Kasseler Hegemonialkunst

In Kassel sorgt ein Guerilla-Kunstwerk (das so guerilla gar nicht ist) für Aufsehen: Auf dem Turm der St.-Elisabeth-Kirche steht eine Skulptur von Stephan Balkenhol, eine Figur mit ausgebreiteten Armen – und das während des Hochamts. Dem kulturellen Hochamt, der documenta 13, und die Leiterin ist tief erschüttert von dieser ungenehmigten Kunst. »Schockiert«, »traurigstes Erlebnis«, »gewaltsam« sind Zitatfetzen aus dem Artikel der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine.

Die Argumentationsfigur in etwa: Wenn in Kassel während der Documenta Kunst passiert, dann wird das von der Documenta veranstaltet. (Da könnte ja jeder kommen.) Die Installation auf dem Kirchturm zerstört »gewaltsam« das Konzept des Friedrichsplatzes, der die »ökologische Perspektive« der Documenta repräsentieren solle. Und da passe eine Installation, die prominent einen Menschen darstellt, nicht dazu: »Es wird hier keine künstlerische Repräsentation des Menschen geben«, kommentiert die Leiterin der Documenta Carolyn Christov-Bakargiev.

Mehrere Aspekte befremden mich an diesem Vorgang:

Die Vorstellung, daß Kunst derart planbar, kontrollierbar, (quasi)rechtlich einhegbar ist, daß Kunst eine klare Grenze haben soll und auch einfordert. Dabei ist Kunst doch oft Entgrenzung, und Kunst im öffentlichen Raum umso mehr. Die Grenzen zwischen Künstlerin, Werk und Publikum verschwimmen. Der Autor ist nicht tot, plötzlich sind viele und immer mehr zum Autor geboren. Kunst schaffen, das heißt Interaktions-, Reaktions- und Projektionsmöglichkeiten zu schaffen. Grenzen in der Kunst werden selbst rezipiert und transzendiert; Kunst ist auch oft ein ständiges Überbieten an Reflexion, Selbstreflexion und Metaebenen über Metaebenen.

Daß Interaktion, Rezeption, zufällige und ungeplante Konnotation so gering geschätzt wird; daß der Kontrollverlust in der Öffentlichkeit so negativ gesehen wird. Kunst ist Kontext. Das Schöne, Wahre, Gute, das kann auch Kunst sein. Vor allem aber ist Kunst Kontext – und als solches dann immer komponiert, zusammengestellt. So etwas wie absolute, losgelöste Kunst kann es nicht geben, weil es keinen absoluten Kontext geben kann. Kunst ist daher immer auch einem Kontrollverlust ausgesetzt: Kunst hat nicht nur eine Schöpferin, ohne die es sie nicht geben könnte, sondern auch einen Betrachter. Und dieser Betrachter interagiert zunehmend, und oft auch geplant. Marcel Duchamps hat nicht nur ein Urinal unter Pseudonym signiert, die Reaktion seiner Künstlerkollegen gehörte integral zum Werk dazu. Wer Kunst in den öffentlichen Raum gibt, muß damit rechnen, daß die Öffentlichkeit darauf reagiert.

Daß die Documenta einen Alleinvertretungsanspruch auf die Kasseler Öffentlichkeit erhebt. Die Documenta hat die Stadt und ihre öffentlichen Plätze gebucht, und die Leiterin der Documenta, als Kuratorin so etwas wie die Super-Künstlerin, hat damit Kassel und dessen öffentlichen Raum als ihre Spielfläche bekommen. Kunst, die nicht unter ihrer Ägide dazukommt, stört, ist ein Eindringling und illegitim. Dabei spielt doch das Konzept einer Ausstellung, die sich in den öffentlichen Raum begibt, gerade damit, diesen öffentlichen Raum mitzugestalten und zu transformieren. Und das bedeutet eben auch: Daß die anderen im öffentlichen Raum präsenten damit interagieren, und das ungeplant und unkoordiniert.

Daß Kunst derart verzweckt wird. Dem anderen Kunstwerk auf dem Platz, mit dem die Balkenhol-Skulptur interagiert, ein Garten von Kristina Buch, wird eine klare Funktion zugesprochen: die »ökologische Dimension« der Documenta repräsentieren. Gerade mit diesem Gedanken ist die Gegenüberstellung so spannend: Eine künstlerische Repräsentation des Menschen habe dort nichts zu suchen, verfügt die Documenta-Leiterin. Und diese apodiktische Ansage wird nicht rational mit Argumenten diskutiert – ihr wird ein anderes Werk gegenübergestellt. Ein Mensch. Auf dem Dach einer Kirche. In der Verzweckung des Werks von Buch liegt eine ideologische Engführung: Natur ist gar nicht mehr zu erreichen; auch die Erinnerung an die unberührte Natur durch Kristina Buch ist doch immer nur Umwelt, Mitwelt, von Menschen gestaltete und in Beziehung zu Menschen stehende Natur. Der Mensch ist immer schon dabei – als Künstlerin, als das ausgeschlossene im Kunstwerk, als Kontext.

Und daher finde ich die Positionierung großartig, und es ist wunderbar ironisch, daß diese Störung ausgerechnet von einer Kirche ausgeht. Daß die Kirche auf den Menschen und seine Rolle in der Schöpfung verweist, das paßt noch in die meisten Dogmatiken. Das Spiel mit Bildern und Symbolen weniger, und kaum jemand reagiert so gereizt auf die Aneignung und Einmischung in das eigene symbolische Reich, wie es die Kirche (und die Religionen) und viele ihrer Gläubigen tut. Daß aber die Kirche, die immer so klar ihre Bereiche absteckt, Einmischungen sich verbittet, hegemoniale Forderungen an die Gesellschaft, an den öffentlichen Raum richtet, allzu lange diese Forderungen auch durchzusetzen vermochte, die selbst sich die symbolische Einmischung verbittet – daß also diese Kirche ganz ähnliche hegemoniale Ansprüche auf die Deutungshoheit nicht durch Macht, sondern durch kreatives Spiel unterläuft (und, noch ein Dreh mehr: Das wohl bloß versehentlich tut): Das ist ein schöner Zufall, und es ist die produktive Störkraft des Kreativen, die jeder absoluten Dogmatik zuwiderläuft.

Ein Gedanke zu „Kasseler Hegemonialkunst“

  1. Dieser vermeintliche Alleinvertretungsanspruch von Kunst, die meint bestimmen zu können, welche andere Kunst (räumlich) neben ihr existieren darf, unterscheidet sich nur graduell vom Markenterror während großer ‘Sport’veranstaltungen, die von Monopolisten wie FIFA und IOC organisiert werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert