Kimiko Ishizakas freie Aufnahme des ersten Buchs des Wohltemperierten Klaviers ist erschienen – und sie ist großartig geworden. Vor anderthalb Jahren habe ich zum crowdfunden aufgefordert, jetzt ist alles da: die freien Aufnahmen unter einer CC0-Lizenz, vom Urheberrecht befreite digitalisierte Notenblätter, die damit auch einen wichtigen Schritt in Richtung Barrierefreiheit machen.
Die freie Aufnahme ist nicht nur ein Marketing-Stunt (auch wenn Publicity Kimiko Ishizaka zu wünschen ist: Aus den gecrowdfundeten Mitteln hat sie kein Honorar erhalten). Erst mit solchen Projekten wird Kultur, die eigentlich schon lange gemeinfrei ist, wirklich gemeinfrei: Was nutzen Scans von alten Notenblättern, wenn digitalisiert doch wieder alles urheberrechtlich eingefangen ist? Erst mit einer solchen Aufnahme kann etwa die Wikipedia Weltwissen wirklich umfassend sammeln – und damit nicht nur Bach, sondern eine große Tradition erschließen: Vom kitschigen Camp, das aus dem Präludium Nr. 1 in C-Dur gemacht wurde, bis zu zeitgenössischen Performances in der Tradition von Warhols Factory, die die Fuge Nr. 24 in h-Moll variieren.
Zu den mehr technischen Hintergründen gibt es einen informativen Podcast in der Reihe »Hacking Culture« mit Robert Douglass, der zweite Mann hinter dem Projekt selbst, und Thomas Bonte, der die freie Software MuseScore entwickelt. Leider etwas zu kurz kommt darin Kimiko Ishizaka selbst (die nicht nur ausgezeichnete Pianistin ist, sondern 2006 auch deutsche Vizeweltmeisterin im Kraftdreikampf wurde!) – etwas mehr von ihr zu ihrer Arbeitsweise gibt es im Interview mit Libre Graphics World.
Und die Musik? Bei The Cast rezensiert Campbell Vertesi die Aufnahme enorm kenntnisreich und kurzweilig:
I believe in Bach as a baroque badass, a rock star of a composer, musician, and human being who destroyed the expectations of the music industry of his time. […] What I love about the Open WTC is the marriage of these two aspects of the composer. We clearly hear the structure and form that are so important to Bach in general, and to this work in particular. At the same time we hear the expression and emotive aspect in the music, the part that made Bach into rock star he was. A great example of this balance is in Prelude 10, which I’m used to hearing played as a facile excercise. Kimiko’s performance starts from a playful reading of the opening theme, and transitions into a simply amazing Presto that is so “rock star”, it might as well be concluded by smashing a guitar and biting the head off a bat.