst die Reformation, die ja nicht nur ein religiöser Konflikt, sondern auch ein Konflikt zwischen Zentrum und Peripherie war, mit ihrer Betonung des Einzelnen und seinem Gewissen, kam nicht um die christliche Grundierung des Gemeinwesens herum, ausgedrückt durch das landesherrliche Kirchenregiment.)
Die Kirche gibt klare politisch-gesellschaftliche Sollvorgaben aus, sie kennt eine politische Ethik, sie kennt eine Sozialethik, und sie greift vernehmbar und deutlich ins politische Geschehen auf allen Ebenen ein: Sie fordert einen Gestaltungsanspruch ein, begründet in ihrer Deutungshoheit – die Ablehnung der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften, bioethische Positionen: Die Beispiele sind zahlreich, in denen es expressis verbis nicht nur um eine tugendethische Stellungnahme zum »geistlich-individuellen Leben« des Einzelnen geht, sondern um eine Deutungshoheit und einen Gestaltungsanspruch über politische Entscheidungen. Die Ablehnung der Homoehe, bioethische Stellungnahmen: Überall dort ist das politisch-gesellschaftliche nicht bloße Implikation, sondern Hauptinhalt. Und diesem Hauptinhalt gilt die politisch-gesellschaftliche Kritik, die sich nicht mit einem idealisierten Urbild abtun läßt. So wunderbar dieses Urbild auch ist: Es entkräftet keinerlei Kritik an der gegenwärtig existierenden Kirche; im Gegenteil: Gerade dieses Urbild kann als Kritikfolie dienen, um dadurch eine umso schärfere Kirchenkritik mit Argumenten zu munitionieren.
Aus all diesen Gründen ist es mir völlig unverständlich, wie man den Papstbesuch von allem Politischen entkleiden kann – auch wenn die Stoßrichtung der Entpolitisierung klar ist: Die Proteste gegen den Papst lassen sich nur dann delegitimieren, wenn dem Papst seine politische Bedeutung und sein politischer Anspruch abgesprochen wird.
Wer sich aber in die Öffentlichkeit begibt und dort verhandelt, was zwischen Menschen geschieht und geschehen soll, der kann gar nicht unpolitisch diskutiert werden. Und deshalb braucht es politische Auseinandersetzung mit dem Papst bis hin zum Protest.
Und wieder gebiert mein Dank dir.
Ich mag es sehr gerne deine Positionen aus dem Christentum heraus zu lesen. Vor allem, weil du alle mit Respekt behandelst und auf Kritik eingehst, sie dir zuweilen zu eigen machst.
Nur schade, dass du nicht mehr Zeit findest, denn ich freue mich auf jeden Update deines Blogs.
Danke
Aleks
Hallo,
leider funktionieren die ersten beiden Verlinkungen nicht.
Ist korrigiert, danke für den Hinweis.