Netzpolitik auf katholisch. Hintergründe zum ZdK-Papier

ZdK. Alle Rechte beim ZdK
Im ZdK. Alle Rechte beim ZdK.
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hat am 21. Oktober ein netzpolitisches Grundsatzpapier veröffentlicht: Partizipationsmöglichkeiten und Beteiligungsgerechtigkeit in der digital vernetzten Gesellschaft. Ich war Mitglied der Redaktionsgruppe, die den Text erarbeitet hat, und habe mich bemüht, eine Stellungnahme auf der Höhe der Zeit zur Verabschiedung zu bringen (in meinem Blog habe ich einen Werkstattbericht darüber geschrieben, was mir wichtig war, einzubringen). Mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden, auch mit den Reaktionen.

Die Resonanz in den Fachmedien war sehr positiv, aber auch sehr überrascht: Ausgerechnet aus katholischen Kreisen wird keine netzpolitische Stellungnahme erwartet, die von Markus Beckedahl in der taz als »fortschrittlicher als alles andere, was wir bisher von Kirchenseite gelesen haben« bezeichnet wird.

Die Überraschung ist verständlich: Progressive Netzpolitik wird nicht mit den christlichen Kirchen verbunden; parteipolitisch, weil die Parteien, die das Christentum im Namen vereinnahmt haben, traditionell auf der gegnerischen Seite zu finden sind, gesellschaftlich, weil Netzpolitik in der Tat bisher nur sehr am Rande in den politischen Beiträgen religiöser Organisationen Thema war. Das heißt nicht, dass Netz-Themen gar nicht präsent sind; aus den katholischen Jugendverbänden gibt es mehrere Stellungnahmen, vor allem zum Thema Grundrechte, aber auch zu Computerspielen.

Bereits 2002 hat der Päpstliche Rat für die sozialen Kommunikationsmittel eine sehr klug abwägende Stellungnahme zum Netz veröffentlicht, auch die Deutsche Bischofskonferenz hat sich in dem medienethischen Impulstext Virtualität und Inszenierung damit beschäftigt. Neu am ZdK-Papier ist die klare politische Positionierung (und, zugegeben, wohl auch: der Presseverteiler, der bei den anderen Stellungnahmen wahrscheinlich nicht netzpolitik.org, Heise und Golem enthielt).

Dieser Fokus ist strukturell bedingt: Das ZdK ist die oberste Vertretung der katholischen Laien, demokratisch gewählt und von der Bischofskonferenz zwar anerkannt, aber nicht kontrolliert. Seine Aufgabe ist es, aus katholischer Perspektive Impulse in die Politik zu bringen. Entstanden in der Mitte des 19. Jahrhunderts (der antiquierte und realsozialistisch klingende Name Zentralkomitee stammt aus Zeiten, als an real existierende kommunistische Parteien noch nicht zu denken war), trägt es die Tradition des politischen Katholizismus und des Sozialkatholizismus weiter, und das heißt heute thematisch vor allem Sozial-, Kultur- und Gesellschaftspolitik, zunehmend auch Umweltpolitik.

Eine bürgerrechtliche Tradition gibt es nicht, und damit auch wenig Tradition, sich auf klassischen innenpolitischen Feldern zu positionieren. Dazu kommt die katholische Demographie: Eher älter, eher konservativ, und mit einer weit unterdurchschnittlichen Internetnutzung. Gut zwei Drittel der Katholik_innen, die sich »eng mit der Kirche verbunden« fühlen, haben laut den Ergebnissen des MDG-Trendmonitors »Religiöse Kommunikation 2010« gar keinen Zugang zum Internet – doppelt so viele wie gesamtgesellschaftlich.

