Die Intelligenz einer Gruppe als ganzes errechnet sich aus der Intelligenz des klügsten Gruppenmitglieds geteilt durch die Anzahl der Gruppenmitglieder – mit der Anzahl der Kommentare geht die Wahrscheinlichkeit eines kreuzdämlichen Kommentars, der die Diskussion mit seiner Dämlichkeit ansteckt, steil gegen 1. Kurz: Menschen und Meinungen skalieren nicht. (Karl Valentin, encore: Der Mensch ist gut, aber die Leut san schlecht.) Und das führt dazu, daß fragmentierte Öffentlichkeiten und die splendid isolation einer filter bubble nicht Ignoranz erzeugen, sondern einen qualitativen Diskurs erst ermöglichen.
Die Filterbubble-These als Kritik am Netz hat zwei Aspekte: die technische Auslieferung an fremdkontrollierte Filter-Algorithmen, die immer nur mehr vom gleichen liefern (darauf hebt Pariser ab), und der selbstverursachte und gewollte Rückzug in die eigene Komfortzone, sei’s aktiv, sei’s passiv durch das Inkaufnehmen der Filter. Diese These ist nicht übermäßig belastbar, die allfällige Algorithmen-Kritik trägt auch technisch nicht – Christoph Kappes hat das schön widerlegtda schön dagegen argumentiert. (Überhaupt: nie war weniger aufgezwungene Bubble – früher zu meinen Schulzeiten, also nicht wesentlich länger als 10 Jahre her, als wir zuhause nur die Badischen Neuesten Nachrichten hatten, es in Kirrlach keine taz zu kaufen gab, und mein Deutschlehrer seine gelesenen Zeitungen für uns in die Schulbibliothek gelegt hat – das war bubble!)
Die eigenen Filter zu justieren und nicht nur nicht alles zu lesen, sondern auch nicht mit allen ins Gespräch kommen zu müssen, ist nötig – und es erhöht insgesamt die Qualität des Diskurses. Es müssen gar nicht alle miteinander reden. Das geht schief.
Ich erinnere mich an Usenet-Zeiten: Das Usenet ist trotz seiner dezentralen Architektur viel einheitlicher als die fragmentierten Öffentlichkeiten aus Social-Media-Kontakten und thematischen Nischen in Webforen, die heute die dominanten Diskursorte im Netz sind. Für den deutschsprachigen Raum war de.* ob seiner Größe und Reichweite maßstabgebend – zudem war de.* per Definition themenvollständig: Für jedes beliebige Thema gab es genau eine Gruppe – und sei es de.etc.misc.
drf, desd, drsrm haben jeweils spezielle Mehrheitskulturen und -meinungen ausgebildet, gegen die schwer zu argumentieren ist und die Diskussionen innerhalb der Minderheitsmeinung extrem erschwert haben (drf: Gegen Helm- und Fahrradwegpflicht; desd: deskriptive statt präskriptive Linguistik; drsrm: eher dramatism als gamism). Gruppen mit allgemeinen Themen, zu denen alle etwas zu sagen haben (Politik und Religion) waren Krieg und völlig unlesbar. (Ich schreibe in der Vergangenheit, auch wenn es all das natürlich weiterhin gibt – ich bin aber vor zwei, drei Jahren mit meiner Wanderung in die Cloud aus dem Usenet ausgestiegen – einen ordentlichen browserbasierten Usenet-Client habe ich noch nicht gefunden.)
Selbst wer sich seine persönliche Filter-Bubble zurechtschnitzte (und das war mit ordentlichen Readern problemlos möglich; mein Scorefile war hochkomplex), war doch der Mehrheitsmeinung einigermaßen schutzlos ausgeliefert, wenn nicht selbst mit entsprechendem Einfluß oder Postingvolumen Raum für die eigene Position geschaffen wurde.
