Früher hieß das Anstand

(Nach einiger Zeit komme ich wieder zum Schreiben. Starcraft ist durchgespielt, und demnächst werde ich dann auch die unbeantworteten Formspringkommentare und Blog-Kommentare abarbeiten.)

Ausgerechnet eine sich selbst als wohlanständig und bürgerlich verstehende, dezidiert mitteleuropäische Tugenden im Panier führende Klientel erkennt in der »Political correctness« den Untergang des Abendlandes. Ralph Giordano etwa, der in hohem Alter im Islam das Thema für jugendliches Aufbegehren gegen das politische und feuilletonistische Establishment gefunden hat, bezeichnet Sarrazins »Deutschland schafft sich ab« als »Stoß ins Herz der Political Correctness« und stößt sich seine Hörner ab an »Deutschlands Multikulturalisten, xenophile[n] Einäugige[n] und Pauschalumarmer[n]«, sieht eine »vereinte Riege der Berufsempörer, Sozialromantiker und Beschwichtigungsapostel« am Werk, und einzig der mutige Underdog Sarrazin wagt es, das Meinungskartell zu sprengen.

Was Giordano hier stellvertretend für viele als »Political correctness« bezeichnet: Früher hieß das Anstand, und früher hieß das Respekt.
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Die Burka der anderen

Belgien hat ein Burka-Verbot beschlossen, in vielen anderen europäischen Ländern kommt das Thema auch auf die Tagesordnung, und Silvana Koch-Mehrin macht sich für ein europäisches Burka-Verbot stark.

Eine Randerscheinung wird eine zentrale politische Frage: Das Schicksal des Abendlandes scheint am seidenen Faden von Gesichtsschleiern zu hängen. Die Debatte ist aber eine Stellvertreterdebatte: Vordergründig geht es um die Burka, hintergründig um »den« Islam. Vordergründig geht es um die Würde der Frau, hintergründig um eine abendländische Leitkultur. Vordergründig um liberale Werte – hintergründig um konservative Ausschlußmechanismen. Um die burkatragenden Frauen geht es zuletzt.
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Ökologie? Der moderne Ersatz für Glauben

Klimawandel wird von einem britischen Gericht nun also wie eine Religion behandelt. Das fordert süffisante Kommentare geradezu heraus, und mit klammheimlicher Freude lese ich Überschriften wie »The Church of the Very Sad Polar Bears«.

So einfach ist es aber dann doch nicht. Klimawandel ist nicht zur Religion erklärt worden. Geprüft wurde, ob eine ökologische Einstellung analog zu Religion zu behandeln sei gemäß den britischen Employment Equality (Religion or Belief) Regulations. Die Entscheidung, den schwammigen Anwendungsbereich des Gesetzes (»›religion or belief‹ means any religion, religious belief, or similar philosophical belief.«) auf eine ökologische Grundhaltung auszudehnen, bringt Probleme mit sich – über die Probleme, die jeder Versuch einer gesetzlichen Regelung gegen Diskriminierung mit sich bringt.
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Idiosynkrasie, Blasphemie und Theodizee

Ich bin ja nun kein Islamwissenschaftler. Dennoch halte ich es für hinreichend sicher, daß die Behauptung, der Prophet Mohammed verstünde von Fußball nichts, durchaus historisch tragfähig ist. Und doch führt das Schalker Vereinslied Blau und Weiß, wie lieb ich Dich gerade zu einer hitzigen Feuilleton-Diskussion ob der dritten Strophe:

Mohammed war ein Prophet
Der vom Fußballspielen nichts versteht
Doch aus all der schönen Farbenpracht
Hat er sich das Blau und Weiße ausgedacht

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Karitas Christi urget nos

Der neue Duden ist da und bringt ein neues Feature mit für die Generation Analphabet: Kästchen mit richtiggeschriebenen Wörtern an Stellen, wo man die Falschschreibung erwartet, so zum Beispiel »Charisma« zwischen dem Karischen Meer und der Karitas.

Doch nicht genug: Auch Lebenshilfe für politisch korrekte Menschen wie mich gibt es in solchen roten Kästen: Zwergwüchsige werden zum Beispiel lieber kleinwüchsig genannt, man erfährt zum wiederholten Mal, wie Nicht-Gadsche genannt werden sollen (das Lemma »Klatschi« fehlt aber) – und natürlich das obligatorische Caveat s.v. »Neger«, die man zum Beispiel »Afroamerikaner« oder »Afrodeutsche« nennen darf.

Ein bizarrer Nationalismus: Man stelle sich so möglichgewordene Dialoge auf dem Dorfe vor: »Stell dir vor, die A– hat einen Afrodeutschen geheiratet!« – »Schlimmer! Schlimmer! Einen Afroschweizer sogar!«

Political Correctness – wo sie nottut.

Lieber mit der Sprache spielen
Als gedankenlos mim Glied
Zwar kannst du per Glied mehr fühlen
Aber Ruhm wirst du erzielen
Nur auf sprachlichem Gebiet
(Horst Tomayer)

Ruhm ernten sollte Oğuzhan Celi. Er ist nämlich für die Idee zu einem verdienstvollen WDR-Dossier verantwortlich: Türkisch für Deutsche: Ein Aus-Sprachkurs – dort erfährt man auch, daß man Frau Prof. Dr. Aitaç höflicherweise als [aɪtʌʃ] anreden sollte. (Wenn jetzt noch jemand dem Autor sagt, daß man anstelle von [naɪk] als englische Musteraussprache doch lieber [naɪkiː] nimmt, bin sogar ich zufrieden.)

Political Correctness. »?«–»!«

Prof. Dr. Aitaç lehrt in Ankara Germanistik und beschäftigt sich unter anderem mit Thomas Mann. Durchaus von Vorurteilen und Chauvinismen getrieben, stelle ich mir dort akademische Dispute sehr amüsant vor: »Paß dich auf, sonst hol ich Joseph und seine Brüder

Wenn wir schon haarscharf am Thema vorbei sind: Volkes Seele macht sich um die Karlsruher Oststadt Gedanken – Karlsruhe Kulturhauptstadt 2010? Nicht nur deswegen (sondern auch wegen Platzverweisen und Ex-Steffi): lieber nicht.