Versprechen

Gestern abend wurde im SWR-Fernsehen über Stuttgart 21 diskutiert; die Inhalte und Argumente waren soweit vorherzusehen, interessant fand ich die Diskussion aus einer demokratietheoretischen Perspektive.

Zweimal versuchte der Moderator, Versprechen abzunötigen: Einmal Tanja Gönner (CDU-Verkehrsministerin), daß die Kosten nicht steigen würden, das andere Mal Winfried Hermann (grüner MdB und Verkehrspolitiker), daß die Grünen im Falle eines Wahlsiegs Stuttgart 21 in jedem Fall stoppen würden. Meine erste Intuition: Hier stimmt etwas nicht, »Versprechen« ist eine problematische politische Kategorie. Meine zweite: Aber da war doch Hannah Arendt, die das Versprechen in ihrer Vita activa an den Schluß ihres Kapitels über »Handeln« stellt; Handeln ist für Arendt (ganz grob) das Politische: Wo freie Menschen aufeinandertreffen und die Bedingungen ihrer Freiheit aushandeln.

(Der andere interessante Aspekt wäre Gönners Demokratieverständnis; in Ermangelung einer greifbaren Aufzeichnung kann ich dazu leider – noch – nichts schreiben.)

Das Insistieren des Moderators darauf, explizit ein Versprechen abzugeben, erinnerte mich an die Manier eines Frank Plasberg, bei dem Politik und Realität gut populistisch als zwei völlig verschiedene Sphären gezeichnet werden, hier die verlogene, rein der Logik der Macht unterworfene Sphäre, dort die der ehrlich Arbeitenden, die »Klartext« hören wollen. (Zur Methode Plasberg habe ich vor einiger Zeit einen Artikel geschrieben.)

Beide, Gönner und Hermann, können das Geforderte gar nicht glaubhaft versprechen; möglich ist bestenfalls hier darzulegen, worauf die Kostenplanung beruht und welche Eventualitäten einkalkuliert wurden, dort, daß diese Absicht zur Vorbedingung von Koalitionsverhandlungen gemacht wird (wie bei einem derart komplexen Projekt dann die Absichtserklärung in die Realität umgesetzt wird, ist bei der Fülle an Vetospielern kaum absehbar).

Eingefordert wird hier nicht nur eine der Politik fremde Alternativlosigkeit, die noch als schlechter (wenn auch immerhin möglicher) Politikstil durchgehen kann. (Wobei schon die Behauptung einer Alternativlosigkeit eine in der Realität nicht vorgegeben totale Planbarkeit impliziert.) Hier wird Politik nicht politikförmig gedacht, sondern als (Sozial-)Ingenieurswesen; ein Anspruch, den Politik nie wird einlösen können.

Hannah Arendt denkt Versprechen dennoch sogar als »zentrale politische Fähigkeit« und erinnert an Vertragstheorien als Erklärungsmuster des Politischen. Mit Arendts Definition wird aber auch klar, daß ein Versprechen über ein zukünftiges Faktum im eigentlichen Sinn kein Versprechen sein kann. Versprochen werden Absichten und Handeln; nicht Fakten.

Versprechen tragen zwei Grundkonstanten des menschlichen Lebens Rechnung: Daß unter den Bedingungen der Freiheit gar keine völlig verbindlichen Voraussagen des eigenen Verhalten gemacht werden können. (Arendt spricht davon, daß Menschen sich »nicht selbst vollständig vetrauen« können.) Und daß Konsequenzen nicht in Gänze planbar sind, daß die Wirklichkeit zu komplex ist, als daß alle Folgen vorausgesehen werden könnten:

Die Aufgabe, die das Vermögen, Versprechen zu geben und zu halten, im Rahmen der menschlichen Angelegenheiten zu leisten hat, ist es, mit dieser zweifachen Ungewißheit wenigstens in dem Maße fertigzuwerden, daß der einzige andere Weg so etwas wie Ordnung in die Angelegenheiten der Menschen untereinander zu bringen, der Weg der Selbst-Beherrschung und der Herrschaft über andere, nicht eingeschlagen werden braucht.

Versprechen sind damit »Inseln in einem Meer der Ungewißheit«, dienen aber nicht dazu, »den Boden der Zukunft abzustecken und einen Weg zu ebnen, der nach allen Seiten gesichert ist«.

Versprechen einzufordern über Fakten und nicht über Absichten für das eigene Handeln trägt zu einer Politikverdrossenheit bei: Gönner und Hermann haben sich beide geweigert, ein Versprechen über zukünftige Fakten (die endgültigen Kosten und der endgültige Baustop) abzugeben – völlig zu recht. Ein solches Versprechen einzufordern bedient Ressentiments gegenüber Politik – es überhöht die Erwartungen an die Politik bei gleichzeitiger Abwertung der Politiktreibenden.

2 Gedanken zu „Versprechen“

  1. Schön, (endlich) wieder etwas von Ihnen zu lesen. Fast unnötig zu sagen, dass ich fast vollständig zustimme, jedenfalls, was die Schlussfolgerung angeht. Und schade, dass ich meine Timeline vor der netzpolitischen Soiree gestern nicht noch mal durcheblättert habe; sonst hätte ich mal Hallo gesagt.

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