Höfliche Konter

Kommentarspalte (Symbolbild)
Kommentarspalte (Symbolbild)

Diese Woche habe ich netto gut einen Arbeitstag mit Facebook-Kommentaren verbracht, es ging um Religionsfreiheit, Laizität und Burkinis. Ich habe mich bemüht, sachlich und höflich auf alle einzugehen. Das hat sich gelohnt: Quantitativ sowieso, weil meine fast 100 Kommentare (von insgesamt gut 800) die Interaktion befeuern und Reichweite bringen. Aber auch qualitativ. Immer wieder zeigt es sich: Wenn der Autor, wenn die Redaktion mitdiskutiert, zivilisiert das eine Diskussion. Es hilft, wenn auch die nervigsten Erfindungen, Mutmaßungen und selektiven Informationen gekontert werden.
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Hannover-Bilanz

Am Wochenende war ich als einer der Freiburger Delegierten in Hannover beim 2. Gesprächsforum der deutschen Bischofskonferenz. Mein Fazit ist nicht sonderlich positiv, im Gegensatz zum offiziellen Resümee der Bischofskonferenz; die diplomatische, aber kritische Bilanzpressemeldung des BDKJ trifft es für mich schon eher. Für die Freiburger Bistumszeitung, das Konradsblatt, habe ich eine kurze persönliche Einschätzung geschrieben:
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Kunst kämpft um Anerkennung

Erst jetzt der Hinweis auf einen hervorragenden Text von Thierry Chervel im Perlentaucher zur Urheberrechts-Debatte im Literaturbetrieb: Die schöne Seite der Kostenlosmentalität.

Chervel analysiert klug den seltsamen Sachverhalt, daß ausgerechnet die noch am wenigsten betroffenen Urheber_innen aus der Literatur jetzt so lautstark aufschreien:

Das Problem dieser Autoren mit dem Netz ist weniger, dass es ihre Einnahmen als dass es ihr Selbstbild als Autor in Frage stellt.

Chervel spinnt das ein wenig polemisch (aber wohl zutreffend) weiter; der Literaturbetrieb verweigere sich dem Netz, neue Formen des Schreibens würden nicht ergriffen. Das Zitat enthält darüber hinaus eine sehr kluge Betrachtung: Urheberrecht hat im Begriff schon die Überhöhung angelegt – und die heftigen Reaktionen, die Urheberrechtsdebatten hervorrufen, haben ihren Grund im Auseinanderklaffen von idealisiertem Künstlerselbstbild und ökonomischer Realität.

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Lob der Blase. Fragmentierte Öffentlichkeiten

Kommentare.
Die Intelligenz einer Gruppe als ganzes errechnet sich aus der Intelligenz des klügsten Gruppenmitglieds geteilt durch die Anzahl der Gruppenmitglieder – mit der Anzahl der Kommentare geht die Wahrscheinlichkeit eines kreuzdämlichen Kommentars, der die Diskussion mit seiner Dämlichkeit ansteckt, steil gegen 1. Kurz: Menschen und Meinungen skalieren nicht. (Karl Valentin, encore: Der Mensch ist gut, aber die Leut san schlecht.) Und das führt dazu, daß fragmentierte Öffentlichkeiten und die splendid isolation einer filter bubble nicht Ignoranz erzeugen, sondern einen qualitativen Diskurs erst ermöglichen.

Die Filterbubble-These als Kritik am Netz hat zwei Aspekte: die technische Auslieferung an fremdkontrollierte Filter-Algorithmen, die immer nur mehr vom gleichen liefern (darauf hebt Pariser ab), und der selbstverursachte und gewollte Rückzug in die eigene Komfortzone, sei’s aktiv, sei’s passiv durch das Inkaufnehmen der Filter. Diese These ist nicht übermäßig belastbar, die allfällige Algorithmen-Kritik trägt auch technisch nicht – Christoph Kappes hat das schön widerlegtda schön dagegen argumentiert. (Überhaupt: nie war weniger aufgezwungene Bubble – früher zu meinen Schulzeiten, also nicht wesentlich länger als 10 Jahre her, als wir zuhause nur die Badischen Neuesten Nachrichten hatten, es in Kirrlach keine taz zu kaufen gab, und mein Deutschlehrer seine gelesenen Zeitungen für uns in die Schulbibliothek gelegt hat – das war bubble!)

