Via Kristian Köhntopp erreicht mich eine musikalische Unglaublichkeit, die in ihrer »herausragenden OMFGigkeit« Gunter Gabriels von mir sehr geschätztes Radiohead-Cover »Ich bin ein Nichts« um ein Vielfaches übersteigt: Vader Abraham singt »Wenn die Slipeinlage nur gut sitzt«.
Man könnte denken, es handle sich bloß um einen abgeschmackten Herrenwitz, der sich im verwegen-pubertären Aufrufen von Tabus beschränkt. (Der abgeschmackte Herrenwitz ist die karnevaleske B-Seite »Es lebe die Slipeinlage«.) Tatsächlich ist das Stück in Form und Inhalt ein beachtliches Sittengemälde einer Gesellschaft, die Sauberkeit und Planbarkeit zu ihren Götzen erhoben hat.
Und dennoch: Ein gewisser kindlicher Zug eignet dem Stück; bis in die Unterhaltungsspalten der Kirchenzeitungen hat es jener Witz vom kleinen Fritz geschafft, der sich ein Tampon wünscht und der erstaunten Tante mitteilt, dies zu brauchen, da man damit reiten, schwimmen, laufen und fahrradfahren könne. So wie der kindliche Glaube aus der oberflächlichen Botschaft der Werbung seine Wünsche in ein Tampon projiziert, wird auch hier die Slipeinlage zu einem Sehnsuchts- und Fluchtpunkt der Hoffnung nach einem gelingenden Leben.
Der Text ist überschaubar: Obwohl sich das Stück deutlich länger anfühlt, besteht das Lied nur aus dem Refrain, der, jeweils einmal wiederholt, den Rahmen bildet für eine einzige Strophe. In der Wiederholung und im strengen Aufbau wird die zentrale Botschaft vertreten:
Wenn die Slipeinlage nur gut sitzt,/ mußt Du nie mehr ängstlich sein,
Wenn Deine Slipeinlage nur gut sitzt:/ Das gibt Sicherheit für groß und klein.
Es geht dir gut, kannst Dich bewegen/ Du fühlst immer Sauberkeit,
Wenn die Slipeinlage nur gut sitzt/ Macht sie Dich unendlich frei.
Die große Fallhöhe des Textes fällt auf: Ein beiläufiger Alltagsgegenstand wird aufgeladen mit einer existentiellen Bedeutung. Es ist so einfach und lapidar: »nur gut sitzen« muß die Slipeinlage als Voraussetzung für ein in seiner Totalität gelingendes Leben. Gelingendes Leben wird charakterisiert in klassischen Motiven: Gleich im ersten Vers wird das biblische Motiv des »Fürchte dich nicht« angesprochen; es folgt Sicherheit (egalitär für »groß und klein«) als Grundbedürfnis; Sauberkeit (wohl dem Genre geschuldet, das – jedenfalls vor »Feuchtgebiete« und abseits des feministischen Diskurses — durch Fernsehwerbung geprägt ist), die durchaus auch als metaphysische Reinheit aufgefaßt werden darf, schließlich: die unendliche Freiheit.
Die auf den ersten Blick mutige und kontraintuitive Unterlegung des Textes mit der Melodie von Amanda McBrooms »The Rose« ist kongenial: Das Originalstück ist durch sein Pathos und seine abgeschmackt-pompöse Metaphorik an jedem Ort zuhause, an dem Existentielles geschieht: Es paßt zu jeder Art von Beerdigung, zu jeder Art von Hochzeit, und folgerichtig ist es im Repertoire jedes Provinz-Gospelchors, so er nur eine Solistin genügend großer Hybris hat. Es geht um die große Liebe, gezeichnet mit dem ganz großen Stift.
Diese beiden sich wechselseitig aufschaukelnden Aspekte erzeugen die maximal mögliche Fallhöhe. Es geht nicht darum, mutig einen feministischen Diskurs zu führen, der zentrale und doch alltäglich tabuisierte Aspekte von Weiblichkeit aus der Marginalisierung holen will. Es geht um die Aufladung eines Alltagsgegenstands mit Bedeutung. Die Slipeinlage transzendiert ihre eigentliche Aufgabe, ihr eigentliches Einsatzfeld, indem sie zum säkularen Erlöser wird. Das Allzumenschliche soll einer technischen Lösung unterzogen werden. Die großen Themen der Religion werden aufgerufen: Die Suche nach einem festen Punkt inmitten all des Zufalls, all der Kontingenz. Wo es in religiösen Diskursen das Transzendente gibt – und mithin die Einsicht in die totale Immanenz des irdischen Jammertals –, um Kontingenz zu bewältigen, wird hier eine technische, also rein innerweltliche Lösung für alle Sorgen des metaphysisch Unbehausten gefunden.
