Im aktuellen Spiegel (Nr. 47/2009, S. 39) findet sich ein Artikel unter dem aparten Titel »Gott ist gelb«. Im Bundestag hat sich eine Gruppe von Christen in der FDP-Fraktion gegründet, der 40 Abgeordnete angehören.
Das ist ungewöhnlich für die Partei, deren Existenz lange Zeit die Konfliktlinie Säkularismus–Klerikalismus gesichert hat. Religion ist für Liberale eigentlich Privatsache, und bisher hielt man es mit Max Weber, daß mit der Bergpredigt keine Politik zu machen sei. Aber es gibt auch gute Gründe für liberale Christen, nicht mit ihrem Glauben derart hausieren zu gehen.
Initiator Patrick Meinhardt begründet seine Initiative so:
Wir waren elf Jahre in der Opposition, da stellt man sich Sinnfragen.
Nach gefühlten 100 Jahren Regierungsbeteiligung reichen also 11 Jahre, um die halbe Fraktion fromm zu machen. Die sinnfrageninduzierte Rechristianisierung der FDP treibt dann seltsame Blüten wie eine »Andacht nur für FDP-Abgeordnete« im Gebetsraum des Bundestags. (Gottesdienst und Gebet sollte eigentlich nicht nach Parteien sortiert stattfinden.)
Zwischen den Zeilen liest man dann aber, worum es wirklich geht: Nachdem man so erfolgreich von der Union Wähler zu sich gezogen hat, möchte man ein »Signal an Wertkonservative« schicken. (Auch bei der CDU sorgt sich neuerdings ein »Arbeitskreis engagierter Katholiken« um die Wertkonservativen. Erster Schritt: Es wurde ein Webdesigner engagiert, der sein Handwerk während des Kulturkampfs gelernt hat.)
Das halte ich für alle Beteiligten für falsch: Für die FDP, wenn sie auf Wählerschichten und Inhalte setzt, die weder liberal noch zukunftsgewandt sind. Für Christen, weil damit das Christentum verengt wird auf eine diffus konservative Einstellung.
Dabei paßt der Liberalismus eigentlich gut zum Christentum:
Erstes Ziel aller christlichen Liberalen und liberaler Christen sollte von daher das Insistieren auf die Würde und Unverfügbarkeit des Menschen sein. Der Mensch, der Einzelne, bleibt ein Zweck an sich selbst, es geht um die Sicherung einer Sphäre von Freiheit und Personalität in einer Welt, die den Menschen von allen Seiten verschiedensten Zwecken unterordnen will. (aus einem Papier der Liberalen Christen Bayern)
Die katholische Soziallehre (die ja keine Vorauswahl für ein politisches System trifft, sondern Kriterien ausarbeitet, anhand derer sich Systeme bewerten lassen) läßt sich auch liberal durchbuchstabieren, nicht erst seit der im Angesicht des untergehenden Sozialismus im Ostblock verfaßten Enzyklika »Centesimus Annus«, die in nie gekannter Deutlichkeit den freien Markt und das Privateigentum hochhält und eine klar ordoliberale Vorstellung von der Wirtschaft hat.
Die Sozialprinzipien der katholischen Soziallehre, Personalität, Solidarität, Subsidiarität, sind auch liberale Ideale. (Ja, ich halte auch Solidarität für ein liberales Ideal: Solidarisch ist ein System, das Menschen in Notsituationen auffängt, eigene Initiative aber nicht lähmt.) Gerade das Beharren darauf, daß jeder Mensch in seiner Freiheit zu achten ist, und daß das institutionell u.a. dadurch passiert, daß nur das zentral geregelt wird, was nicht auf einer niedrigeren Ebene besser gelöst werden kann, daß Solidarität auch Hilfe zur Selbsthilfe heißt, sollten Merkmal jeder liberalen Politik sein.
Deshalb finde ich es auch absurd, wenn Liberale durch die Gründung eines Arbeitskreises, der explizit auch fürs soziale Gewissen der Partei dasein soll, den Eindruck erwecken, daß ihre Partei ansonsten nicht sozial sei. Damit überläßt man die Deutungshoheit über den Begriff »sozial« der Linken. (Eine bessere Strategie ist es, das Soziale des Liberalismus herauszuarbeiten, wie es Philipp Rösler als Herausgeber des Sammelbandes Freiheit. Gefühlt, gedacht, gelebt getan hat, oder wenn man immer wieder von der Anti Corn Law League und den Manchesterliberalen erzählt.)
Liberalismus paßt also durchaus zu christlichen Werten, ohne daß man ständig davon erzählen müßte. Im Gegenteil steht es gerade christlichen Liberalen an, zwar aus christlicher Verantwortung Politik zu machen (das heißt für Christen wie für Liberale: nötige Regelungen treffen, die das Gemeinwohl betreffen, und den Menschen ihre Privatsphäre zu lassen), damit aber keine Politik für die Kirche zu machen.
Ein Grund für das unterkühlte Verhältnis von Liberalismus und den Kirchen war (und ist) die Weigerung, Politik für die Kirche zu machen (bei den Liberalen Christen Bayern gibt es eine schöne Zusammenfassung der Geschichte dieses Verhältnisses); eine Weigerung, die ihren Höhepunkt im Kirchenpapier von 1974, das den schönen Titel »Freie Kirche im Freien Staat« trägt. Ich halte dieses Papier – auch und gerade als Christ! – auch heute noch These für These für richtig: Es geht darin um eine umfassende Trennung von Kirche und Staat, um beiden ihre wesensgemäße Existenz zu ermöglichen: Dem säkularen Staat, daß er neutral und unparteiisch allen seinen Bürgern gegenüber auftritt, der Kirche, daß sie ohne staatliche Vereinnahmung ihre selbstgewählte Aufgabe verfolgen kann.
