Rollen im Postprivaten

In der FAZ (via wiesaussieht) deutet Harald Welzer den Fall Wulff als Selbstmißverständnis: Wulff verwechsle und vermenge seine Rolle als Privatmann und seine Rolle als Präsident. Welzer schreibt dieses Versäumnis Wulff als persönlichen Fehler zu. Das Rollenmißverständnis hat aber auch einen Aspekt über die Persönlichkeit im besonderen hinaus: Diese Vermengung von privater und politischer Rolle ist nicht nur persönliche Unzulänglichkeit – sie ist gleichzeitig Nebenprodukt und Desiderat eines modernen, eines piratigen Politik- und Öffentlichkeitsverständnisses.
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Symbolische Gewaltenteilung

Wozu eine Bundespräsidentin? Was sie als Staatsnotar leistet, könnten auch andere Stellen leisten: Beamte und Regierungsmitglieder ernennen, Gesetze gegenzeichnen, völkerrechtliche Verträge unterzeichnen. Die Funktion in Krisen ließe sich parlamentarisch lösen (ohnehin haben Kohl und Schröder die Vertrauensfrage zum kanzlergesteuerten Selbstauflösungsrecht des Parlaments umgebaut), allein für das Gnadenrecht scheint eine passende Instanz zu fehlen, und für allfällige Repräsentations- und Integrationsaufgaben macht es Helmut Schmidt noch eine Weile.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr scheint mir doch ein Sinn im Amt der Bundespräsidentin zu liegen: Als die parlamentarische Kanzlerdemokratie stützende symbolische Gewalt. (Und damit gerade nicht eine neutrale Gewalt, pouvoir neutre, als die das Amt immer wieder bezeichnet wird.)

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Der Bundespräsident als Paria und Tenno

Mein ganzes Unbehagen am Amt des Bundespräsidenten kann ich an der Personalie von der Leyen festmachen. Nein, nichts Inhaltliches, auch wenn die Netzsperren, die populistische Rhetorik, die Lügen immer noch ohne Konsequenz im Raum stehen. Nein, auch nicht Machttaktik und Machtarithmetik.

Was ich erschreckend fand und immer noch finde, ist ihr Alter: Jahrgang 1958, 52 Jahre alt – mit 57, spätestens aber 62 Jahren wäre sie am Ende gewesen. Was soll danach noch für sie kommen? Selbst Zensursula wünsche ich dieses Amt nicht an den Hals.
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Le roi est mort

Vor anderthalb Jahren habe ich mich in diesem Medium recht desillusioniert über die Institution Bundespräsident ausgelassen. Diesen Artikel hat Herr Wasner von der Arbeitsgemeinschaft für katholische Medien- und Konzeptarbeit rzmedia heuer zitiert; ohne Angabe eines Datums.

Dazu stelle ich fest:

Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?

Die Amtsführung des geschätzten Herrn Köhlers hat wieder einmal gezeigt, daß gerade unser semimonarchistisches Staatsoberhaupt dieses halbabsolute Schweben über der Tagespolitik braucht, und vor allem, daß gerade so die scheinbar willigen Vollstrecker ihrer sie schöpfenden Meister wider den Stachel löcken können. (Und das sage ich nicht nur aus bekannten Gründen.)

Man stelle sich vor, stattdessen wäre irgendein parteiischer, womöglich gar tagespolitisch Involvierter, Staatsoberhaupt, wie es – notwendig! – der Bundestagspräsident ist! Nicht auszudenken. Autorität braucht Freiheit.

In Sachen Kinderwahlrecht (auch hier wurde mein – genau – anderthalb Jahre alter Artikel zitiert) gilt klar: Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.

Mehr noch: Rousseaus fast transzendente Sicht der Volkssouveränität muß heute einer säkularen weichen, so daß aus diesem Grund der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl nur quantitativ, nicht qualitativ begründet werden kann. Das Wahlrecht hat einen Mischcharakter; es changiert zwischen individualistischer (das Wahlrecht als Menschenrecht) und ganzheitlicher (das Wahlrecht als vom Staat gewährtes Privileg) Interpretation, wobei jedoch sowohl die historische Entwicklung als auch die Neuinterpretation der Volkssouveränität immer weiter die individualistische Sicht nahelegen. Beschränkungen des Wahlrechts müssen daher grundsätzlich individuell begründet werden und dürfen bestenfalls Ausnahmeerscheinungen sein.