Einheitliche, zentrale und alternativlose Diskursorte oder auch nur hinreichend große Mengen an Menschen (wie in Kommentarspalten von Zeitungen) führen zu der erdrückenden Meinungsmacht, vor der John Stuart Mill sich so fürchtete und die Tocqueville »Tyrannei der Mehrheit« nannte: Es braucht die geschützten Räume, in denen Meinungen ausprobiert werden können. Es braucht die Möglichkeit, erst einmal mit Gleichgesinnten oder auf einem bestimmten Niveau im Reden die Gedanken allmählich zu verfertigen. In den Theorien der politischen Öffentlichkeit des 20. Jahrhunderts ist Masse die Gefahr für die Freiheit: Habermas trauert dem Caféhaus und dem bürgerlichen Salon nach; Canetti betrachtet schaudernd, wie Menschen in der Masse enthemmt werden; Arendt sieht (mit Mill und Tocqueville) die Normierung des Einzelnen in der Massengesellschaft als Gefahr für das Politische überhaupt.
Eine politische Öffentlichkeit der Masse ist die Carl Schmitts: Politik als Unterscheidung von Freund und Feind, klar entscheidbare Alternativen, dafür oder dagegen, Macht und Wucht als Argument. Nur solche politischen Prozesse skalieren, die quantitativ auswertbar sind: Wahlen und Abstimmungen. Für das – in Arendts Sinn – eigentlich Politische, nämlich das Aushandeln der Bedingungen der Freiheit unter Freien und Gleichen, für einen rationalen Diskurs, braucht es Methoden, die sich bestenfalls über Repräsentation skalieren lassen: Dann sind nicht alle je einzeln Akteurinnen, sondern Parteien, Milieus, Interessen, Funktionen durch ihre jeweiligen Organe – Funktionäre, die sich einer medialen – also vermittelten – Öffentlichkeit bedienen (zur Funktion des Funktionärs sehr erhellend Frank Lübberding).
Allein vermittelte Öffentlichkeit genügt heute nicht mehr. Immer mehr Menschen wollen selbst Politik und Diskurs mitgestalten. Aus den technischen Möglichkeiten von Kommunikation und Publikation entsteht das persönliche Bedürfnis, zu sprechen und gehört zu werden, nicht mehr nur im Nahraum, sondern auch mit Wirkung im politischen Raum. (Oder konkret: Ich kann meine MdB antwittern, dann sollen sie aber auch antworten!) Zu all den Sprechenden gibt es aber nur eine begrenzte Zeit der potentiellen Hörenden an den Schaltstellen; Unmut, Politiker- und Parteiverdrossenheit schweißen zu einer unzufriedenen Masse zusammen. (Die Piratenpartei, geboren aus diesem Gehört-werden-wollen, steht gerade an der Stelle, wo es für sie darum geht, die Masse der Individualisten zu kanalisieren, ohne wieder eine Erfahrung der fehlenden Selbstwirksamkeit zu erzeugen. Liquid feedback ist ein solcher Versuch, qualitative Beteiligung an Politik skalierbar zu machen.)
So paradox es klingt: Unter den Bedingungen der globalen Kommunikation ist Fragmentierung der einzig gangbare Weg für qualitative Diskussionen, bei denen potentiell alle sich beteiligen können. Im persönlichen Facebook-Kontaktnetz, in Special-Interest-Foren gibt es die Freiräume, die in der einen zentralen thematisch passenden Usenet-Gruppe nicht möglich waren. Blogs schaffen sich (durch Sprache und Anspruch, durch Ästhetik und Stil, durch Moderations-, Diskussions- und Vergemeinschaftungsverhalten) ihre je eigene Mikro-Öffentlichkeiten, in denen die Beteiligten befriedigende Diskurse führen können. Der eigene Facebook-Kreis (nicht: Facebook), Foren, Blogs: Das sind die funktionalen Äquivalente von Aristoteles‘ (und Arendts‘) überschaubaren Marktplätzen, von Habermas‘ Salons.
Postdemokratie nach Crouch ist dadurch gekennzeichnet, dass zwar formal noch demokratische Institutionen bestehen, diese faktisch aber nichts mehr zu entscheiden haben; an ihre Stelle treten die Verhandlungen von wirtschaftlichen und politischen Eliten; der von der Exekutive geschlossene völkerrechtliche Vertrag bindet die nationalen Parlamente; es fehlt eine globale Instanz, die einen Ordnungsrahmen für global agierende Konzerne aufstellen kann. Immer größere Teile des Lebens werden datenförmig, und Daten kennen keine nationalen Grenzen.