Dennoch ist das Thema Netz im ZdK in den letzten Jahren immer wieder präsent. Spätestens 2009 mit den ersten Erfolgen der Piratenpartei und netzpolitischen Debatten, die auch in die allgemeine politische Öffentlichkeit hinein wirkten, war klar, dass auch das ZdK sich damit beschäftigen muss. Der Arbeitskreis politische Grundfragen hat sich ausführlich mit dem Thema beschäftigt und die im Frühjahr beschlossene Stellungnahme Demokratie in Bewegung vorbereitet, die auch einen Abschnitt »Das Netz als Erweiterung der politischen Öffentlichkeit« enthält. (Mein Beitrag war ein Referat während einer der AK-Sitzungen.)

Die aktuelle Stellungnahme entstand im Sachbereich Publizistik und Medienpolitik unter der Sprecherin Beate Schneiderwind. Am Anfang war es schwierig, einen passenden Blickwinkel zu finden: Die eigene Einschätzung war, dass das ZdK einen Ansatz finden muss, zu dem dieses Gremium überhaupt kompetent sprechen kann. Es genügt nicht, die fachliche Expertise von außen dazuzuholen. Es braucht auch die schon in der Organisation vorhandene Expertise und Glaubwürdigkeit, damit das Thema glaubhaft vermittelt werden kann, und die Position als relevanter Diskursbeitrag aufgenommen wird – die Zusammensetzung der eigenen Basis und ihre weniger ausgeprägte Affinität zu neuen Medien war allen Beteiligten sehr bewusst.

Logische Konsequenz war der Ansatzpunkt der Beteiligungsgerechtigkeit: Sozialpolitisch hat das Zentralkomitee eine hohe Kompetenz, politische Fragen aus der Perspektive der Option für die Armen zu betrachten, ist eine gute kirchliche Tradition, und mit der katholischen Soziallehre gibt es eine theologisch verantwortete gesellschaftspolitische Herangehensweise, die bisher im politischen Diskurs noch nicht auf die Netzpolitik angewendet wurde.

Im Ergebnis führte das zur Behandlung der Themen technische und materielle Zugangsvoraussetzungen, Netzneutralität, Medienmündigkeit, Beteiligung und Soziale Online-Netzwerke, Herausforderungen für Organisationen und Strukturen und Kirchen in der digital vernetzten Gesellschaft. Ausgeblendet wurde vor allem der Bereich des Urheberrechts, ein Feld, bei dem im ZdK eher klassische kulturpolitische Positionen vertreten werden (die in der Redaktionsgruppe vertretene Gesellschaft katholischer Publizisten unterstützt etwa die Urheberrechtsinitiative der Tatort-Autor_innen).

Das Positionspapier sehe ich vor allem als Chance für den sehr in Grabenkämpfen gefangenen netzpolitischen Diskurs. Die netzpolitische Bewegung ist in vielem ein Scheinriese: innerhalb der eigenen Filterblase wichtig und relevant, darüber hinaus marginalisiert, da wenig für Real- und Bündnispolitik zu begeistern.

Als netzpolitisch unbelasteter und im konservativen Lager angesehener Akteur hat das ZdK eine realistische und dabei progressive Netzpolitik in eine Form gebracht, die anschlussfähig ist und zentrale netzpolitische Politikfelder in Begriffe gebracht, die Schnittpunkte mit konservativer Politik aufzeigen, etwa den Bezug zur Soziallehre der Kirchen oder die ordnungspolitische Begründung der Netzneutralität. Das ist gerade jetzt wichtig, wo es kein liberales Korrektiv mehr in der Bundesregierung geben wird und Netzpolitik aufs Abstellgleis geschoben zu werden droht.

In Predigten eingebaut, wie Markus Beckedahl das in seinem Statement in der taz vorschlägt, wird die Position nicht. Das ist nicht der Ort für Politik. Im politischen Diskurs und besonders in den Koalitionsverhandlungen wird das Papier aber hoffentlich zur Kenntnis genommen und dazu beitragen, konservative Netzpolitik in eine bessere Richtung zu bewegen – und in der netzpolitischen Szene, den Blick zu weiten.

(Dieser Artikel erschien zuerst bei Carta.)

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