Fides sine ratione. Esoterik im Bayerischen Rundfunk

Am 16. November 2009 war das Thema der BR2-Sendung »Theo.Logik« Esoterik: Okkultes Schreckgespenst?. Ich weiß nicht, ob die Sendung allein vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk verantwortet wird oder ob sie von einer kirchlichen Redaktion getragen wird.

In beiden Fällen wäre die Sendung ein intellektuelles Armutszeugnis: Für eine öffentlich-rechtliche Redaktion, da sie weitgehend journalistische Distanz zu ihrem Thema vermissen läßt, für eine kirchliche, da sie völlig darin scheitert, das beschriebene Phänomen theologisch und philosophisch zureichend einzuordnen.

Esoterik wird zunächst von seiner Wortbedeutung her gedeutet: ἐσωτερικός, »nach innen gerichtet«. »Nach innen gerichtet« wird sogleich über die wörtliche Bedeutung, der Ausrichtung auf einen inneren (Schüler-)Kreis hinaus, begrifflich aufgeladen mit »mystisch«, »geheim« und was das Wortfeld sonst noch hergibt. Im Laufe der Sendung steigert sich das bis hin zu »Esoterisch ist, was im Inneren geschieht. Ein innerer Weg zur Weisheit oder zu Gott.« Die unverhohlene Sympathie der Redaktion für Esoterik wird in Bemerkungen deutlich wie der, daß »unter diesem Etikett auch viele unseriöse Angebote [laufen]«, oder deutlicher auf der Webseite: »Mit diesem Label schmücken sich Scharlatane und seriöse Anbieter [sic!] gleichermaßen.« – als ob das Kennzeichen von Esoterik nicht gerade der Mangel an Seriosität, die Verweigerung der Deutung aus einem rationalen Verstehenshorizont heraus.

Von der vermeintlich »eigentlichen« Wortbedeutung her wird Esoterik dann in erster Linie historisch und ethnologisch gedeutet; ein sicherlich wichtiger Aspekt, der jedoch einem theologischen und philosophischen Ansatz nicht gerecht wird, beschreibt er doch zunächst nur Phänomene, anstatt sie zu analysieren, zu interpretieren und einzuordnen.

Symptomatisch ist dann auch, daß Kirchen- und Religionsgeschichte sehr selektiv interpretiert wird. Da wird die Religionsausübung der ersten Christen als esoterisches Phänomen beschrieben und nicht primär als Flucht vor der Christenverfolgung gedeutet. Indem ein Kuriositätenkabinett der Kirchengeschichte aufgefahren wird, bestehend aus verschiedenen randständigen Ansichten und Lehren, wird eine mystische Atmossphäre voll verborgener und unterdrückter Weisheit konstruiert. Randständigkeit ist aber kein Beweis für Wahrheit, sondern ein Zeichen dafür, daß die Lehren vor dem theologischen Diskurs nicht bestehen konnten – oder ihre Vertreter ganz profan Machtkämpfe verloren haben. Die historische »Analyse« gipfelt dann darin, daß das katholische Eucharistieverständnis als esoterisch verstanden wird, ohne den philosophischen und theologischen Hintergrund zu diskutieren, ohne den Begriff des »Geheimnis des Glaubens« näher auszuführen. Das griechische μυστήριον (lat. Mysterium) ist gerade kein Geheimnis im Sinne einer geheim gehaltenen oder für einen inneren Kreis bestimmten Information, sondern steht für die Vergegenwärtigung Gottes und eine den Geist übersteigende Wahrheit.

Obwohl die Redaktion sich für eine rein deskriptive Deutung entschieden hat, fehlt der naturwissenschaftliche Aspekt völlig. Als Experten kommen Ethnologen und Historiker zu Wort, jedoch niemand, der Behauptungen aus dem Bereich der Esoterik naturwissenschaftlicher Überprüfung unterzieht. (Etwa ein Vertreter der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften.) Der Sendung fehlte jedoch der Mut, eindeutig Stellung zu beziehen und Unsinn auch Unsinn zu nennen. (Immerhin zeigt die Reportage von der Münchener Esoterimesse so offensichtlichen Unsinn, daß sich eine kommentierende Einordnung erübrigt.)