Politik für möglichst viele ist nur in fragmentierten Öffentlichkeiten möglich, und gleichzeitig ist das materielle Ziel dieser Politik immer weniger lokal begrenzbar. Politik in fragmentierten Öffentlichkeiten ist nichts neues; früher konnten das Parteien, Verbände, Initiativen in ihren Untergliederungen mit Hilfe des Prinzips der Repräsentation als Transmissionsriemen leisten. Die politische und demokratietheoretische Zukunftsfrage wird sein, wo der Transmissionsriemen ist, der heute Mikroöffentlichkeiten und Weltinnenpolitik verbindet und der die fragmentierten Öffentlichkeiten in einer gemeinsamen Öffentlichkeit bündelt.
Ist die Antwort nicht in gewisser Weise nach wie vor: in den Parteien? Ist nicht die Antwort auf genau diese Problematiken eben die Rechtfertigung für die parlamentarische Parteien-Demokratie (im Gegensatz zur direkten). Die Partei als Zirkel, die Abteilungen und Kreisverbände als Zirkel. Dieser Teil der Frage scheint mir nach wie vor beantwortet zu sein, auch wenn man neue Kommunikationsformen innerhalb der Parteien eventuell überdenken kann und sicherlich die Kommunikation der Parteien in die Restgeselllschaft überdenken muss (die Blog- und Twitteröfentlichkeit der Piraten gefällt mir da sehr gut).
Die ander Seite, das Postdemokratie-Problem, ist meiner Meinung nach das einzige wirkliche ungelöste Problem, zu dem es bis heute auch keine konkreten Ideen zu geben scheint.
Grundsätzlich sind Parteien schon eine Antwort auf das Problem. Allerdings eine, die an allen Stellen den Geist der Rahmenbedingungen ihrer Entstehungszeit, also des 19. Jahrhunderts atmet, als Kommunikation und Mobilität langsam und teuer bis unmöglich waren, zudem entstanden Parteien in einem weitaus weniger fragmentierten Umfeld – als noch eine hinreichend große Kongruenz der Meinungen in den Großmilieus und eine hinreichend deutliche Abgrenzung von den anderen Großmilieus herrschte.
Eine sich immer mehr ausdifferenzierende und individualisierte Gesellschaft, oder besser: die Mitglieder dieser Gesellschaft, tun sich immer schwerer, so ein ganze ideologisches Bündel mitzukaufen durch das Engagement in einer Partei.
Nicht umsonst klagen ja alle Großorganisationen, die bisher die Meinungsaggregation übernommen haben, über Mitgliederschwund, während es an politischem Interesse und Partizipationsbereitschaft in Einzelfragen keinen Mangel gibt. Zudem paßt die Organisationslogik einer Großorganisation (für die das eherne Gesetz der Oligarchie gilt und wohl auch gelten muß; auch das ist eine Form der Komplexitätsreduktion) mit ihren langsamen und indirekten Prozessen, Hierarchien und Ochsentouren nicht in die Erwartungshaltung vieler, die eben schnelle und direkte Kommunikation und Partizipation gewöhnt sind.
Zur Fragmentierungsfrage noch zwei Anmerkungen:
In der gestrigen Anhörung der Enquete-Kommission hat Prof. Neuberger in seinem Gutachten in Ziff 2 Stellung genommen und kommt zu dem Ergebnis, eine Fragmentierung liesse sich „kaum nachweisen“ http://www.bundestag.de/internetenquete/dokumentation/Sitzungen/20120319/A-Drs_17_24_049-F_-_Stellungnahme_Prof_Dr_Neuberger_19_3_2012.pdf (gemeint ist wohl nach Meinungen fragmentiert.)
Ich selbst glaube, dass einige technische Entwicklungen zeigen, dass wir „Hot Spots“ und eine mehrdimensionale Agora bekommen werden. Was wir jetzt sehen, ist also ein Übergangszustand. (Siehe Abschnitt B IV in meiner Stellungnahme, http://christophkappes.de/wp-content/uploads/2012/03/20120315_Enquete_InternetDemokratie_Kappes.pdf).
„. Die „Agora 2.0“ ist ein großer, aber dezentraler Kommunikationsraum, der durch neue Sichten auf Kommunikationsakte zugänglich gemacht wird. Die „Agora 2.0“ ist
gewissermaßen eine Über-Stadt, die aus Städten mit ihren Gängen, Straßen, Kreuzungen, Plätzen und Stadien besteht, nur mit dem Unterschied, dass jedermann sich per Klick in die dortige Kommunikation einschalten kann.“
(Sich selbst zu zitieren macht sich ja nie so gut, aber wer will schon alles doppelt machen ;-).
