Spaß und Protest

Wird die Piratenpartei diskutiert, dann geht es meistens um das Programm: Wofür steht die Partei, hat sie ein Programm, hat sie Themen (und hat sie mehr als eins), wie ist sie ins politische Spektrum einzuordnen? Es geht auch um strukturelle Fragen: Wer ist Mitglied, wer wählt sie – und warum? Ist es Protest, ist es Spaß?

Protestpartei und Spaßpartei – in diesen Frame wollen die etablierten Parteien die Piraten einpassen. Das ist korrekt. Die Piraten sind eine Protestpartei und eine Spaßpartei – aber nicht in dem Sinn, wie diese Begriffe gemeinhin benutzt werden. Protest und Spaß: Das macht die Piraten aus, und das ist ihre Stärke und ihr Beitrag zum Parteiensystem.
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Pinochet, rinks, lechts

Christine Haderthauer so:

»ein weiterer Beweis dafür, dass die FDP inhaltlich konzeptlos herumschlingert zwischen Klientelpolitik für Superreiche und sozialistischer Familienpolitik à la Pinochet«, und: »Für Bürgerliche sei es ›ein verheerendes Signal, dass Familien, die nicht im Sozialleistungsbezug sind, nichts wert sind‹.«

Ich so: 1. ad »Pinochets sozialistische Familienpolitik«: Schön, daß die CSU (zumindest Teile davon) ihre Chile-Politik seit Franz-Josef Strauß geändert hat, andersrum ist es aber ebenso blödsinnig. (Oder wird hier subtil eine Totalitarismustheorie ausgearbeitet: Alles Extremisten?) 2. Interessant, daß Transferleistungen für den Staat das sine qua non von Wertschätzung für Familien sind. Daß die Aufgabe des Staates nicht ist, anerkennend Wohlverhaltensprämien zu zahlen (»Bürgerliche« sollten auch gut ohne auskommen können), sondern subsidiär Hilfe zu leisten und freie Entscheidungen anzuerkennen, scheint Haderthauer nicht in den Sinn zu kommen.

Deutschland unterm Kreuz

Aygül Özkan, designierte Sozialministerin in Niedersachsen, steht für einen säkularen freiheitlichen Staat auf dem Boden des Grundgesetzes. Ganz im Gegensatz zu ihrer Partei, der CDU. Ich hoffe, daß es Rückgrat und nicht Naivität ist, daß sie sich so offen gegen den CDU-Mainstream stellt, indem sie sich gegen religiöse Symbole in Klassenräumen ausspricht. Die Süddeutsche kommentiert sehr treffend: »Keiner konnte ahnen, dass die 38-jährige Aygül Özkan einen eigenen Kopf hat, den sie dummerweise auch noch einschaltet.«

Die lebhafte Debatte spült den gerechten Volkszorn der christdemokratischen Alpenayatollas und Deichmullahs nach oben. Geprägt ist die Position weiter Teile der CDU von einem völlig verfehlten Verständnis von Öffentlichkeit und Religionsfreiheit – aber auch einer Geringschätzung des Glutkerns des christlichen, eben Christus und seinem Tod am Kreuz.
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Kabinettsarithmetik

Es tickert heftig: Die Personalfragen der Bundesregierung werden entschieden. Zur Stunde meldet tagesschau.de Schäuble als Finanzminister, Guttenberg Verteidigung und de Maizière für Innen, spiegel.de sieht für Guttenberg noch eine Wahlmöglichkeit zwischen Verteidigung und Innen, rückt von Innen aber im Ticker schon ab. Ein paar Gedanken dazu vorab:
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Gleichgeschaltet im Miniwunderland

Das Miniaturwunderland in Hamburg hat eine wunderbare kleine Sonderausstellung: Utopia 2009 – Parteivisionen im Modell. Die in Fraktionsstärke im Bundestag vertretenen Parteien durften jeweils einen Quadratmeter nach ihren Vorstellungen gestalten lassen. Die Idee ist pfiffig, die Umsetzung nicht immer.

SPD, Grüne, CSU und FDP könnten ihre Modelle wunderbar zusammenstellen. Alle finden Mittelstand, Pluralismus, Kinder, Kultur, Behinderte und Arbeitsplätze gut. Entsprechend dröge sind dann auch die Vorstellungen durch Spitzenpolitiker der jeweiligen Parteien, teilweise unfreiwillig komisch. Die SPD, die ihr Modell länglich in über sieben Minuten beschreibt, fällt am Anfang damit auf, daß sie vom »Sonnendeck im Wunderland« redet – das könnte auch aus einer Rede Westerwelles stammen über Steinmeiers Chancen aufs Kanzleramt. Der »Karneval der Kulturen« der SPD kann ohne zu fremdeln wunderbar im ökopluralistischen und lodenromantischen Trachtenumzugsberlin der CSU tanzen.
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Wahlverwandtschaften

Überhaupt ist es doch traurig, wie wenig in der Welt gedacht wird. Man verändert die Regierungsform, alles, alles – und das einzige, was man keinem Zweifel unterwirft, das einzig Feste ist der Glaube an die Art Entscheidung, die durch Ballotage bestimmt ist.

Søren Kierkegaard, X-4 A 65

Heute berät der Bundestag über den Antrag Mehr Demokratie wagen durch ein Wahlrecht von Geburt an. Das klingt erstmal nett und brand(t)neu, ist aber leider alles andere als begrüßenswert. Heißt es im Antrag noch pathetisch Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf zur Einführung eines Wahlrechts ab Geburt durch Änderung des Artikel 38 des Grundgesetzes und erforderlicher weiterer gesetzlicher Änderungen vorzulegen, nur leider kommt das Stellvertreterwahlrecht gleich danach durch die Vordertür: Dabei ist ein Wahlrecht ab Geburt dergestalt vorzusehen, dass die Kinder zwar Inhaber des Wahlrechtes werden, dieses aber treuhänderisch von den Eltern bzw. Sorgeberechtigten als den gesetzlichen Vertretern ausgeübt wird.

Fazit: Etikettenschwindel. Diese Lösung ist nämlich gerade kein Mehr an Demokratie, sondern vielmehr Wahltaktik. Ich behaupte: Vom Stellvertreterwahlrecht profitieren Volksparteien und hier besonders Konservative, von wählenden Kindern und Jugendlichen alternative und fortschrittliche Parteien. Mit Stellvertreterwahlrecht wird nämlich das Stimmgewicht der Wähler über 25 erhöht, während das Menschen unter 25 gleich bleibt. Menschen, die in alternativen Lebensformen wohnen (ich denke an Homosexuelle)werden mit dieser Regelung politisch noch mehr marginalisiert. (Obwohl: Adoption zum Stimmenkauf wäre eine interessante Sache.)

Interessant dürfte die statistische Verteilung sein: Es profitieren nämlich nur Eltern mit minderjährigen Kindern, also Menschen zwischen ganz grob 25 und 60 mit einem Hochplateau irgendwo in der Mitte. Das ist in einer überalterten Gesellschaft besonders fatal, da die besonders Alten schon jetzt im Bundestag (beispielsweise) prozentual deutlich unterrepräsentiert sind bei gleichzeitiger komplett fehlender Legitimation durch Minderjährige.

Als abschließendes Bonbon (mehr argumentieren möchte ich nicht, das tun die Kinderrechtszänker sehr gut) noch die Verteilung der Parteien der Antragsteller. (Hier kann man auch ablesen, wer statistisch gesehen profitieren wird.)

SPD Union Grüne FDP
11 13+1 3 19