Weiter: Ein demokratischer Staat muß die Reife seiner – aller! – Bürger annehmen und das Wahlrecht wirklich allgemein zur Verfügung stellen. »Die Anerkennung des einzelnen als Person ist die Grundlage aller Rechtsverhältnisse. Durch diese Anerkennung wird aber der einzelne Mitglied des Volkes in dessen subjektiver Qualität«, schreibt Jellinek, und »während Art. 3 I jede sachlich begründete Ungleichbehandlung zuläßt, liegt es gerade im Wesen der Demokratie, daß sie – wenigstens für das Wahlrecht – nur Staatsbürger kennt«, assistieren Maunz und Düring.

Pater patriae Papaque

Heiliger Vater, Sie kommen in ein Land, in dem die christlichen Kirchen eine lebendige Rolle spielen und ich bin froh darüber.

Ich denke zum Beispiel an die katholischen und evangelischen Jugendverbände. Viele werfen ja Jugendlichen heute mangelndes Engagement oder Fixierung aufs eigene Ego vor. Damit können aber die vielen tausend ehrenamtlichen Jugendgruppenleiter nicht gemeint sein, die bei den Pfadfindern, bei der Katholischen Jungen Gemeinde, beim CVJM oder anderswo Verantwortung für Kinder oder gleichaltrige Jugendliche übernehmen. Viele junge Menschen erfahren dort, wie wertvoll es ist, sich für andere einzusetzen.

Gerade in der kirchlichen Jugendarbeit erfahren junge Menschen, wie wichtig gemeinsame Werte für den Zusammenhalt einer Gemeinschaft sind und sie lernen viel über Verantwortung. Orientierung, nach der heute mit Recht gefragt wird, kann nur von Orientierten kommen. Ich habe den Eindruck, dass in der Jugendarbeit der Kirchen hier sehr viel Gutes, ja Unverzichtbares geschieht.

(Horst Köhler)

Vive le Roi!

Eigentlich bin ich ja überzeugter Gegner der Monarchie und begeisterter liberaler Republikaner.

Eigentlich.

Aber wenn ich an den deutschen Bundespräsidenten denke, könnte ich Monarchist werden: Die Briten, die Japaner und wer weiß wie viele hoffnungslos romantisch-monarchistische Völker halten sich zwar noch Monarchen, die haben aber nichts zu sagen und nur zu repräsentieren. Abgedankt wird nicht, und wenn mal einer stirbt, hat man im königlichen Stammbaum gleich vermerkt, wer nach wie vielen Toten neuer Winkaugust wird.

Das ist zwar teuer, aber wenigstens ehrlich.

Bei uns dagegen wird über die Würde des Amtes lamentiert, und am Ende wird der gewählt, der von der Mehrheitsfraktion in der Bundesversammlung aufgestellt wird. Nennt man dann Staatsoberhaupt, hat ein Schloß, und fünf Jahre später geht das ganze Elend von vorne los. Teuer ist er (und eben nicht sie, denn Frauen werden ohnehin nur dann aufgestellt, wenn sie nicht gewählt werden), hat dafür aber nicht das adelige Flair von Jahrhunderten Inzucht und Intrige.

Ich glaube mittlerweile, daß dieses Prozedere unsere Demokratie weit mehr beschädigt, als das ein König tun würde: Wie einfach ist es, am Stammtisch über die da oben zu schimpfen, die nichts arbeiten, dafür aber einen Haufen Geld bekommen. Und das schlimme ist: Beim Bundespräsidenten ist es so.

Die Lösung ist also keineswegs, das Volk über sein Oberhaupt abstimmen zu lassen, sondern ganz radikal: abschaffen. Und als Staatsoberhaupt fungiert dann der Parlamentspräsident – das stünde einer Demokratie an – und nicht alimentierte Altersheimplätze für Eldest Statesmen.