An sich ist ja ein Netz DIE Antwort auf Verinselung. Die Suchfilter spielen daher im sozial gewordenen Netz keine abschottende Rolle mehr, sondern sind tatsächlich nur als unvermeidlich notwendiger Vorsortier-Service zu verstehen, wobei ja die erste Bubble immer der Suchende selbst anlegt, durch die Wahl seiner Suchworte. Und wie jeder weiß, ist die Suche nur noch ein Teil des informationsbezogenen Traffics. Das Netz ist ja per se ein Zirkulationsmechanismus – „die Information findet uns“.
Ein schlichtes Gemüt wie ich tut sich daher schwer zu verstehen, wo es da wirklich etwas zu diskutieren gibt.
Interssanter finde ich, was jetzt mit Pinterest aus dem Unsichtbaren ins Sichtbare kommt: die verdeckte Selbst-Rubrizierung der Internet-User. Mir fällt das zunächst nur auf. Pinterest gedieh ja besonders schnell im Mittleren Westen der USA, nicht an Ost- oder Westküste, also dort, wo die Borniertheit sogar ziemlich aggressiv und anti-aufklärerisch werden kann. Es ist der Dienst, der das Interesse an einem von vornherein beschränkten Umfeld bedient, wo man nicht von Informationen aus der NYT gefunden wird.
Diese Beobachtung führt mich zu dem Verdacht, dass der durchschnittliche Internet-User tatsächlich viel uninteressierter an den „res publica“ zu sein scheint, als man hoffen müsste. Von daher ist der Rückzug substanzieller politischer Diskussion in Fach-Enklaven, wo „wir unter uns“ sind, zwar ein nachvollziehbarer Verbesserungsvorschlag zur Diskussionsqualität. Es könnte daraus aber auch eine Fragmentierung entstehen, die nirgends mehr zu einem Ganzen wird, sondern die Trennungen zementiert.
Übrigens sehr interessant vor ein paar Tagen dieser Link zu der Unfähigkeit der europäischen Wissenschaftler zu bloggen (gemeint sind wohl in erster Linie die Ökonomen): http://www.bruegel.org/blog/detail/article/708-europeans-cant-blog
Debattenqualität würde demnach demnach nicht dadurch entstehen, dass man sich auf Themenfragmente zurückzieht, wo die Mehrheit nicht mehr mitkommt, sondern mit der Bereitschaft der „Qualitätsführer“, sich in das lebendige Internetgespräch einzubringen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass 90% der deutschen Professoren der nackte Ekel überfällt bei dem Gedanken, ihre Meinungen und Beobachtungen sowohl dem Fachpublikum wie dem fachinteressierten „Mob“ vor die Füße zu werfen. Eventuell habe ich da aber auch keinen Überblick … Wie auch immer, diese grenzüberschreitende Offenheit ist auch sehr wichtig, bevor die User alle in ihren Silos verschwinden.
Wie so oft: das Netz macht sichtbar, was es vorher schon gab. Da stimme ich Dir durchaus zu, daß das Netz schon Teile der Antwort beinhaltet: Wir können ziemlich schnell neue Öffentlichkeiten kennenlernen. Es ist viel einfacher, die eigenen Kreise zu verlassen und vom Fachwissen anderer zu profitieren, die vorher einfach nicht zu erreichen gewesen wären. Dennoch stehen verschiedene Teilöffentlichkeiten oft sehr unverbunden nebeneinander. Wir haben das gerade ja bei den ACTA-Demonstrationen gesehen, wo niemand von der etablierten Netzpolitikszene sich zunächst erklären konnte, wo all die jungen Leute herkommen – es waren wohl die mobilisierenden Youtube-Blogs, die niemand älteres so richtig auf dem Schirm hatte. Ähnlich die Blogosphäre, wo es noch mehr gibt als das Re:publica-Zielpublikum, und sich ganz neue (und relativ unverbundene) Kosmen auftun; dazu hatte ich mal einen Vortrag gehalten, dessen Folien und Ausformulierung online sind.