Die eigenen Filter zu justieren und nicht nur nicht alles zu lesen, sondern auch nicht mit allen ins Gespräch kommen zu müssen, ist nötig – und es erhöht insgesamt die Qualität des Diskurses. Es müssen gar nicht alle miteinander reden. Das geht schief.

Ich erinnere mich an Usenet-Zeiten: Das Usenet ist trotz seiner dezentralen Architektur viel einheitlicher als die fragmentierten Öffentlichkeiten aus Social-Media-Kontakten und thematischen Nischen in Webforen, die heute die dominanten Diskursorte im Netz sind. Für den deutschsprachigen Raum war de.* ob seiner Größe und Reichweite maßstabgebend – zudem war de.* per Definition themenvollständig: Für jedes beliebige Thema gab es genau eine Gruppe – und sei es de.etc.misc.

drf, desd, drsrm haben jeweils spezielle Mehrheitskulturen und -meinungen ausgebildet, gegen die schwer zu argumentieren ist und die Diskussionen innerhalb der Minderheitsmeinung extrem erschwert haben (drf: Gegen Helm- und Fahrradwegpflicht; desd: deskriptive statt präskriptive Linguistik; drsrm: eher dramatism als gamism). Gruppen mit allgemeinen Themen, zu denen alle etwas zu sagen haben (Politik und Religion) waren Krieg und völlig unlesbar. (Ich schreibe in der Vergangenheit, auch wenn es all das natürlich weiterhin gibt – ich bin aber vor zwei, drei Jahren mit meiner Wanderung in die Cloud aus dem Usenet ausgestiegen – einen ordentlichen browserbasierten Usenet-Client habe ich noch nicht gefunden.)

Selbst wer sich seine persönliche Filter-Bubble zurechtschnitzte (und das war mit ordentlichen Readern problemlos möglich; mein Scorefile war hochkomplex), war doch der Mehrheitsmeinung einigermaßen schutzlos ausgeliefert, wenn nicht selbst mit entsprechendem Einfluß oder Postingvolumen Raum für die eigene Position geschaffen wurde.

Einheitliche, zentrale und alternativlose Diskursorte oder auch nur hinreichend große Mengen an Menschen (wie in Kommentarspalten von Zeitungen) führen zu der erdrückenden Meinungsmacht, vor der John Stuart Mill sich so fürchtete und die Tocqueville »Tyrannei der Mehrheit« nannte: Es braucht die geschützten Räume, in denen Meinungen ausprobiert werden können. Es braucht die Möglichkeit, erst einmal mit Gleichgesinnten oder auf einem bestimmten Niveau im Reden die Gedanken allmählich zu verfertigen. In den Theorien der politischen Öffentlichkeit des 20. Jahrhunderts ist Masse die Gefahr für die Freiheit: Habermas trauert dem Caféhaus und dem bürgerlichen Salon nach; Canetti betrachtet schaudernd, wie Menschen in der Masse enthemmt werden; Arendt sieht (mit Mill und Tocqueville) die Normierung des Einzelnen in der Massengesellschaft als Gefahr für das Politische überhaupt.

