Nochmal Realpolitik

Mit dem Thema Realpolitik habe ich mich in den letzten Wochen in einigen Bereichen beschäftigt, auch hier im Blog – in ganz anderem Kontext, nämlich im Migrazine mit dem Titelthema Critical Whiteness habe ich dazu dieses schöne Zitat gefunden zu Realpolitik und Bündnisfähigkeit:

Ich habe viele linke Aktivist_innen erlebt, die einfach nicht in der Lage sind, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die nicht exakt ihre politischen Positionen teilen – sie erkennen nicht, wie ihre eigene ansozialisierte Verortung (inklusive race) ihre politische Position von Vornherein formt.

Außerdem scheinen viele Linke enttäuscht zu sein, wenn sich andere Gemeinschaften nicht der Radikalität ihrer Positionen anpassen. Sie sehen nicht, dass sie als privilegierte Menschen oft nicht um das Gewinnen kämpfen müssen, da sie es sich leisten können zu verlieren. Es mag einfacher sein, Strategien für allmähliche konkrete Veränderungen in der Realpolitik als “reformistisch” zu bezeichnen, wenn dein Überleben nicht von Veränderungen von Politik und Gesetzen abhängt, und du mit radikalen Positionen weniger riskierst als Menschen of color. All dies macht es schwieriger, Beziehungen aufzubauen, und Weiße bleiben isoliert in ihren Gemeinschaften.

Gilt natürlich nicht nur für Linke, und gilt besonders für Netzpolitik.

Repressive Toleranz

Harald Jähner kommentiert in der Berliner Zeitung unter dem Titel »Die Möchtegern-Polizei aus Kreuzberg« Gewalt als politische Methode von Linken:

Die Verwendung der Methode Steckbrief durch den linken und rechten Untergrund offenbart, wie wenig diese Gruppen tatsächlich gegen die Macht haben, gegen die sie vermeintlich anrennen. Sie wollen sie lediglich an sich reißen. [F]ür die angeblich Linken, gar Anarchisten, ist solcher Steckbrief-Terror ein entlarvendes Zeugnis. Auch sie liebäugeln mit den Herrschaftsinstrumenten, obwohl sie doch vorgeben, diese prinzipiell zu bekämpfen. Von herrschaftsfreien Räumen reden die Berliner Autonomen gerne, ihre Praxis zeigt dagegen, wie sehnsüchtig sie von der Herrschaft träumen.

Freiheit gerade als Freiheit des Andersdenkenden ist eben doch primär ein liberales Prinzip. Toleranz mit Augustinus (»Gibt es denn einen schlimmeren Seelentod als die Freiheit des Irrtums?«) und Marcuse (»Das Telos der Toleranz ist Wahrheit.«) umzudeuten in repressive Toleranz, hat mit Freiheit nichts mehr zu tun.

(Zu einem ähnlichen Thema dieser Tage auch Jan Filter.)

Gleichgeschaltet im Miniwunderland

Das Miniaturwunderland in Hamburg hat eine wunderbare kleine Sonderausstellung: Utopia 2009 – Parteivisionen im Modell. Die in Fraktionsstärke im Bundestag vertretenen Parteien durften jeweils einen Quadratmeter nach ihren Vorstellungen gestalten lassen. Die Idee ist pfiffig, die Umsetzung nicht immer.

SPD, Grüne, CSU und FDP könnten ihre Modelle wunderbar zusammenstellen. Alle finden Mittelstand, Pluralismus, Kinder, Kultur, Behinderte und Arbeitsplätze gut. Entsprechend dröge sind dann auch die Vorstellungen durch Spitzenpolitiker der jeweiligen Parteien, teilweise unfreiwillig komisch. Die SPD, die ihr Modell länglich in über sieben Minuten beschreibt, fällt am Anfang damit auf, daß sie vom »Sonnendeck im Wunderland« redet – das könnte auch aus einer Rede Westerwelles stammen über Steinmeiers Chancen aufs Kanzleramt. Der »Karneval der Kulturen« der SPD kann ohne zu fremdeln wunderbar im ökopluralistischen und lodenromantischen Trachtenumzugsberlin der CSU tanzen.
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