Zum zweiten Punkt: Ja, stimmt wohl. Der durchschnittliche Internet-User ist wohl tatsächlich viel uninteressierter an der res publica, als zu hoffen wäre. Hier allerdings wieder: Das Netz macht sichtbar, was vorher (schon immer) auch so war, und es ermöglicht viel mehr Leuten, sich zu informieren und zu beteiligen. Gleichzeitig suche ich ja gerade die Strategie, wie aus den behüteten Fachenklaven dann wieder der Übertritt in eine große, gemeinsame Öffentlichkeit gefunden werden kann. Leider ist es eine ziemlich unmodische Variante: Aber da funktioniert es anscheinend immer noch am besten, betagte Medien wie den Meinungsbeitrag in Zeitungen oder die Tagesschau zu nutzen. Und wenn alles Empowerment und Ermutigung zum Engagement scheitert: Dann ist es so. Zu einer freiheitlichen Politik gehört es auch, daß niemand dazu gezwungen ist – so nötig und wünschenswert die Beteiligung auch ist.
Bei mir kommt der Eindruck der Fragmentierung immer wieder, weil ich immer wieder über Leute stolpere, die an sich gebildet sind, aber selbstverständliche Fakten über unser politisches System, den Rechtsstaat oder andere Dinge nicht wissen und auf dieser Weise viel Energie verschwenden.
Sagen wir es so: Es gibt überwiegend positive Aspekte und einige hartnäckigen negativen Aspekte. Selbst in vielen sehr sachorientierten Zirkeln sehe ich oft eine bemerkenswerte Entscheidungsschwäche, weil Leute aus gänzlich unterschiedlichen sozialen Zirkeln zusammenkommen und sich dort dann nicht mehr auf die bewährten Rezepte zur Organisation verlassen können.
Das Usenet hatte 10 Jahre Zeit um neue Strukturen aufzubauen, um gemeinsam ein übergreifendes soziales Protokoll mit ein paar Akzentverschiebungen zu schaffen. Facebook-Nutzer hatten das nicht. Die Regeln wurden von oben verordnet.
Deine Frage: „Die politische und demokratietheoretische Zukunftsfrage wird sein, wo der Transmissionsriemen ist, der heute Mikroöffentlichkeiten und Weltinnenpolitik verbindet und der die fragmentierten Öffentlichkeiten in einer gemeinsamen Öffentlichkeit bündelt.“
Antwort:
Mikroöffentlichkeit über themenorientierte Daten vernetzen und mit Feedback-Schleifen versehen. Das löst viele der hier angesprochenen Problematiken. Genaueres => http://wiki9999.org/de/warum
Gratuliere zu dem Blogpost – guter Text, soweit ich es beurteilen kann. Zwei kleine Anmerkungen:
Teilweise klingt im Text für mich die Tendenz durch, als sei eine gute Konversation und eine inhaltlich in die Tiefe gehende Kommunikation nur in elitär strukturierten Zirkeln möglich. Ich bin mir nicht sicher, ob Du dies sagen wolltest oder ob es für mich nur so klingt.
Zweiter Punkt ist nur der letzte Satz Deines Blogposts. Den hätte ich entweder so gerne nicht am Ende gelesen hätte oder aber dann doch weiter Deine Gedanken zu diesem Punkt verfolgen wollen. So lädt der Satz leider nur dazu ein, die ganze schön entfaltete Komplexität wieder zusammen zu klappen und eine Standardantwort zu geben – im Sinne von Transmissionsriemen sind Parteien, Verbände.
Um die Komplexität weiter zu entfalten: Warum muss denn das Inkommensurable kommensurabel gemacht werden, warum muss der Unterschied trotzdem auf einen Nenner gebracht werden. Vielleicht ist das Bild vom Transmissionsriemen, der aus vielen kleinen Rädchen gespeist, ein großes Rad zum Rollen bringt, ein falsches Bild von Politik.
Die von mir beabsichtigten Zirkel sind in dem Sinn elitär, daß sie im Wortsinn ausgewählt sind: Es gibt ein gewisses Vorverständnis, wovon gesprochen wird, eine gewisse Übereinkunft darüber, wie gesprochen wird. Es muß nicht immer bei Adam und Eva angefangen werden, gewisse Dinge können vorausgesetzt werden. Wenn die Leute eingeschätzt werden können, können Versuchsballons gestartet werden und Ideen ausprobiert werden. Es kann auf bestehendes und erarbeitetes Wissen aufgebaut werden. (Hier denke ich etwa an die Erklärbär-Debatte in der feministischen Blogosphäre.)