Eine politische Öffentlichkeit der Masse ist die Carl Schmitts: Politik als Unterscheidung von Freund und Feind, klar entscheidbare Alternativen, dafür oder dagegen, Macht und Wucht als Argument. Nur solche politischen Prozesse skalieren, die quantitativ auswertbar sind: Wahlen und Abstimmungen. Für das – in Arendts Sinn – eigentlich Politische, nämlich das Aushandeln der Bedingungen der Freiheit unter Freien und Gleichen, für einen rationalen Diskurs, braucht es Methoden, die sich bestenfalls über Repräsentation skalieren lassen: Dann sind nicht alle je einzeln Akteurinnen, sondern Parteien, Milieus, Interessen, Funktionen durch ihre jeweiligen Organe – Funktionäre, die sich einer medialen – also vermittelten – Öffentlichkeit bedienen (zur Funktion des Funktionärs sehr erhellend Frank Lübberding).

Allein vermittelte Öffentlichkeit genügt heute nicht mehr. Immer mehr Menschen wollen selbst Politik und Diskurs mitgestalten. Aus den technischen Möglichkeiten von Kommunikation und Publikation entsteht das persönliche Bedürfnis, zu sprechen und gehört zu werden, nicht mehr nur im Nahraum, sondern auch mit Wirkung im politischen Raum. (Oder konkret: Ich kann meine MdB antwittern, dann sollen sie aber auch antworten!) Zu all den Sprechenden gibt es aber nur eine begrenzte Zeit der potentiellen Hörenden an den Schaltstellen; Unmut, Politiker- und Parteiverdrossenheit schweißen zu einer unzufriedenen Masse zusammen. (Die Piratenpartei, geboren aus diesem Gehört-werden-wollen, steht gerade an der Stelle, wo es für sie darum geht, die Masse der Individualisten zu kanalisieren, ohne wieder eine Erfahrung der fehlenden Selbstwirksamkeit zu erzeugen. Liquid feedback ist ein solcher Versuch, qualitative Beteiligung an Politik skalierbar zu machen.)

So paradox es klingt: Unter den Bedingungen der globalen Kommunikation ist Fragmentierung der einzig gangbare Weg für qualitative Diskussionen, bei denen potentiell alle sich beteiligen können. Im persönlichen Facebook-Kontaktnetz, in Special-Interest-Foren gibt es die Freiräume, die in der einen zentralen thematisch passenden Usenet-Gruppe nicht möglich waren. Blogs schaffen sich (durch Sprache und Anspruch, durch Ästhetik und Stil, durch Moderations-, Diskussions- und Vergemeinschaftungsverhalten) ihre je eigene Mikro-Öffentlichkeiten, in denen die Beteiligten befriedigende Diskurse führen können. Der eigene Facebook-Kreis (nicht: Facebook), Foren, Blogs: Das sind die funktionalen Äquivalente von Aristoteles’ (und Arendts’) überschaubaren Marktplätzen, von Habermas’ Salons.

Postdemokratie nach Crouch ist dadurch gekennzeichnet, dass zwar formal noch demokratische Institutionen bestehen, diese faktisch aber nichts mehr zu entscheiden haben; an ihre Stelle treten die Verhandlungen von wirtschaftlichen und politischen Eliten; der von der Exekutive geschlossene völkerrechtliche Vertrag bindet die nationalen Parlamente; es fehlt eine globale Instanz, die einen Ordnungsrahmen für global agierende Konzerne aufstellen kann. Immer größere Teile des Lebens werden datenförmig, und Daten kennen keine nationalen Grenzen.

Politik für möglichst viele ist nur in fragmentierten Öffentlichkeiten möglich, und gleichzeitig ist das materielle Ziel dieser Politik immer weniger lokal begrenzbar. Politik in fragmentierten Öffentlichkeiten ist nichts neues; früher konnten das Parteien, Verbände, Initiativen in ihren Untergliederungen mit Hilfe des Prinzips der Repräsentation als Transmissionsriemen leisten. Die politische und demokratietheoretische Zukunftsfrage wird sein, wo der Transmissionsriemen ist, der heute Mikroöffentlichkeiten und Weltinnenpolitik verbindet und der die fragmentierten Öffentlichkeiten in einer gemeinsamen Öffentlichkeit bündelt.

