In der Zeit ist ein klug abwägender Kommentar von Jan Roß dazu, wie sich Bildungseliten herablassend über die ungebildete Masse äußern, und wie das gefährlich für die Gesellschaft und ihren Zusammenhalt ist. Der Autor differenziert, zeigt die Grenzen und Gefahren nicht durch Recht und individuelle Freiheit gebändigter Mehrheitsherrschaft auf, weist klar paternalistische Ansprüche auf Ausschlüsse als minderwertig (kulturell wie intellektuell) empfundener Gruppen aus dem partizipativen Prozeß zurück – und trotz allem Differenzieren fehlt mir doch etwas, weniger sachlich als auf der Ebene des Gefühls; mir ist da zuviel Einsatz für den Mehrheits-Aspekt der Demokratie und zu wenig Sympathie für den Freiheitsdrang Einzelner.
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Schlagwort: Demokratie
Krypto ist keine Politik
Verschlüsselung für manche Kommunikation und manche Daten ist sinnvoll und notwendig. (Enno schreibt von solchen Fällen, die gar nicht so exotisch wären, als daß nicht die meisten davon betroffen wären.) Krypto für alles und alle und jede Kommunikation und als der eine richtige Weg (alle anderen, mal wieder: Sheeple!), um die Privatsphäre zu schützen, ist wie Waffen für alle zum Eigenschutz: Wenn’s soweit ist, daß das wirklich notwendig ist, ist’s eh zu spät. Ein Gemeinwesen, in dem das nötig ist, ist eine Räuberbande. (Immerhin sind die Folgen weniger schlimm, wenn man selbst oder die Kinder sich mit dem eigenen PGP-Key ins Knie schießen.) Bis dahin sollte dann auch nicht der politische Weg »Waffen für alle« sein (und wer das doch fordert, wird zurecht im lunatic fringe verortet außerhalb der eigenen Filterblase), sondern das Beharren auf der Begrenzung staatlicher Macht durch Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte und Gewaltenteilung.
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Ohnmacht, Wut und repräsentative Demokratie
Mittlerweile glaube ich zu verstehen (nachdem es mir lange wie Nico Lumma ging), warum Stuttgart 21 (im Vergleich mit Arbeitslosigkeit, Hartz IV, Zukunft der Atomkraft, Bildung und Wirtschaftskrise und so weiter nun wirklich nicht übermäßig wichtig) so polarisiert: Es geht um Ohnmacht. Es geht um die Ohnmacht, einem politischen Prozeß ausgeliefert zu sein, der scheinbar nicht zu beeinflussen ist.
Die Argumentation der Befürworter läßt sich kaum leugnen: Über mehrere Ebenen wurde das Projekt nach demokratischen und rechtsstaatlichen Verfahren beschlossen, verschiedene Wahlen im Laufe des Entscheidungsprozeß haben die befürwortenden Gruppen bestätigt, die Beschlüsse wurden vor Gericht überprüft. Insofern ist Stuttgart 21 durchaus hervorragend legitimiert, mehr als die meisten anderen politischen Projekte.
Und dennoch: So sauber legitimiert es ist – es zeigt die Schwächen eines rein repräsentativdemokratischen Systems auf. Daß die Proteste nun durch groteske Polizeigewaltexzesse niedergeschlagen werden (darf ein Rechtsstaat die Erblindung von Menschen in Kauf nehmen, nur um die zeitnahe Umsetzung eines Bauvorhabens durchzusetzen?), ist nicht die Selbstbehauptung des repräsentativdemokratischen Rechtsstaats gegen undemokratische schlechte Verlierer. Es ist eine fast schon autistisch zu nennende an Nabelschau grenzende Reaktion eines selbstgenügsamen politischen Apparats, der sturheil nur seinen Prozeduren zu folgen vermag, ohne sich von Kontexten beeinflussen zu lassen.
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Früher hieß das Anstand
(Nach einiger Zeit komme ich wieder zum Schreiben. Starcraft ist durchgespielt, und demnächst werde ich dann auch die unbeantworteten Formspringkommentare und Blog-Kommentare abarbeiten.)
Ausgerechnet eine sich selbst als wohlanständig und bürgerlich verstehende, dezidiert mitteleuropäische Tugenden im Panier führende Klientel erkennt in der »Political correctness« den Untergang des Abendlandes. Ralph Giordano etwa, der in hohem Alter im Islam das Thema für jugendliches Aufbegehren gegen das politische und feuilletonistische Establishment gefunden hat, bezeichnet Sarrazins »Deutschland schafft sich ab« als »Stoß ins Herz der Political Correctness« und stößt sich seine Hörner ab an »Deutschlands Multikulturalisten, xenophile[n] Einäugige[n] und Pauschalumarmer[n]«, sieht eine »vereinte Riege der Berufsempörer, Sozialromantiker und Beschwichtigungsapostel« am Werk, und einzig der mutige Underdog Sarrazin wagt es, das Meinungskartell zu sprengen.
