Idiosynkrasie, Blasphemie und Theodizee

Ich bin ja nun kein Islamwissenschaftler. Dennoch halte ich es für hinreichend sicher, daß die Behauptung, der Prophet Mohammed verstünde von Fußball nichts, durchaus historisch tragfähig ist. Und doch führt das Schalker Vereinslied Blau und Weiß, wie lieb ich Dich gerade zu einer hitzigen Feuilleton-Diskussion ob der dritten Strophe:

Mohammed war ein Prophet
Der vom Fußballspielen nichts versteht
Doch aus all der schönen Farbenpracht
Hat er sich das Blau und Weiße ausgedacht


Soweit, so bekannt, das berichten über die Fakten überlasse ich den anderen. Zwei Dinge möchte ich herausgreifen:

StGB 166, Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen. Eine Strafrechtsnorm, in die die Logik der Eskalation und Überempfindlichkeit eingearbeitet ist: Beschimpfungen gegen Religionen sind dann strafbewehrt, wenn sie geeignet sind, »den öffentlichen Frieden zu stören«. Schon mal ein Startvorteil für die Großen, wo gar schon eine Moschee in Katholistan den öffentlichen Frieden stören könnte. Aber auch die Notwendigkeit, gleich den Untergang des (je nach Wunsch) Abend- oder Morgenlandes zu beschwören, um auch ja die Eignung zum Friedensstören zu beweisen.

Zum Zweiten: Immer noch spricht man vom Gotteslästerungsparagraphen, und Gotteslästerung und Blasphemie sind schnell ausgepackt. Ohne die religiöse Konnotation wäre Blasphemie ein angenehm wertneutraler Ausdruck: βλασφημία, also die Rufschädigung; mit der Übersetzung als Gotteslästerung wird es aber zum theologischen Skandalon. Ein Gottesbild, das davon ausgeht, daß man Gott beleidigen könne, ist fragwürdig. Was ist das für ein höheres Wesen, das so kleingeistig eingeschnappt sein soll, und das auch noch wegen Petitessen wie diesem Lied? Mehr noch: es kommt die Theodizee ins Spiel. Metaphysisches Aufbegehren, und sei es völlig trivial und gar nicht als solches ausgewiesen, gipfelt immer in der Theodizeefrage: Wie kann es sein, daß Gott das zuläßt? Zugespitzt bei Stendhal: Die einzige Entschuldigung Gottes ist, daß er nicht existiert. Ein Gott, der die Menschen mit Freiheit begabt hat, der die Menschen aber auch mit einem moralischen Unterscheidungsvermögen begabt hat, der schließlich diese Freiheit bis hin zum eigenen schmerzhaften Schweigen durchdekliniert, muß also mit blasphemischen Anfragen an seinen Schöpferwillen leben. Er selbst ist die Bedingung ihrer Möglichkeit.

Es bleiben also die religiösen Gefühle der Gläubigen. Wie es der Islam theologischerseits hält, weiß ich nicht. Für Christen jedenfalls ist der Auftrag nicht, empört zu sein. (Biblisch gesehen ist die Beleidigung aus religiösen Gründen sogar ein Ehrenzeichen.) Eingeschnappt und eingeigelt in die eigene Empörung gibt man kein gutes Zeugnis. Im Gegenteil, das Ärgern über solche Petitessen ist selbst ein Ärgernis: Wenn all die Gläubigen, die aufgehen in ihrer Empörung über Madonna am Kreuz, Popetown, Hader- und Mohammed-Karikaturen &cetera ad nauseam mit ihrer Zeit was Sinnvolles machen würden (oder sich wenigstens über Probleme empören würden, bei denen wirklich Menschen zu schaden kommen): Das wäre ein Zeugnis für ihre Religion.

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