Ernsthaftes, der Vernunft verpflichtetes philosophisches Fragen und die Beschäftigung mit existentiellen Fragen wird so auf eine Stufe gestellt mit Aurafotografie und Homöopathie. Die von Klemens von Alexandria als Kennzeichen der Gnosis identifizierten Fragen – Wer waren wir, was sind wir geworden, wo waren wir, bevor wir in diese Welt kamen, wohinein sind wir geworfen, wohin eilen wir, wovon werden wir erlöst, was ist Geburt, was ist Widergeburt? – werden nicht als Ausgangspunkt eines rationalen Diskurses genommen, sondern benutzt, um alle Antwortversuche darauf als Esoterik zu definieren. Indem so suggeriert wird, daß alle Antworten auf diese Fragen legitim seien, solange sie nur helfen, spielt das Kriterium der Rationalität keine Rolle mehr.

Die Behandlung der Verbindung von Esoterik und Christentum (denn, so lernen wir: »Es wäre unredlich, unser Thema, also die Esoterik, völlig vom Christentum zu lösen, als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun.«) ist dann auch geprägt davon, daß das christliche Verständnis von Wahrheit und das Verhältnis von Glaube und Vernunft nicht einmal diskutiert wird. Indem alle Antworten auf existentielle Fragen als gleichermaßen gültige esoterische Wahrheiten oder Weltdeutungen qualifiziert werden, wird die christliche Position (ausgeführt etwa in der Enzyklika Fides et Ratio von Johannes Paul II.) reduziert auf »credo ut intelligam« (»ich glaube, um zu verstehen«), das notwendige komplementäre »intelligo ut credam« (»ich verstehe, um zu glauben«), das die rationale Fundierung der Theologie und des Glaubens begründet, wird ausgeblendet.

Vollends der esoterischen Argumentation auf den Leim geht die Redaktion dann, wenn der Wahlspruch jeglicher Verschwörungstheorie angeführt wird: »Glaube ist immer mehr, als sich in dogmatischen Bänden festlegen läßt.« Das ist entweder eine Platitüde, die in ihrer Trivialität dreist ist (kein ernstzunehmender Theologe würde etwas anderes behaupten), oder handfester Obskurantismus: Die bloß sich Wissen anmaßende Wissenschaft gegen die tatsächliche Einsicht der Eingeweihten.

Dabei hatte die Sendung auch gute Ansätze gehabt: Das christliche Menschenbild, das die Heilsbedürftigkeit des Menschen feststellt, wird erwähnt. Dieses Heilsbedürfnis ist natürlich eine Triebfeder für die Beschäftigung mit Esoterik. Daraus folgt aber nicht, daß um des Gefühls der Heilung und der Kontingenzbewältigung willen jegliche Täuschung erlaubt ist. Daß Esoterik gerade die Heilsbedürftigkeit der Menschen ausnutzt, sie nicht als vernünftig ernstnimmt, wird nicht erwähnt. Esoterik wird als Werkzeug beschrieben, nicht als intellektuelle Kapitulation vor der Komplexität der Welt. So verstanden wie im Beitrag dargelegt, ist Religion tatsächlich Opium des Volkes. Das Christentum hat aber nichts mit frommen Lügen zu tun: »Die Wahrheit wird euch freimachen« (Joh, 8, 32)

In dieselbe Kerbe schlägt dann auch die Engführung von Esoterik und jeglicher Form von Spiritualität, Gotteserfahrung und Mystik. Auch wenn all das Mysterium im Wortsinn ist, also eine das in Worte Faßbares transzendierende Wahrheit, müssen sich die verschiedenen Formen christlicher Frömmigkeit doch auch vor dem Horizont dem Theologie rechtfertigen. Eine rationale Rechtfertigungsinstanz fehlt bei Esoterik jedoch völlig.

Aus all diesen Gründen bin ich sehr unzufrieden mit der Theo.Logik-Sendung vom 16. November. Eine derartige Beschäftigung mit theologischen Themen ist gerade nicht theo-logisch, also der vernunftgemäßen Deutung der Offenbarung verpflichtet. Diese Sendung spielt all denen in die Hände, die der Theologie Wissenschaftlichkeit und Rationalität absprechen wollen.

Diese Kritik habe ich als »Hörerbrief« an den Bayerischen Rundfunk geschickt.

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