Wir werden als Koalition an dem gemessen, was in Wahlkämpfen gesagt worden ist. Das ist unfair. (Franz Müntefering)
Zu jeder Wahl bestelle ich mir die Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien. Per Post. Nicht, weil mich deren Inhalt interessieren würde. Mich interessiert, wer wie schnell verschickt und wie’s aussieht. 2005 hatte die FDP in Sachen Geschwindigkeit die Nase vorn, dieses Jahr auch. Wesentlicher Unterschied: die SPD war diesmal reichlich hinten.
Trotzdem: Wahlprogramme interessieren mich nicht. Bei Spreeblick wird kritisiert, daß der Wahlomat ein unterkomplexes Politikverständnis fördert:
Der Wahlomat vermittelt Leuten, die sich wenig oder gar nicht mit Politik auseinandersetzen, den Eindruck, er gäbe ihnen die Antwort auf die Frage, welche Partei mit ihnen kompatibel sei. Und das innerhalb von fünf Minuten. Das ist Politik für Politikverdrossene und keine Maßnahme, um Politikverdrossene zurück zur Politik zu führen.
So schlimm finde ich das nicht; immerhin wird so flott für eher Uninteressierte (die Jugendringe machen gute Erfahrungen mit dem Wahlomat) eine Position dargestellt. (Unterkomplexer als Polittalkshows wird es schon nicht werden.) Das ist die Stärke des Wahlomaten: Grundsätzliche Differenzen aufzeigen, ein Gefühl dafür, wofür die Partei steht.
Dennoch: Wahlprogramme (oder Wahlprüfsteinen) interessieren mich nicht. Wahlprogramme sind dann interessant, wenn es um große Richtungsenscheidungen geht: Ostpolitk, Westintegration, NATO-Doppelbeschluß, Atomausstieg. (Dann muß aber auch das Thema noch interessieren und wichtig genug zu sein. Die SPD scheint gerade festzustellen, daß Krümmel nicht Steinmeiers Irakkrieg wird.)
Außerhalb solcher »Schicksalswahlen« wählt man aber nicht Themen – sondern (über die Listen reichlich indirekt) Vertreter, die eine Legislaturperiode lang die verschiedensten Dinge entscheiden müssen. Da wäre es reichlich unklug, auf ein Programm oder gar einzelne Punkte zu setzen, die dann bei einer Koalitionsverhandlung unter den Tisch fallen könnten. (Für welche Partei sind die Internetsperren so wichtig, daß sie daran eine Koalition scheitern lassen würden? Die Lauschangriff-FDP? Die Kosovo-Grünen?)
Ich wähle daher nach politischer Grundausrichtung: Wenn ich liberale Politik will, die FDP. Wenn ich grüne will, die Grünen. Für Sachfragen engagiere ich mich selbst politisch.
Das bewährt sich auch eher. Haben die CDU-Wähler, die wegen dem Leipziger Programm die CDU gewählt haben, ihr Programm bekommen? Nein. Die CDU-Wähler, die eine konservative Politik wollten, haben aber immerhin eine Schäuble-Innenpolitik bekommen.
(Gestern habe ich über die Piraten als Metapartei geschrieben: Wenn ich schon meinen passenden ideologischen Filter wähle – dann doch lieber eine Partei, die auch möglichst viele Politikfelder filtert.)
(Die Frage, die alle am meisten interessiert: Die Reihenfolge war FDP, Grüne, SPD, CDU, Linke.)
Stellt sich im Anschluss die kleine Frage, ob Du die bevorstehende Wahl als “Schicksalswahl” ansiehst – und die Wahlprogramme Dich dann doch interessieren – oder Dir der 27. September mehr oder weniger egal ist. Für letzteren Fall nehme ich in Analogie zu Deinen Bestellungen an, Du gehst hin, gibst aber einen leeren Stimmzettel ab?
Nur weil mich Wahlprogramme nicht interessieren, heißt das nicht, daß ich nicht wählen gehe oder nur bei Schicksalswahlen.
Bei meiner Wahlentscheidung orientiere ich mich an meiner grundsätzlichen ideologischen Übereinstimmung: Wahlprogramme sind zwar verhandelbar, aber es macht einen Unterschied, ob jemand mit linker, grüner, liberaler, sozialdemokratischer oder christdemokratischer Grundeinstellung sie verhandelt. Und da habe ich klare Präferenzen.
Die Aufgabe eines Wahlprogramms wäre es, ein so wichtiges Politikfeld abzustecken, daß meine ideologischen Präferenzen in der Wichtigkeit zurücktreten. Für Willy Brandts Ostpolitik würde ich gegen meine Präferenz vielleicht wählen, für Adenauers Westintegration gegen meine Präferenz CDU.