Furcht, Unsicherheit, Zweifel: All das ist in diesem Stück nichts, was die Condition humaine ausmacht, sondern ein auszuschaltendes (und ausschaltbares!) Lebensrisiko. Sicherheit ist hier etwas real erreichbares; real erreichbar mittels der Technik. Aus diesem Blickwinkel ist auch die Erwähnung von »Sauberkeit« nicht mehr nur entweder Genrezitat oder religiöse Reinheit. »Sauberkeit« steht hier gerade für eine innerweltliche Ersetzung der Reinheit durch etwas anderes: Eine aseptische Trennung von allem Natürlichen, das als Störung, als unsauber und chaotisch empfunden wird. Die Vorstellung, über eine technische Vorrichtung, ein Ge-Stell (Heidegger), eine innerweltliche Erlösung finden zu können, macht das Stück zu einer ironischen Kulturkritik. Indem die absurde Vorstellung aufgebaut wird, eine Slipeinlage könne Quelle des Heils sein, wird jegliche innerweltliche Konstruktion eines Heilsanspruchs fragwürdig und schal. Der Wahn einer totalen Machbarkeit, der letztlich einen totalitären Sicherheitsanspruch generiert, wird zur Kenntlichkeit entstellt. Im Absurden der Aufladung der Slipeinlage wird die Analogie zum Wunsch nach totaler Sicherheit gespiegelt, der doch nur in einer totalen Entmündigung und Entmenschlichung enden kann.
Daß im letzten Vers des Refrains dann eine »unendliche Freiheit« angesprochen wird, ist kein Widerspruch. Wenn alles aseptisch sorglos, sauber, sicher ist, wenn es nur noch das Gute gibt, das durch (Sozial-) Technik verbürgt ist – dann ist die »Freiheit«, die übrig bleibt, radikal befreit von dem, was menschliche Freiheit ausmacht: In eine Welt geworfen zu sein, zu der man sich nicht nur indifferent sorglos, sauber und sicher verhalten kann, da alles Risiko (und alle echte Entscheidung) ausgemerzt ist. Diese Welt ist eine, die doch nur eines anderen Vorstellung vom Wahren und Guten kennt. Sauber und rein – und frei nur von dem, was Menschsein ausmacht.
Hallo? Geht’s noch? Der Text wurde ihm untergeschoben, damals wusste “Vader” gar nicht, was er da singt.
Das habe ich in den Youtube-Kommentaren auch gelesen; ansonsten ist es schwer, Sekundärliteratur zu finden. Da das Stück aber (inkl. der erwähnten B-Seite »Es lebe die Slipeinlage«) veröffentlicht wurde, kann ich mir kaum vorstellen, daß Vader Abraham nicht wußte, was er tat. Auch wenn »Slipeinlage« auf niederländisch »maandverband« heißt – da hätte schon einige aktive Ignoranz dazugehört, wenn ein Niederländischsprechender nicht auf den Trichter gekommen wäre, was er da singt. Ich bin aber natürlich dankbar für jede Information, die zur Erhellung der Situation beiträgt.
Sollte das Lied Vader Abraham nur untergejubelt worden sein, ergibt sich noch eine wunderbare dritte Ebene neben Text und Melodie: Das Œuvre des Sängers, der für betont süßliche Idyllen steht (sei es das Lied von den Schlümpfen, sei es die kleine Kneipe), ist gerade eine jener von den Unbilden der Wirklichkeit ablenkenden Rückzugsräume, die in der Illusion der Erreichbarkeit totaler Sicherheit halten wollen. Die Travestie dieser Vorstellung wird in Text, Musik und Interpret umso deutlicher.
Recht verstanden plädieren Sie für eine ungeschönte Darstellung inkommodierender Körperlichkeit in der Kunst, wie wir es bspw. bei Studio Brauns “AA Fingers” finden?