Das klingt immer noch reichlich elitär und nach Salon für die besseren Kreise. In den letzten Jahren habe ich mit großer Faszination Sinus-Milieustudien gelesen – das hat meinen Blick geschärft dafür, daß ziemlich viel, Werte wie Ästhetik, eben nicht absolut ist. (Fotos von Wohnzimmern anderer Leute und Statistiken über Musik- und Leseverhalten in bestimmten Milieus waren dafür erstaunlicherweise effizienter als ein langes Philosophiestudium …) Mir sind viele Diskussionen und Diskussionsstile zuwider. Bei einem bestimmten Ton habe ich keine Lust, mich zu beteiligen. Wenn bestimmte Grundannahmen Konsens sind, hat es für mich keinen Zweck, mich zu beteiligen. Dennoch haben diese Diskurse ihre Berechtigung, und erstmal sind die nicht mehr oder weniger wertvoll als die, an denen ich teilnehmen möchte. Ich hielte es für ein Unding, allen Leuten einen akademischen oder wie auch immer distinguiert-gesitteten Stil aufzuzwingen. Die Nischen fragmentierter Öffentlichkeiten ermöglichen allen, einen ihn angenehmen Stil zu finden.
Zum Transmissionsriemen: Deshalb habe ich auf Crouch und seine Postdemokratie hingewiesen. Wir haben einen übergreifenden politischen Raum – politisch hier mit Easton verstanden als »verbindliche Entscheidungen über die Allokation von Werten« –, der Konsequenzen zeitigt. Parteien und Verbände sehe ich nicht mehr als zielführend an – dazu habe ich hier in der Anwort auf RJonathan etwas geschrieben. Dennoch sehe ich die Notwendigkeit, die politischen Rahmenbedingungen, das was alle angeht, auch von allen entscheiden zu lassen.
Als klassisch Liberaler scheint mir ein Element möglichst viel Subsidiarität, möglichst kleinteilige Strukturen zu sein. Demokratiedefiziten in unüberschaubaren Großgebilden vorzubeugen, indem möglichst viele Kompetenzen auf möglichst nahen Ebenen angesiedelt sind. Möglichst viel auf eigene Verantwortung setzen; weg von der Illusion eines allzuständigen Staates, der absolute Einzelfallgerechtigkeit schaffen kann. Weg von einer zentralen Planung, hin zu parallelen Experimenten, die im Erfolgsfall Modell sind, im Scheitern nur geringen Schaden anrichten. (Nassim Talebs Konzept der »anti-fragility« ist mir sehr sympathisch.) Und dann muß dieses Konzept noch in eine immer ortlosere Welt übertragen werden: Wie kann solcher Föderalismus bei immer größerer Mobilität funktionieren? Wie kann »lokale« Entscheidungsebene vom physischen Ort entkoppelt und mit der Betroffenheit gekoppelt werden?
Noch mal zum Elitären: In meiner ersten Antwort habe ich etwas einseitig auf Milieu-Unterschiede, was schnell als »Intelligenzija« vs. »Pöbel« gelesen werden kann. (Was Diskussionen außerhalb eines sich selbst als elitär und intellektuell satisfaktionsfähig findenden Zirkels abwerten würde.) Mein Lob der Blasen geht aber eigentlich noch weiter: Schon zahlenmäßig kleine Kreise haben Vorteile. Ich denke speziell an Google+, wo oft kritisiert wird, daß die Kommentar-Threads geteilter Artikel nicht zusammengeführt werden – ich glaube, das ist eher ein Vorteil, weil es sich im kleinen Kreis besser diskutiert. Ich denke etwa an Martin Lindner, dessen Beiträge immer wieder sehr interessante Diskussionen auslösen. Lindners Google+-Profil fühlt sich oft wie ein gelehrter Salon an, weil er mit der Art seines Kuratierens eine angenehme, anregende Diskussionsatmosphäre schafft, die bei einem simpel zusammengeführten Feed aller Diskussionen so wohl nicht möglich gewesen wäre.