Die Öffentlichkeit hat diese Aspekte des Kirchenpapiers nicht wahrgenommen. Diskutiert wurde eines: Die böse FDP will die Kirchensteuer abschaffen. Die Zeit hat das damals in angenehmer Klarheit unter dem Titel »Bigotte Bischöfe« auseinandergenommen:
Wieder einmal verschanzen sich die Hirten hinter ihren Schafen und verschleiern so, wer eigentlich vom FDP-Papier gemeint ist: Nicht die »Volkskirche« als Gemeinschaft der Gläubigen, sondern die Amtskirche, die sich mit aller Macht an die ihr verbliebenen Positionen aus der Zeit des Staatskirchentums klammert.
Daß es auch und gerade für die Kirche gut wäre, wenn es eine strengere Trennung von Kirche und Staat gibt (am Beispiel der Kirchensteuer und staatlicher Bekenntnisschulen habe ich das in einem anderen Artikeln diskutiert), wird nicht gesehen.
Gerade Christen in der Politik sollten sich bewußt sein, daß Politik zwar wertgebunden ist (und daher natürlich Christen in Parteien und Parlamente gehören), daß Politik aber keine Allzuständigkeit hat. Wenn Christen ihr politisches Engagement dazu verwenden, um ihre eigenen Wertvorstellungen eins zu eins in Gesetze zu gießen, dann brauchen sie sich nicht zu wundern, wenn andere Politiker das gleiche machen – dann aber mit Werten, die diesen Christen nicht passen. Für Christen sollte der Schutz der Privatsphäre und der freien Entscheidung des Einzelnen sowie der klaren Trennung der politischen und der religiösen Sphäre im Mittelpunkt ihres politischen Handelns stehen.
Die Entscheidung für den Glauben (und für moralische Werte aus dem Glauben) muß in Freiheit geschehen. Sonst ist sie nichts wert.
Ergänzung, 23. November 2009: Im österreichischen Standard ist ein Interview mit Patrick Meinhardt (via FDP-BW Weblog), das einige Spekulationen des Spiegel-Artikels zurechtrückt. In diesem Artikel legt Meinhardt sehr erfreulich seine Position dar, ohne auf konservative Wählerschichten zu schielen:
Freiheit und Verantwortung sind zwei Grundelemente, zwei grundphilosophische Ansätze, die aus meiner Sicht sowohl christliche Überzeugung als auch liberale Grundphilosophie prägen. Freiheit ist für mich ein wichtiger Wert, aber er muss sich rückspiegeln in der Freiheit des Anderen. Deswegen ist Verantwortung nötig und das heißt, Verantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen. Das ist für mich ein ganz klarer Ansatz, den ich aus dem Liberalismus heraus sehe. Aber Verantwortung heißt für mich eben auch Verantwortung für andere übernehmen. Und das ist für mich die Spiegelung in der Nächstenliebe, die ich dann im sozialen Aspekt der Sozialen Marktwirtschaft sehe. Deswegen benütze ich den Begriff der Nächstenliebe in jeder meiner politischen Reden aus einer persönlich gewachsenen Überzeugung heraus.
Hoffentlich sehen das alle in der FDP-Christen-Gruppe so.
Sehr guter Artikel. Mir geht es auch immer so, dass ich es suspekt finde, wenn „auf einmal“ Leute aus taktischen Gründen Christen werden.
Mir ging es ein wenig auch so bei der Vereidigung der MinisterInnen, die ich auf der Bundestagstribüne verfolgen konnte. Einerseits freue ich mich, wenn alle Minister die Eidesformel sprechen, andererseits glaube ich nicht, dass es von herzen bzw. vom Glauben kommt. In dem Zshg. fand ich auch die Äußerungen von H-J Vogel (SPD) bei der kürzlichen Debatte in der katholischen Akademie Freiburg sehr interessant, der darauf hinwieß, dass es nicht unbedingt auf die Eidesformel, sondern auf das Verhalten/Handeln der Minister ankommt.
Die Eidformel stand auch auf meinem Notizzettel für diesen Artikel. Ich verstehe nämlich nicht, was hinter der religiösen Formel steckt. Biblisch sind Eide ja problematisch, der Wortlaut ist unverständlich (»So wahr mir Gott helfe« – Gott möge mir helfen? Den Schwur kann ich nur mit Gottes Hilfe halten? Gott wird mir schon dabei helfen) – die einzige wirkliche Funktion ist, einen Claim abzustecken: Ich halte mich an die Tradition. Die religiöse Bekräftigung wird instrumentalisiert, um Signale in bestimmte Gesellschaftsschichten zu schicken. (Dessen verdächtige ich gerade die FDP-Minister.)
Deshalb freue ich mich auch nicht über religiöse Bekräftigungen.
„Erster Schritt: Es wurde ein Webdesigner engagiert, der sein Handwerk während des Kulturkampfs gelernt hat.“
wer seinen Mund so voll nimmt, sollte selber etwas zu bieten haben… ich finde diese Seite entsetzlich langweilig… und die AEK-Seite wirklich gelungen. Aber quot homines tot sententiae… läster über Deine Glaubensbrüder, die im Gegensatz zu Dir den Hintern hoch kriegen, ruhig weiter. Im Warmen lässt sich gut räsonieren 😉
„Solidarisch ist ein System, das Menschen in Notsituationen auffängt, …“
Dieses System nennt sich Familie.