In dieser Woche bin ich auf zwei großartige Blog-Projekte aufmerksam geworden. Sonst packe ich für lesenswert befundene Blogs kommentarlos in die Blogroll, diese beiden möchte ich dem geneigten Leser besonders ans Herz legen: Das KD-Projekt und Demokratie von unten.
Im KD-Projekt geht es darum, die gesamte Kirchliche Dogmatik von Karl Barth zu lesen. 9000 Seiten in einem Jahr. Die Idee, etwas großes zu lesen und darüber zu berichten, ist nicht neu. Um die Lesemaschine ist es schon geraume Zeit still (zuletzt wurde dort nur noch Descartes gelesen; lesenswert, aber sehr ausführlich und kompliziert), A. J. Jacobs’ Britannica-Projekt ist schon lange abgeschlossen (und war zwar sehr kurzweilig, aber auch extrem triviaorientiert), und demnächst läuft das Lese-Blog zu David Foster Wallaces »Unendlicher Spaß« aus.
Alex Kupsch (bei Twitter unter @kdprojekt), der Autor des KD-Projekts, schreibt ein wunderbar lesbares Lesetagebuch. Nicht übermäßig häufig, nicht jeder kleine Schritt wird dokumentiert. Das macht das Blog auch gut verfolgbar. Eine Stärke ist die Sprache: Der bisweilen doch sehr sperrige Karl Barth wird so aufbereitet, daß die Artikel gut in einem Feedreader aufgehoben sind und nicht nur für Theologen verständlich sind. Ein schönes Beispiel aus dem aktuellen Artikel, »Erste Gedanken zur Christologie«:
Typisch für Barth ist hier der Gedanke, dass die Erkenntnis Jesu von Nazareth als Sohn Gottes keine irgendwie menschlich geartete Reflexion auf dessen besondere Persönlichkeit ist („War doch eigentlich ein dufte Typ, oder? Kann man sich einen dufteren vorstellen? Ich glaube nicht! Dann war er wohl Gott, oder so.“), sondern als ein Offenbarungsfaktum jedem theologischen Denken stets vorangeht („Das ist ja wahrhaftig Gottes Sohn! – Äh, was heißt das denn jetzt?“).
Ganz anders geartet ist Demokratie von unten (bei Twitter: @wahlrecht), und dieses Blog gibt es auch schon etwas länger – seit 2008. Martin Wilke in seinem Mission statement:
Unter „Demokratie von unten“ verstehe ich die gemeinsame Selbstregierung einer Gruppe von Menschen auf gleichberechtigter Grundlage. […]
Auf politischer Ebene kann dies durch Wahlen und Abstimmungen geschehen. Aber diese müssen mit fairen Verfahren stattfinden.Daher geht’s in diesem Blog um ein faires Wahlrecht und faire Abstimmungsregeln, die es den Menschen tatsächlich ermöglichen, von unten Einfluss zu nehmen.
„Demokratie von unten“ heißt aber auch, dass Demokratie im Alltag erlebbar sein muss, und zwar gerade auch für Menschen, die erst in diese Gesellschaft hinwachsen, nämlich Kinder und Jugendliche. Daher geht es hier auch um Demokratische Schulen und die Gleichberechtigung des Kindes.
»Demokratie« ist hier kein wolkiges Klischee aus Sonntagsreden. Hier geht es in den Maschinenraum der Partizipation. Wo ich in meinem Blog mit dem einen Tag »Verfahren« auskomme, gibt es dort Tags wie »Cloneproof Schwartz Sequential Dropping«.
Im Blog geht es um die Anwendung von Wahlverfahren, Satzungsvorschläge werden ausgearbeitet und gründlich überprüft. Das klingt trocken und formalistisch, ist aber nötig. Satzungen werden gerne als Korsett und Beschränkung erfahren. Bei Demokratie von unten wird deutlich, daß solche Regeln erst Freiheit und Demokratie ermöglichen – man kann es nicht pathetisch genug sagen:
Procedure is more than formality. Procedure is, indeed, the great mainstay of substantive rights. […] Without procedural safeguards—liberty would rest on precarious ground and substantive rights would be imperiled. (William O. Douglas)
Martin Wilkes Projekt finde ich deshalb so lesenswert, weil in meiner eigenen politischen Arbeit Verfahrensfragen und Legitimation, Partizipation und Transparenz immer eine große Rolle gespielt haben. Das kommt nicht immer gut an, ist aber von größter Wichtigkeit. Das wird in Martin Wilkes Blog hervorragend dargestellt: Bei Demokratie von unten wird der Anspruch »Demokratie von unten« wirklich eingelöst.