Was Giordano hier stellvertretend für viele als »Political correctness« bezeichnet: Früher hieß das Anstand, und früher hieß das Respekt.
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Ein Volk
Alle beklagen sich über Schwarzrotgold. Immerhin: Die Fahnen überall sind Symbole. Symbole als Verweise machen eine Differenz klar: Sie stehen für etwas, das sie selbst nicht sind. Diese Unterscheidung geht bei einer anderen Sache verloren: Wenn’s um das Volk geht.
Anläßlich des bayerischen Volksentscheids zum Rauchverbot hört man viele Freunde des Volkes, allen voran Horst Seehofer: »Wenn das Volk entscheidet, hat es recht«. Sebastian Frankenberger, der Initiator des Volksentscheids, vertraut gar darauf, »daß das Volk immer zum richtigen Zeitpunkt die richtige Entscheidung trifft.« (Tagesschau vom 5. Juli, bei Minute 8.05)
Das ist die Gefahr, die in direkter Demokratie liegt: Daß plötzlich alles legitimierbar scheint. Daß die Entscheidung »des Volks« nicht als Summe von Einzelentscheidungen erkannt wird, sondern es scheint, als gäbe es den einen Willen eines Kollektivs, der wahr und richtig und gut ist, und der zu exekutieren ist.
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Aggressive Politikverweigerung
Sehr viel über das Politikverständnis von Parteien kann man dieser Tage aus einer Pressemitteilung der SPD Rheinland-Pfalz lernen: Im Wahlkreis Bitburg-Prüm wurde Michael Billen wieder als Kandidat für die Landtagswahlen nominiert – gegen den ausdrücklichen Einsatz der CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner. Michael Billen, das ist der mit der Kommissarin als Tochter, die »nur aus Neugierde« für die SPD belastendes Material aus der Polizeidatenbank geladen hatte, das der Vater dann »zufällig« auf dem Rechner daheim fand.
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Der Bundespräsident als Paria und Tenno
Mein ganzes Unbehagen am Amt des Bundespräsidenten kann ich an der Personalie von der Leyen festmachen. Nein, nichts Inhaltliches, auch wenn die Netzsperren, die populistische Rhetorik, die Lügen immer noch ohne Konsequenz im Raum stehen. Nein, auch nicht Machttaktik und Machtarithmetik.
Was ich erschreckend fand und immer noch finde, ist ihr Alter: Jahrgang 1958, 52 Jahre alt – mit 57, spätestens aber 62 Jahren wäre sie am Ende gewesen. Was soll danach noch für sie kommen? Selbst Zensursula wünsche ich dieses Amt nicht an den Hals.
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Deutschland unterm Kreuz
Aygül Özkan, designierte Sozialministerin in Niedersachsen, steht für einen säkularen freiheitlichen Staat auf dem Boden des Grundgesetzes. Ganz im Gegensatz zu ihrer Partei, der CDU. Ich hoffe, daß es Rückgrat und nicht Naivität ist, daß sie sich so offen gegen den CDU-Mainstream stellt, indem sie sich gegen religiöse Symbole in Klassenräumen ausspricht. Die Süddeutsche kommentiert sehr treffend: »Keiner konnte ahnen, dass die 38-jährige Aygül Özkan einen eigenen Kopf hat, den sie dummerweise auch noch einschaltet.«
Die lebhafte Debatte spült den gerechten Volkszorn der christdemokratischen Alpenayatollas und Deichmullahs nach oben. Geprägt ist die Position weiter Teile der CDU von einem völlig verfehlten Verständnis von Öffentlichkeit und Religionsfreiheit – aber auch einer Geringschätzung des Glutkerns des christlichen, eben Christus und seinem Tod am Kreuz.
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Wer besudelt hier wen?
Zum aktuellen Titanic-Titel habe ich noch nichts geschrieben; ich halte ihn für einen extrem zuspitzenden, aber guten Kommentar.
Norbert Geis hat nun in der Tagespost einen Artikel veröffentlicht, den ich für den eigentlichen Skandal halte: »Unüberbietbare Besudelung«.
Theologisch verwischt er die Kernbotschaft des Christentums, und politisch dehnt er den § 166 StGB (den alten »Gotteslästerungsparagraphen«) so weit, daß der Staat nur noch vordergründig ein säkularer bleibt (da muß man sich dann über die Außenwirkung des Christentums nicht wundern).
Wahrheit ist keine Kategorie des Politischen
Direkte Demokratie ist kein Anwendungsfall der »Weisheit der Massen«, auch wenn das immer wieder gerne ins Feld geführt wird, wenn für direkte Demokratie argumentiert wird. (Jüngst etwa in den Kommentaren zu David Pachalis auch ansonsten lesenswertem Artikel Medienhype ums Minarett.)
Der Argumentation liegt eine Fehleinschätzung zugrunde: Die Weisheit der Massen und Politik beschäftigen sich mit unterschiedlichen Arten von Urteilen: Hier Sachurteile, dort Werturteile.
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