SPD: Von Basta- zu Volks-Partei?

Nach dem erwartbaren Wahldebakel konnte man an der SPD-Spitze ein bizarres Schauspiel sehen: Selbstreplizierende Gremien, Erneuerung durch Häutung: Nicht mehr das gleiche, und doch dasselbe, Fleisch vom selben Fleisch. Ein im Kern autokratisches Leitungshandeln, Machismo als Führungsprinzip.

Dahinter steht ein bestimmtes Politikverständnis. Vorgeblich – so etwa Wolfgang Thierse im Interview mit dem Deutschlandradio – möchte man Menschen schützen. Personaldebatten seien zersetzend und lähmend. Ein dubioses Politikverständnis: Alle demokratische Führungsauswahl, selbst im parlamentarischen System, basiert auch darauf, daß eine Person der anderen vorgezogen wird, daß öffentlich Für und Wider diskutiert werden.

Tatsächlich geht es nicht darum, Schaden von Personen abzuwenden, die sich der Öffentlichkeit stellen müßten (in den letzten Jahren war die SPD-Spitze immer gerne dabei, hin- und herzuputschen, nur eben im Hinterzimmer). Tatsächlich geht es um eine Verachtung der Basis: Die Partei ist als Kanzlerwahlverein gut, die Basis zum Plakatekleben. Die Parteiführung legt – Basta! – den Kurs fest, die Basis hat nur noch die Schwungmasse für die Entscheidung ihrer Speerspitze zu stellen.

Verbrämt wird das zusätzlich mit hehren Idealen, die eher dem Krieg als der Politik entnommen sind: Geschlossenheit, Einheit, Führungsstärke. Wenn man mit Carl Schmitt Politik als die Unterscheidung in Freund und Feind versteht und Parteien als Kampfverbände in diesem Krieg, mag das angehen. Anstatt sich einer offenen Diskussion zu stellen, wird Zusammenhalt als Parole ausgegeben. Olaf Scholz:

[J]etzt [ist] die Stunde, in der man am besten zusammenhält, um die große Herausforderung, die vor uns liegt, zu bewältigen. Ich kenne keine Flügel mehr, nur noch Sozialdemokraten.

Unter innerparteilicher Solidarität wird nicht etwa konstruktive Kritik, ein gemeinsames Ringen um das gemeinsame Ziel verstanden, sondern Kadavergehorsam – sich »mittels des Oberen führen und leiten lassen […], als sei [man] ein toter Körper, der sich wohin auch immer bringen und auf welche Weise auch immer behandeln lässt, oder wie ein Stab eines alten Mannes, der dient, wo und wozu auch immer ihn der benutzen will.« (Ignatius von Loyola in den Constitutiones, Übersetzung Peter Knauer) Parteitage sind nicht Diskussionsforen, wo das Argument und die Mehrheit zählt, sondern Krönungszeremonien (man erinnere sich daran, wie Björn Böhnings Antrag gegen Zensursula durch einen windigen Vorstands-Formelkompromiß abgeschmettert wurde). Vorsitzende sind nicht erster Diener der Partei, sondern absolutistische Herrscher (deren Sukzession gerne per Königsmord betrieben wird).

Doch es gibt Bewegung in der SPD: Schon im Parteivorstand war ein für dieses Politikverständnis unverschämt schlechtes Ergebnis ein gutes Zeichen für das Löcken wider die Spitze. (Wenn Nico Lumma fragt, warum 78 % schlecht seien, ist das auch ein gutes Zeichen: Der Spin von der Notwendigkeit der sozialistischen 100-%-Entscheidung wird nicht mehr überall nachgebetet.) Auch wenn es Augenwischerei ist, zu behaupten, damit sei alles noch offen, wie Gabriel verkündet: »Das war heute eine Nominierung. Vor ihnen steht nicht der Parteivorsitzende – ich bin Kandidat« – man reagiert auf den wachsenden Unmut der Basis und versucht den Ukas schönzureden. Da ist die Rede von Touren durch die Landes- und Kreisverbände, von Beteiligung der Basis – indes: Auch wenn Wolfgang Thierse dem bayerischen Rundfunk sagt, es gebe »keine schnellen, flotten Antworten« auf die Krise, hat die Partei Fakten geschaffen und sich – vorschnell, allzuflott – ihre Antworten selbst gegeben. In der Logik von Einheit und Geschlossenheit verbaut sich die SPD die Chance auf echten Wandel.

Immerhin: Außer Lippenbekenntnissen und Scheinpartizipation gibt es erfreuliche Bewegungen und Hoffnung für die Partei: Da ist die Geschichte, in der die Partei immer dann stark war, wenn sie als Partei der Debatte stark war – vom Godesberger Programm bis zu Brandts Intellektuellen-SPD, die für »mehr Demokratie wagen« stand. (In der Süddeutschen arbeitet Heribert Prantl diesen Aspekt wunderbar heraus.) Da ist gleich zweimal der Präzedenzfall Scharping: Einmal seine Nominierung per Urwahl (die auch Menschen motiviert hat), einmal sein Sturz durch einen Parteitag, der gerade kein Weiter-so wollte. Da ist die hessische SPD, die ihr Programm partizipativ ausarbeitete und in Thorsten Schäfer-Gümbel einen Fürsprecher für partizipative Prozesse hat. Da ist die rebellierende Thüringer Basis, die Schwarz-rot nicht mitmachen will. (Da ist auch die Piratenpartei, die vormacht, wie man partizipativ Politik macht und seine Basis wörtlich nimmt als Basis für die Politik. Schön auch, daß die Grünen ein Vorbild sind, wie eine Partei Demokratie aushalten kann.)

Parteien, besonders die SPD, werden auf Dauer nur dann noch legitimerweise bestehen, wenn alle Seiten gleichermaßen öffentlich ihre Standpunkte darlegen dürfen und darüber offen diskutiert werden kann. Wenn Diskussion als programmatische Stärke, wenn echte Wahlen (verzichten wir auf den Begriff »Kampfkandidatur«!) als breitaufgestelltes Personaltableau aufgefaßt werden. Wenn Beteiligung nicht nur als Jubelperser möglich ist.

Für die SPD steht eine schmerzhafte Selbstentmachtung der Gremien und Funktionäre an zugunsten eines Vertrauens in die Basis: Die Umwandlung von einer Basta-Funktionärspartei in eine echte Volkspartei: »government of the people, by the people, for the people.«

Nachtrag, 8. Oktober 2009: In Thüringen darf man auf eine aufbegehrende Basis hoffen, in Hessen und im Saarland gährt es, anderswo kommt sogar Beck wieder und fordert Geschlossenheit und Partizipation. Ja was denn nun?

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