Dieser Tage erscheint der von Oskar Niedermayer herausgegebene Sammelband »Die Piratenpartei« bei Springer, meine Belegexemplare sind schon da. Darin ist ein Text von mir: »Plattformneutralität. Zur Programmatik der Piratenpartei« (S. 175–188), der über meine Artikel zur Piratenpartei hier im Blog hinaus nichts wesentlich neues enthält (und zu großen Teilen auf meiner Magisterarbeit basiert.
Für mich ist es das erste Mal, daß ich »richtig« wissenschaftlich publiziere (vorher waren es immer nur journalistische Artikel). Den Prozeß fand ich sehr interessant, und er sagt wohl auch einiges über die sich reichlich antiquiert anfühlende Form »Publikation im Sammelband« und wissenschaftliches Publizieren allgemein aus (da interessiert mich auch sehr die Einschätzung von Leuten, die das häufiger machen):
- Der Herausgeber Oskar Niedermayer organisiert ziemlich viel selbst – Akquise der Autor_innen (übrigens nur eine Frau, und die zu Genderthemen!), Mahnwesen, Kommunikation über den Fortschritt des Projekts – alles, was ich in meiner Naivität eher bei einem Verlag gesehen hätte. (Inhaltlich gab es kaum Vorgaben und keine Rückmeldungen. Auch der Lektor hat bei mir anscheinend nur Rechtschreibfehler korrigiert und von Gendergap auf Ausschreibung umgestellt, inhaltlich gab’s auch von ihm keine Rückmeldung.)
- Auch als Autor mache ich viel selber: Ich bekomme eine Wordvorlage mit detaillierten Formatierungsvorgaben, die dann anscheinend so direkt in ein Satzsystem gekippt wird. Ich bin gewöhnt, mit LaTeX zu schreiben und binde mir damit Dinge wie Layout und vor allem Literaturangaben nicht selbst ans Bein. Das habe ich schon in der Uni ab dem ersten Semester so gemacht und bis dato noch nie mit Word einen wissenschaftlichen Text verfaßt. Jetzt weiß ich: Mit gutem Grund. Wie schreiben Menschen Qualifizierungsarbeiten mit hunderten Seiten, Fußnoten und Literatur mit Word, wenn ich schon bei knapp über zehn Seiten Gewaltphantasien bekomme?
- Schließlich: Honorar – 2 Belegexemplare. Immerhin habe ich noch alle Nutzungsrechte am Text.
Das ganze dauert dann von der ersten Anfrage bis zum Belegexemplar ziemlich genau neun Monate, was wohl auch eher flott ist. Schneller, dynamischer, mindestens in gleicher Qualität hätte das in einem Blog gemacht werden können – nur dann eben nicht prestigeträchtig und zitierfähig. Der Verlag ist anscheinend im wesentlichen als Legitimationsmaschine da: Es ist auf Papier! Beim guten Springer!
Inhaltlich kann ich noch nicht viel sagen – außer meinem Text kenne ich noch keinen. Das Inhaltsverzeichnis sieht aber vielversprechend aus, die Autoren, die ich kenne (Niedermayer, Henning Bartels, Christoph Bieber, Tobias Neumann, Marc Debus, Thorsten Faas), schätze ich als Kenner der Materie.
Bei “uns” (theoretische Informatik) gibt es bei Publikationen den Mehrwert der Begutachtung (die zwar nicht perfekt, aber viel wert ist) sowie aus der daraus resultierenden Selektion, was das ganze deutlich von einem Blog oder arxiv.org abhebt. Im Vergleich zu einem Blog werden die Artikel in einer Zeitschrift oder einem Sammelband auch dauerhafter aufbewahrt.
Ansonsten ist es vergleichbar oder schlimmer:
* Der Herausgeber kümmert sich um die Kommunikation, die Auswahl der Gutachter und um das Hinterherlaufen, wenn Gutachter mit ihren Gutachten oder Autoren mit ihren überarbeiteten Versionen im Verzug sind. (Oder auch nicht, und dann passiert halt nichts.) Der Verlag setzt akzeptiere Artikel in seinen Hausstil um und veröffentlicht die dann.
* Als Autor mache ich auch das meiste selbst: Ich nehme die LaTeX-Vorlage, die der jeweilige Herausgeber vorschreibt, und bin dann mit allen weiteren Layout-Fragen auf mich selbst gestellt. Wenn ich Glück habe, tun die Lektoren nichts (meistens bei Springer), öfter aber (besonders bei Elsevier) korrigieren sie wild und ohne Ziel im Text herum. Dabei werden schonmal willkürlich Formulierungen geändert, so dass ungrammatische Sätze herauskommen, die nicht einmal gebildete Muttersprachler verstehen, oder es werden Indizes geändert, so dass Formeln keinen Sinn mehr ergeben.
* Honorar: Ein Belegexemplar als pdf, Papierbelegexemplare gibt es ca. seit Ende der Nullerjahre nicht mehr (bei meinem allerersten Artikel 2006 habe ich welche auf Papier erhalten — das war dann aber auch nur der Artikel, nicht die entsprechende Zeitschriftenausgabe).
Wenn man in Deutschland wohnt kann man aber seine Artikel wenigstens bei der VG Wort melden. Ist nicht viel, aber lohnt den Aufwand.
Danke für diesen Einblick!
Bis vor zwei oder drei Jahren aber ich auch noch immer das papierne Buch als einzigartiges Kulturgut gepriesen, das niemals untergehen dürfe und werde, habe geschwärmt vom Geruch des Papiers, dem Gefühl und dem Geräusch beim Umblättern, und der durch nichts zu ersetzenden Möglichkeit, mit dem Bleistift meine individuellen Hervorhebungen zu markieren. Mittlerweile habe ich meine Meinung dazu geändert, und zwar nicht weil ich mir in der Zwischenzeit einen E-Reader gekauft hätte, im Gegenteil: ich lese immer noch auf Papier. Aber mittlerweile in dem Bewusstsein, dass das ein Anachronismus ist, und zwar genau aus den von Ihnen genannten Gründen: Es dauert einfach zu lange, und in dieser langen Zeit wird dem Buch von Verlagsseite zu wenig konstruktiver Mehrwert hinzugefügt, als dass das Warten dadurch gerechtfertigt würde. Überdies sind die Produktionskosten eines Buches so hoch, dass es eigentlich ein ökonomischer Irrsinn ist, dass das heute noch so betrieben wird. Herausgeberschaft und Begutachtung durch renommierte Leute, das sind doch Konzepte, die problemlos auch auf Online-Publikationen zur Qualitätssicherung übertragen werden könnten. Ändern müsste sich ein Denken, das immer noch denkt, nur Gedrucktes sei zitierfähig, nur Gedrucktes sei wirklich etwas wert. Und das wird sich auch ändern. Leider nur langsam, wie Verlage halt so sind.