Versuch über Materie und Leiblichkeit

Zeichnung von Descartes
Descartes entwirft einen holographischen Arzt.
Descartes diagram” by René Descartes(?) – Scanned from Dagfinn Døhl Dybvig & Magne Dybvig (2003). Det tenkende mennesket. Oslo: Tapir akademisk forlag. ISBN 8251918642. Page 173. Which had it from Descartes: The World and Other Writings. Cambridge U.P. 1998.. Licensed under Public Domain via Wikimedia Commons.

Star Trek hat – im Rahmen der Erfordernisse des Plots – eine post-scarcity economy: Grundsätzlich gibt es dank Warp-Antrieb und Replikator weder Energie- noch Materie-Knappheit (außer wenn man die Ferengi als sekundärantisemitische Karikaturen aufbauen, Bajoraner in die Minen schicken oder Handelsverhandlungen führen will).

Weniger futuristisch dagegen: Die Materialität von Information. Wenn Voyager Briefe aus der Heimat empfängt, verteilt Neelix die Briefe einzeln per Padd an die Crew, und besonders frappierend: Es gibt ein virtuelles, missionskritisches Crewmitglied, den holographischen Arzt, und niemand macht eine Sicherungskopie, selbst wenn man ihn über dubiose Relays kurzzeitig in den Alphaquadranten schickt.

(»Niemand« stimmt nicht ganz: es gibt ein Backup-Modul für den Doktor, das taucht nur einmal auf und wird an anderen Stellen von VOY nie erwähnt, wenn man mal ein Backup gebrauchen könnte. Ist hier ein retcon möglich? Ist der eigentliche holographische Arzt so sehr als Person anerkannt, daß ein Backup als geschmacklos empfunden wird?)

Mit einen gegenwärtigen Blick auf Technik scheint das zunächst eine Erzählstrategie aus einer Zeit zu sein, in der Informationstechnik und vor allem das Kopieren von Informationen noch nicht so selbstverständlich war. (Im Techniktagebuch weist Thomas Renger darauf hin, daß in den 90ern das Speichern von Texten besonders erklärt werden mußte.)

Es gibt aber auch noch eine andere Erklärung, die zwar im Star-Trek-Kanon direkt nicht belegt werden kann, aber einige scheinbare Widersprüche plausibel macht: Leibphänomenologie und ein Weltbild, das statt einem cartesischen Dualismus von Körper und Geist eine leib-seelische Einheit stark macht. »Der Mensch hat nicht einen Leib, er ist Leib«, heißt es bei Merleau-Ponty.

Nachweisen läßt sich das mindestens seit TNG (in TOS bin ich nicht so informiert, womöglich ist dort Dualismus zu konstatieren, vgl. Spocks Gehirn): Data ist das prominenteste Beispiel, aber nicht das beste. (Die Folge, in der geklärt wird, ob ihm ein Personenstatus zukommt, Measure of a Man, ist philosophisch wie erzählökonomisch unbefriedigend – wie könnte das zu einem Zeitpunkt noch bestritten werden, zu dem Data bereits Offizier ist und Führungsverantwortung hat?) Immer wieder erlangen vom Holodeck erzeugte Figuren Bewußtsein: Professor Moriarty in Ship in a Bottle, Vic Fontaine über die Laufzeit von DS9, Leonarda da Vinci in VOY – dem Verhalten nach wie in der Reaktion der jeweiligen Gegenüber mit unbestrittenem Personenstatus sind sie nicht einfach nur Simulationen, ihnen kommt ein bestimmter Personenstatus zu.

Das zu lösende Paradox: Alle diese holographischen Lebensformen haben anscheinend einen anderen ontologischen Status als die Computer, die sie berechnen und projizieren: Niemand kommt auf die Idee, den Bordcomputer oder das Schiff nicht als Ding, als bloß Vorhandenes und Zuhandenes, zu behandeln (sieht man von der nautisch-erotischen Personifizierung ab, die Kapitäne schon Segelschiffen zukommen ließen) – und das ist der Punkt, an dem die Leibphänomenologie ins Spiel kommt: der Körper ist nicht bloße Trägermasse, nicht Automat und Schiff, in dem der Geist Steuermann ist. Personalität ist wesentlich Leiblichkeit, der Geist kein separierbarer Algorithmus, sondern kann erst sein in der leiblichen Einheit des Fleischs. (Ein Begriff Michel Henrys, der sich auch sehr produktiv mit christlicher Theologie beschäftigt, in der die Inkarnation, die Fleischwerdung zentral ist: »das Wort ist Fleisch geworden«, »den Heiden eine Torheit«, d. h. dem idealistisch-intellektualistischen hellenischen Weltbild, das auch den Dualismus wesentlich befeuert, widersprechend. Und, nebenbei, jetzt zu Ostern: leibphänomenologisch wird auch die leibliche Auferstehung der Toten nicht zu einer naiven Jenseitsvorstellung, sondern zur einzig schlüssig denkbaren.)

Im Ergebnis: Seine Personalität erhält der holographische Doktor gerade durch das Hologramm; daß er nicht einfach als Information kopierbar ist, daß es nicht praktikabel ist, eine Kopie in den Alphaquadranten zu schicken, daß er auf Außenmissionen (die ihm der mobile Emitter erlaubt) verloren gehen und »sterben« kann – das liegt daran, daß der holographische Leib seine algorithmischen Datenursprünge transzendiert und er als Leib Person ist. (Eine Denkfigur, die auch in der transhumanistischen Szene bedacht werden sollte, und zwar dort, wo »mind uploading« schon als hinreichend für Unsterblichkeit gesehen wird – in meinen Augen ein rettungsloser, leibvergessener Dualismus.)

(Um einen Einwand gleich anzusprechen: Wie so oft ist das etwas bizarre sprunghafte Evolutionsverständnis der Star-Trek-Kosmologie hier problematisch; nicht nur einmal kommt es zu plötzlichen Evolutionssprüngen, bei denen die nächste Stufe als eine spontane – nicht graduelle – Vergeistigung unter Aufgabe des Körpers ist – das passiert in TNG, das passiert Kes, in gewisser Weise ist auch Wesley Crusher auf diesem Weg.)

Warum aber ständig Informationen ohne Sicherungskopie auf Padds herumgetragen werden müssen: Da hilft keine Philosophie.

2 Gedanken zu „Versuch über Materie und Leiblichkeit“

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