Schöne Antwort, danke. Jetzt lese ich erst mal Easton…
Einen Unterschied zu machen zwischen voraussetzungslosen Gesprächen (die man auch als ästhetische Gespräche bezeichnen könnte) und Gesprächen, die bei den Teilnehmern bestimmtes Vorwissen oder mehr Rationalität und Unterdrückung von bloß emotionalen Reaktionen erfordern, halte ich für recht und billig. Vermutlich sogar eine Notwendigkeit. Ich würde das nicht mit dem Begriff elitär belegen – die moralische Konnotation, da wolle ein Grüppchen ihr separates Süppchen für die eigenen Interessen kochen, halte ich für falsch bzw. den Eindruck für verhinderbar. Vielleicht ist „experts only“ einfach gute Praxis bei Fachgesprächen? Zwischen Vorseminar und dem privatissime des Doktoranden-Colloquiums gibt es eine Differenz, an der festzuhalten legitim ist. Das kann, meine ich, sogar für allgemein interessierende, also politische Themen gelten, gemäß dem Unterschied zwischen Reden im Bundestag und der Arbeit in den Ausschüssen. Aber: Fragmentierung ist ja gar nicht das Problem. Die passiert einerseits sowieso, andererseits kann jede beliebig profilierte Gruppe ihren verschlossenen Gesprächsraum beziehen, sogar bei Twitter. Die Schwierigkeit liegt offenkundig bei der Entfragmentierung, dem Zusammenfügen oder der Synchronisation der uneinigen Gesellschaft. Die große Chance des Internets ist ja, dass sich die Gesellschaft – was für ein schöner deutscher Begriff, dem leider das Emphatische verloren gegangen ist – doch noch als solche wiedererkennt, obwohl sie sich eigentlich schon an allen Ecken und Enden partikularisiert und jeder am liebsten nur noch seiner eigenen Wege gehen möchte. Die Frage ist ja: Wie findet die Gesellschaft zu Gemeinsamkeit und zu Entscheidungen, die wirklich breit von allen gewollt und für richtig gefunden werden und nicht nur hingenommen werden wie irgendwelche bürokratischen Verfügungen? Ausschuss-Debatten finde ich gut, weil ich glaube, dass viele Fragen eher noch mehr fachlichen Input benötigen als weniger. Ich hätte auch nichts dagegen, davon ausgeschlossen zu sein, solange ich weiß, dass ich eventuell die Debattenergebnisse erfahren könnte und die Teilnehmer die Sezession tatsächlich in mehr Qualität umsetzen, und nicht in interessensgelenkte Absprachen umwidmen. Die Gesellschaft delegiert ja hunderttausende Fragen auf Fachleute und es ist nicht das Schlechteste, wenn Mathematiker über Mathematik nachdenken und nicht ich das tue. Die Folgen von guten Bedingungen für Debatten müsste dann aber sein, dass sich tatsächlich mehr kompetente Teilnehmer einbringen, die jetzt dazu keinen Anlass oder keine Lust haben. Das heißt, ich fände überhaupt gut, wenn mehr auf hohem Niveau miteinander debattiert wird, dass also die Sezession nicht zu weniger, sondern zu mehr Lebendigkeit (minus Leerlauf) führt. Wie mobilisiert man die, die sich heute allenfalls alle 2 Jahre in der FAZ kurz zu Wort melden? Und wie gewinnt man auch gewählte Politiker und andere wichtige Funktionsträger dafür, sich in das direkte Gespräch sachlich einzubringen? Ich könnte mir vorstellen, dass solche thematischen Debattenräume in halböffentlichen Situationen ein interessantes Konzept sein könnten (Kongress-Prinzip). Ich weiß nicht, ob die Glasscheiben blickdicht sein müssen, um keinerlei Theater-Atmosphäre entstehen zu lassen. Vielleicht sollte man sozusagen Protokolle aushängen. Am Ende wird alles daran zu messen sein, wie das alles in die „offene Öffentlichkeit“ zurückfindet und wie sich das mit denen synchronisiert, die sozusagen nur ästhetische Gespräche über Politik und Wirtschaft führen? Das Wort „Transmissionsriemen“ finde ich da sehr unglücklich, weil es an das Kaderdenken bestimmter Parteien erinnert. Es kann aber sein, dass die Frage überflüssig ist. Vielleicht mmuss man sich einfach zurücklehnen und zuschauen, auf wie vielen Wegen und wie tief die „Wirkung des Guten“ in die Gesellschaft hinein diffundiert. Künstlich, vermute ich, ist da gar nichts zu erreichen.