Das Miniaturwunderland in Hamburg hat eine wunderbare kleine Sonderausstellung: Utopia 2009 – Parteivisionen im Modell. Die in Fraktionsstärke im Bundestag vertretenen Parteien durften jeweils einen Quadratmeter nach ihren Vorstellungen gestalten lassen. Die Idee ist pfiffig, die Umsetzung nicht immer.
SPD, Grüne, CSU und FDP könnten ihre Modelle wunderbar zusammenstellen. Alle finden Mittelstand, Pluralismus, Kinder, Kultur, Behinderte und Arbeitsplätze gut. Entsprechend dröge sind dann auch die Vorstellungen durch Spitzenpolitiker der jeweiligen Parteien, teilweise unfreiwillig komisch. Die SPD, die ihr Modell länglich in über sieben Minuten beschreibt, fällt am Anfang damit auf, daß sie vom »Sonnendeck im Wunderland« redet – das könnte auch aus einer Rede Westerwelles stammen über Steinmeiers Chancen aufs Kanzleramt. Der »Karneval der Kulturen« der SPD kann ohne zu fremdeln wunderbar im ökopluralistischen und lodenromantischen Trachtenumzugsberlin der CSU tanzen.
Die FDP unterscheidet sich von CSU, SPD und Grünen nur graduell, aber wo sie es tut mit kalauerhaften Holzhammermetaphern: Da wird der Schilderwald im Leichenwagen abtransportiert, es gibt einen »Sumpf der Bürokratie« und ein Kriegerdenkmal für die unbekannte Glühbirne. Immerhin mäßig originell: Am Sumpf der Bürokratie warnt ein Schild vor dem Verlassen des demokratischen Sektors, dahinter kommmen die Linken.
Die Linke dagegen geht (bezogen aufs Feld der Mitbewerber) leidlich clever vor. Sie, die das utopischste Wahlprogramm hat, verzichtet weitgehend auf Utopien und stellt ihre Interpretation des Jetzt dar: Die korrupten Bonzen und Parteifunktionäre auf dem Dach einer Bank, das kaputtprivatisierte Theater, eine große Demonstration, die für die üblichen Selbstverständlichkeiten (für Gerechtigkeit und Bildung, gegen Privatisierung und Überwachungsstaat) streitet, ohne daß eine Lösung zu sehen wäre. (Neben dem Copy-Shop, wo SPD, CDU und Grüne das Linken-Programm kopieren, ist das Café »El cubanito« zu sehen.) Außerdem: Ein Piratenradiosender, damit Pressefreiheit nicht nur die Freiheit einer Handvoll Reicher ist. (Gibt es das Internet bei den Linken nicht?) Dazu erklärt Gregor Gysi in Sendung-mit-der-Maus-haft onkeliger Stimme die Politik der Linken.
Alles in allem ein künstlerischer Totalschaden, für den sich selbst der überzeugteste sozialistische H0-Realist schämen würde, Präsentationen auf dem Niveau »Mein schönstes Politikverständnis«, bei der FDP strafverschärfend ergänzt durch guidomobileske Lustigkeiten.
Einzig die CDU hebt sich ab: Eine uniforme Masse an Menschen, sauber angemalt in Schwarz-Rot-Gold, stramm aufgestellt zur Deutschlandfahne, in der Mitte: Wir. Vereinzelt Plakate: Bildung, Arbeit, Sicherheit, Familie, Umwelt, Bürger entlasten, Angela Merkel. Während die anderen Parteien ihre ideale Puppenstube aufbauen, zeigt die CDU, was ihr Menschenbild ist: Ein homogenes Volk, sauber eingekastelt, klar in Kategorien eingeteilt, als Werte nur, was nicht Gefahr läuft, Überraschungen, Neues zu bringen. (Gut, es gibt das Plakat »Integrationsland«, die Bildsprache sagt aber: »Leitkultur- und Assimilationsland«.)
»Einordnen statt Anecken« ersetzt »Freiheit statt Sozialismus«. Richtig: Freiheit fehlt. »Freiheit« hält kein gleichgeschaltetes Mitglied des homogenen Volkskörpers hoch.
Ah, wollte da evtl. auch noch was zu schreiben – und finde es interessant, welche Parteien konkrete – d.h. in Modellbauten umsetzbare – Vorstellungen von Zukunft haben, und welche nicht. Jenseits aller künstlerischen Ansprüche hat mir z.B. die Visualisierung der grünen Zukunftsvorstellung gut gefallen.
Vielsagend fand ich auch, wer nicht sagen kann, wie die Zukunft aussehen wird (jenseits platter Politparolen bei FDP und LINKE, Biederkeit bei der CSU und der von dir ja bereits erwähnten durchformatierten Menschenmasse bei der CDU).
Ich sehe das ganze im übrigen in der Tradition von Zeichnungen wie diesen: hier R. Crumb, gibt aber auch andere “Landschaftsbilder politischer Programme”
Hier der richtige Link: http://www.boingboing.net/2009/08/07/r-crumbs-short-histo.html