Re:alnetzpolitik

Es gab noch andere Leitthemen der re:publica, neben den Kindern (und überhaupt sind diese gefühlten Leitthemen ja alle sehr subjektiv bei diesem enormen Programm). Die Frage, wie es strategisch mit Netzpolitik weitergeht, und Kirchentagsvergleiche. Beides läßt sich auch zusammenbringen: Die Netzpolitik kann von Kirchentagen dazulernen.

Sascha Lobo hat in seinem Vortrag einiges zur Netzpolitik gesagt und beschreibt meines Erachtens zutreffend eine typische Haltung in der netzpolitischen Szene: »Alles muß zu hundert Prozent so umgesetzt sein wie wir es wollen – sonst flippen wir total aus«; das ist, denke ich, das Erbe einer eher naturwissenschaftlich-ingenieurwissenschaftlich sozialisierten Szene, die gerne in klaren Kategorien von richtig und falsch denkt, verbunden mit einer Attitüde, von vornherein eh als erste und am besten kapiert zu haben, worum es in diesem Netz geht – dabei geht es in der Politik um wertgebundene Entscheidungen, die sich nicht objektiv als richtig oder falsch bestimmen lassen.

(Ein solches Politikverständnis nach Carl-Schmitts Freund-Feind-Schema zeigt exemplarisch etwa Peter Piksa bei Carta als wütende Replik auf Thomas Jarzombeks Plädoyer für Realpolitik und Kompromisse – pragmatisch Ideologie mal eben fürs politische Detailgeschäft wegpacken können mittige Konservative, egal aus welcher Volkspartei, oft besser als von ihrer Idee sehr beseelte Linke – oder Liberale –, die die Gesamtscheiße umwerfen wollen.)

Realpolitik, Kompromisse sind also angesagt, wenn die Netzpolitik nicht zwar immer recht haben, sich aber nur selten durchsetzen können will. Dazu gehört auch, Netzpolitik als Politik ernstzunehmen. Und Politik heißt, daß es legitimerweise mehrere Positionen geben kann – warum sollte es nicht eine konservative, eine liberale, eine grüne, eine sozialdemokratische Netzpolitik geben? Die werden nicht immer kompatibel sein, widerstrebende Ziele und Wege dahin müssen verhandelt werden, und nicht alle sind immer auf der je eigenen Seite im eigenen Kampagnenboot, und trotzdem sind die anderen nicht notwendig dumm oder böswillig.

Bündnispolitik ist eine große Schwäche der netzpolitischen Bewegung; vieles steht unverbunden nebeneinander, viel unnötige Gegensätze werden zementiert. Petitionen, die an sich gut sind, verlieren an Schlagkraft, weil sie unabgesprochene Piraten-Petitionen sind. Wohlmeinende aus dem gefühlt anderen Lager (Jarzombek oder Tauber etwa), die Kompetenz und Problembewußtsein in ihre Parteien bringen wollen und nicht selten zumindest das schlimmste verhindern, werden nicht als gelegentliche Verbündete, sondern immer als Gegner (siehe oben) gesehen. Um die eigenen Milieugrenzen wird ein so weiter Cordon sanitaire gezogen, daß potentielle Verbündete gar nicht mehr gesehen werden und jede Kooperation zum Schutz der eigenen ideologischen Verortung von vornherein ausfällt.

Ein Beispiel meiner Versuche bündnispolitischen Engagements: In diversen kirchlichen Organisationen und Gremien bringe ich netzpolitische Themen ein, die dort passen, so etwa die Stellungnahme der Katholischen jungen Gemeinde gegen den JMStV, die ich mitgeschrieben habe – in den Kommentaren zur Meldung bei netzpolitik.org war wenig Freude über – aus eigener Unkenntnis – unerwartete Allianzen zu lesen, dafür sehr viel Kulturkampf. Kann man machen, man muß sich dann aber auch nicht wundern, wenn die eigene Relevanz zwar in der eigenen Filterbubble hoch ist (und die eigene Filterbubble eng und schön warm ist), die Breite der Gesellschaft sich aber nicht darum schert. Zur Politikkompetenz gehört es auch, die verschiedenen gesellschaftlichen Player differenziert zu betrachten und potentielle thematische Allianzen nicht durch pauschale Unwerturteile auszuschließen. (Die Liste der Unterstützenden des anderen Aufschreis, dem gegen den Waffenhandel, ist ein Beispiel: So ein breites Bündnis ist netzpolitisch selten – auch wenn es Gegenbeispiele gibt, etwa bei Freiheit statt Angst.)

Vernetzung, Bündelung und Bündnispolitik mit und für netzpolitisch interessierte Organisationen wäre daher auch mein Wunsch an die nächste re:publica. Bei der Umsetzung könnte sie von Kirchentagen lernen: Dort gibt es eine Kirchenmeile, auf der diverseste mehr oder weniger lose mit der Kirche verbundene Organisationen sich präsentieren. Die Weite (und ja, auch die Abgründe) der Kirche werden dort deutlich. Auch die re:publica ist diverser als auf den ersten Blick sichtbar. Dieser Tage habe ich viele Leute aus der Jugendverbandsarbeit getroffen (im DBJR, beim BDKJ und in der KjG gibt es gute (disclosure), kaum beachtete netzpolitische Positionen), die re:campaign war gut besucht durch Presseleute aus Bistümern und kirchlichen Organisationen; plötzlich saß ich mit einigen Onlinern der Unionsparteien (für mich ein doch trotzdem völlig fremdes Milieu) auf dem Affenfelsen, und siehe da: Ich würde euch nicht wählen, aber reden können wir gut.

Nicht nur Digitale Gesellschaft (die den die re:publica Veranstaltenden sehr nahe ist, und bei der ich Fördermitglied bin), die offizielle Vortragsslots hatte, war da: Genügend Leute aus verschiedenen Parteien, den parteinahen Netzvereinigungen, CCC und FoeBuD (den neuen Namen kann ich mir nicht merken – die haben übrigens einen besseren Blick auf die Breite der Szenen: Der FoeBuD hatte auf dem letzten ökumenischen Kirchentag einen Stand) und was es noch alles gibt – nur nicht sichtbar. Mein Wunch: Nächstes Jahr gibt es zusätzlichen Platz, an dem alle diese Gruppierungen einen Stand haben, um ihre Arbeit vorstellen, sich vernetzen. Die re:publica ist bereits jetzt die Veranstaltung, die (neben den großen Demos gegen Acta und früher die FSA) immerhin große Teile der Netzszene zusammenbringt und ein Gefühl für die Weite, die Kompetenz und die potentielle Kraft dieses Milieus erzeugt.

Der Katholikentag wurde 1848 erfunden als »Heerschau des katholischen Deutschlands«, um die Positionen eines relevanten, aber politisch unterrepräsentierten Milieus eine deutliche und profilierte Stimme zu geben. Die re:publica ist für die Netzszene in Deutschland ähnlich wichtig. Das könnten wir nutzen, um die guten Argumente auch in die Politik und in die Zivilgesellschaft zu tragen.

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