Früher hieß das Anstand

(Nach einiger Zeit komme ich wieder zum Schreiben. Starcraft ist durchgespielt, und demnächst werde ich dann auch die unbeantworteten Formspringkommentare und Blog-Kommentare abarbeiten.)

Ausgerechnet eine sich selbst als wohlanständig und bürgerlich verstehende, dezidiert mitteleuropäische Tugenden im Panier führende Klientel erkennt in der »Political correctness« den Untergang des Abendlandes. Ralph Giordano etwa, der in hohem Alter im Islam das Thema für jugendliches Aufbegehren gegen das politische und feuilletonistische Establishment gefunden hat, bezeichnet Sarrazins »Deutschland schafft sich ab« als »Stoß ins Herz der Political Correctness« und stößt sich seine Hörner ab an »Deutschlands Multikulturalisten, xenophile[n] Einäugige[n] und Pauschalumarmer[n]«, sieht eine »vereinte Riege der Berufsempörer, Sozialromantiker und Beschwichtigungsapostel« am Werk, und einzig der mutige Underdog Sarrazin wagt es, das Meinungskartell zu sprengen.

Was Giordano hier stellvertretend für viele als »Political correctness« bezeichnet: Früher hieß das Anstand, und früher hieß das Respekt.
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Die Meta-Koenig-Debatte

Die aktuell tobenden Debatte um Aaron Koenigs aktuellen Artikel zum Iran (zu der ich inhaltlich nichts neues beizusteuern habe) erinnert mich an ein Paradox, das mir schon im Bundestagswahlkampf bei der Piratenpartei aufgefallen ist: Die deutliche Ablehnung einer Personalisierung von Politik zusammen mit einem thematisch engumgrenzten Programm; ein kategorischer Fraktionszwang scheint mir eher abgelehnt zu werden (das Thema taucht auch in den verschiedenen kursierenden Versionen von Piraten-Kodizes auf). Jens Seipenbusch dazu explizit:

Wir machen ganz bewußt keinen Wahlkampf der Köpfe, sondern – wie wir es auch immer gesagt haben – einen Wahlkampf der Themen und Inhalte. Deshalb hat man auch mein Gesicht auf keinem Wahlplakat gesehen.

Das Paradox: Während die inhaltliche Dimension in ungewöhnlich hohem Maß an den einzelnen Mandatsträger gebunden ist, ist der Wahlkampf gerade nicht auf einzelne Personen ausgerichtet.
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Die Furcht der alten Männer

Neben Jubelpersern wird in der Kirche etwas Neues üblich: Klagerömer. Mit sprungbereiter Feindseligkeit schlagen sie auf bestimmte Schlagwörter an. Zölibat ist eins davon. Alois Glück, neugewählter ZdK-Präsident, zur BILD (zitiert nach einem Bericht des BR):

Die Frage des Pflichtzölibats kann nur innerhalb der Weltkirche gelöst werden. Ich würde es begrüßen, wenn bewährte, verheiratete Diakone mit einer entsprechenden Fortbildung zur Priesterweihe zugelassen würden.

So weit, so unspektakulär referiert Glück die Lage und seine Einschätzung dazu. Bischof Mixa von Augsburg dagegen kann es nicht leiden; auf der Agenda stünden vielmehr »aggressiver Atheismus« und die »Verdunstung menschlicher Werte«.
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Das Netz integriert Öffentlichkeiten. Gegen Precht

Richard David Prechts vieldiskutierte Rede zur Fragmentierung der Öffentlichkeit wurde als Gegenargument zu meinem Artikel »Das Ende der digitalen Politik«, der auf Carta zweitveröffentlicht wurde, angeführt:

Die Analyse greift allerdings zu kurz. Denn der digitale Strukturwandel bringt auch eine extreme Fragementierung der Öffentlichkeit mit sich. Richard David Precht hat bei seiner Keynote zu den Münchner Medientagen von einem »individualisierten Kollektiv vereinzelter Masseneremiten« gesprochen. Und hier sehe ich das Grundproblem.

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