… jedes ß ein Protest gegen die Hybris staatlicher Allzuständigkeit

Auf Formspring.me wurde ich gefragt, warum ich in alter Rechtschreibung schreibe. Da das etwas länger ist, landet die Antwort hier im Blog.

Ich schreibe nicht nach alter Rechtschreibung, jedenfalls nicht in strenger Obödianz des Altschreib-Dudens letzter Hand (das ist die 20. Auflage von 1991 – habe ich schon mal erwähnt, daß ich Rechtschreibduden sammle?). Wenn ich vorgebe, nach Regelwerk zu schreiben, dann verweise ich auf den Ickler – Normale deutsche Rechtschreibung. (Und damit meine Rechtschreibung nicht deformiert wird, wende ich, wo neue verlangt wird, einfach die neue ß-Regelung an. Merkt niemand.)

Dahinter stecken zwei Gründe: Es ist mir zuwider, wenn staatliche Macht in die gesellschaftliche Sphäre übergriffig wird. Es ist schlicht nicht in der Kompetenz des Staats, die Rechtschreibung zu regeln. Und ich halte eine nach gewachsenen ästhetischen Regeln normierte Sprache (bzw. ihre Verschriftlichung) für der Sprache angemessener als eine am Reißbrett erfundene Planorthographie.
… jedes ß ein Protest gegen die Hybris staatlicher Allzuständigkeit weiterlesen

Die Freiheit der Sexistin

Meinen Vortrag zum Thema Bloggen und Gender habe ich im Rahmen einer Veranstaltung der spanischen EU-Ratspräsidentschaft gehalten. Wenn ich richtig aufgepaßt habe, war ich der einzige (nach den salbungsvollen Einführungsworten), der auch nur das Wort »freedom of speech« in den Mund genommen hat bei dieser EU-Tagung. Aus meiner handvoll Tweets kann man mein Fazit zusammenbasteln:

Mit dieser EU werde ich nicht warm: Die reden hier die ganze Zeit ueber Strafen und Regulierung und staatliche inhaltliche Kontrolle. (15.27 Uhr) Anscheinend sagt genau niemand etwas zum Thema Meinungs- und Pressefreiheit, von Selbstregulierung haelt auch niemand was. Creepy.(15.29 Uhr) Hier trifft frommer Regulierungsglaube auf Freiheitsrechte. (11.27 Uhr)

So wenig überraschend das für mich ist (über die EU-Regulierungsfrömmigkeit habe ich ja schon mal in Sachen Maultasche geschrieben), so schade finde ich das: Soll Geschlechtergerechtigkeit tatsächlich nur mit obrigkeitsstaatlichen Methoden erreicht werden, durch Umerziehung, Sanktion und Zwang? Wo sind die liberalen Ansätze?
Die Freiheit der Sexistin weiterlesen

Befriedung durch Neutralität?

Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, daß einem muslimischen Schüler das Beten in der Schule nicht gestattet werden darf, um die Neutralität der Schule zu gewährleisten, stellt einen staatlichen Übergriff dar: Nicht einfach nur in die Religionsfreiheit. Das Problem liegt tiefer: An die Stelle eines Staatsverständnisses, das Freiheiten auch im Konfliktfall zu sichern und zu ertragen weiß, der Staat dabei aber neutral ist, tritt ein Staatsverständnis, in dem der Staat seine Bürger zur Neutralität zwingt.
Befriedung durch Neutralität? weiterlesen

Leitkultur. Der Gott der Politiker

Aygül Özkan wurde als Ministerin vereidigt. Ganz Christdemokratin ergänzte sie ihren Eid mit »so wahr mir Gott helfe« und schickte eine Erklärung hinterher, daß sie die Formel nicht exklusiv-christlich, sondern inklusiv-monotheistisch verstanden haben will. Hält man sonst immer den universalen Charakter des Gottesbezugs in der Verfassung hoch (der sich, genauso wie das Kreuz in der Schule, natürlich und selbstverständlich nicht gegen andere Religionen als das Christentum richte), paßt das in der Praxis angewendet auch nicht. Die Bild fragt suggestiv »Welchen Gott meinten Sie Frau Özkan?«

Daraus wird dann in der Welt »Kirchen stört die Gottesformel«. Die Welt hat schon begriffen, worum es der Bild geht: Das Christentum als Leitkultur. Das ist schon theologisch Unsinn. Politisch zeigt sich die Fragwürdigkeit einer in ihrem Streben nach Macht, Deutungshoheit und Einfluß sich selbst ihrer Grundlagen entziehenden Kirche.
Leitkultur. Der Gott der Politiker weiterlesen

Wer besudelt hier wen?

Zum aktuellen Titanic-Titel habe ich noch nichts geschrieben; ich halte ihn für einen extrem zuspitzenden, aber guten Kommentar.

Norbert Geis hat nun in der Tagespost einen Artikel veröffentlicht, den ich für den eigentlichen Skandal halte: »Unüberbietbare Besudelung«.

Theologisch verwischt er die Kernbotschaft des Christentums, und politisch dehnt er den § 166 StGB (den alten »Gotteslästerungsparagraphen«) so weit, daß der Staat nur noch vordergründig ein säkularer bleibt (da muß man sich dann über die Außenwirkung des Christentums nicht wundern).

Wer besudelt hier wen? weiterlesen

Piratenpartei und zweierlei Rechtsbruch

Meine Position zum Ankauf der Schweizer Kontodaten habe ich in Stehler, Hehler und Befehler dargelegt. Ich halte den Ankauf für falsch. Die Piratenpartei laut einer Pressemeldung vom 5. Februar auch. Adrian widerspricht und hat mich nach meiner Meinung gefragt.

Kurz: Prinzipiell geht die Position der Piratenpartei in die richtige Richtung – im Detail gibt es aber einiges auszusetzen.
Piratenpartei und zweierlei Rechtsbruch weiterlesen

Mit uns zieht die Obrigkeit

Das baden-württembergische Finanzministerium fährt eine bizarre Anzeigenkampagne, um für seine Ausbildungswege zu werben. Mit dem Slogan »Was gibt’s zu glotzen?« wird Werbung gemacht für einen Bachelor of Laws, der zum Einsatz in der Finanzverwaltung befähigt. Zwei abweisenden jungen Leuten, sie die Arme vor der Brust verschränkt, er läßt sie hängen, wird der Slogan in den Mund gelegt.

Was will der Finanzminister uns damit sagen?

Mit uns zieht die Obrigkeit weiterlesen

Stehler, Hehler und Befehler

Natürlich werden die gestohlenen Daten ausländischer Bankkunden von der Bundesregierung gekauft, spätestens jetzt, da Angela Merkel sich dazu positioniert hat: »Jeder vernünftige Mensch wisse, dass Steuerhinterziehung geahndet werden müsse.« (Daß die Opposition sich dem populistischen Affekt hingibt, war ohnehin zu erwarten. Immerhin: Wolfgang Nescovic hat rechtsstaatliche Bedenken.)

Diese Argumentation kann nicht überraschen. Jeder vernünftige Mensch weiß ja auch, daß Terrorismus und Kinderpornographie bekämpft werden müssen. Und dabei kann man keine Rücksicht nehmen auf irgendwelche Verfahrensgrundsätze aus dem Wolkenkuckucksheim.
Stehler, Hehler und Befehler weiterlesen