Der amputierte Prothesengott. Phänomenologische Betrachtung des »offline sein«

»Welche Bedeutung für Euer Leben hat ›offline sein‹?«, fragt tante in Formspring.

»Kein Netz« ist ein Mangel, den es zu beheben gilt. »Offline sein« ist keine Tugend, genauso wie »keine Brille« eine heilsame Bescheidenheit und Zurücknahme ist. Es ist ganz und gar sinnlos, bestenfalls alberne Koketterie, nicht die vergessene Brille möglichst schnell wieder aufzusetzen oder den Zustand, in dem es kein Netz gibt, wieder zu reparieren. »Der Mensch ist sozusagen eine Art Prothesengott geworden, recht großartig, wenn er alle seine Hilfsorgane anlegt, aber sie sind nicht mit ihm verwachsen und machen ihm gelegentlich noch viel zu schaffen.« (Freud, Das Unbehagen in der Kultur.)

»Offline sein« ist auch begrifflich aus der Welt gefallen.
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White and nerdy

Ein Fall von ganz schlimmem Nerdtum ist wohl, wenn man bei Nerdcore (!) das hier liest:

[…] genauso wie wir im Grunde niemals etwas wirklich berühren, sondern es lediglich die Elektronen-Orbitale sind, die sich gegenseitig abstoßen […]

Und der erste Gedanke ist: Da hat der Heidegger wieder mal recht (sort of …), und man die Stelle in »Sein und Zeit« auf Anhieb findet (§ 12, S. 55):

Von einem »Berühren« kann streng genommen nie die Rede sein und zwar nicht deshalb, weil am Ende immer bei genauer Nachprüfung sich ein Zwischenraum zwischen Stuhl und Wand feststellen läßt, sondern weil der Stuhl grundsätzlich nicht, und wäre der Zwischenraum gleich Null, die Wand berühren kann. Voraussetzung dafür wäre, daß die Wand »für« den Stuhl begegnen könnte. Seiendes kann ein innerhalb der Welt vorhandenes Seiendes nur berühren, wenn es von Hause aus die Seinsart des In-Seins hat – wenn mit seinem Da-sein schon so etwas wie Welt ihm entdeckt ist, aus der her Seiendes in der Berührung sich offenbaren kann, um so in seinem Vorhandensein zugänglich zu werden. Zwei Seiende, die innerhalb der Welt vorhanden und überdies an ihnen selbst weltlos sind, können sich nie »berühren«, keines kann »bei« dem andern »sein«. Der Zusatz: »die überdies weltlos sind«, darf nicht fehlen, weil auch Seiendes, das nicht weltlos ist, z. B. das Dasein selbst, »in« der Welt vorhanden ist, genauer gesprochen: mit einem gewissen Recht in gewissen Grenzen als nur Vorhandenes aufgefaßt werden kann.

Die schale Freiheit der Slipeinlage. Notizen zu Vader Abraham

Via Kristian Köhntopp erreicht mich eine musikalische Unglaublichkeit, die in ihrer »herausragenden OMFGigkeit« Gunter Gabriels von mir sehr geschätztes Radiohead-Cover »Ich bin ein Nichts« um ein Vielfaches übersteigt: Vader Abraham singt »Wenn die Slipeinlage nur gut sitzt«.

Man könnte denken, es handle sich bloß um einen abgeschmackten Herrenwitz, der sich im verwegen-pubertären Aufrufen von Tabus beschränkt. (Der abgeschmackte Herrenwitz ist die karnevaleske B-Seite »Es lebe die Slipeinlage«.) Tatsächlich ist das Stück in Form und Inhalt ein beachtliches Sittengemälde einer Gesellschaft, die Sauberkeit und Planbarkeit zu ihren Götzen erhoben hat.
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(k)no(w) god – Twitter-Theologie

Gestern durften wir einen neuen Evolutionssprung bei Twitter beobachten:

glad to see Twitter has moved from where we get our news to where we base our theology

Twitters trending topics wurden angeführt von »no god«. Dazu kam es, nachdem @RevRunWisdom einen Besinnungsspruch getwittert hatte: »Know God… Know Peace. No God.. No Peace!.« [sic!] Meine erste Reaktion war, das unter die beliebte Argumentationsfigur einzuordnen, daß es keine Moral ohne Gott gebe und damit den Sinnspruch als Kitsch zu verwerfen. (In einem anderen Artikel habe ich mich damit auseinandergesetzt.) Nach etwas längerem Nachdenken bin ich zu dem Schluß gekommen: Da steckt mehr dahinter.
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Great minds think alike

Nicht das Vielwissen sättigt und befriedigt die Seele, sondern das Verspüren und Verkosten der Dinge von innen her. (Ignatius v. Loyola)

Die Zugangs- und Auslegungsart muß vielmehr dergestalt gewählt sein, daß dieses Seiende sich an ihm selbst von ihm selbst her zeigen kann. Und zwar soll sie das Seiende in dem zeigen, wie es zunächst und zumeist ist, in seiner durchschnittlichen Alltäglichkeit. (Martin Heidegger)

Wissenschaftliche Elite

Noch vor kurzem witzelte ich über »Heidegger ∧ ¬ Heidegger« – und dieser Tage wird ein Vortrag »Über das Gegenteil« annonciert. Was wäre das für eine Vortragsreihe gewesen …

Überhaupt: Das billige Wortspiel. Allein dafür und zu diesem Ende studieren wir Philosophie. »Laches und Sach-Geschichten mit der νοῦς und dem Ontofanten«, der Schnelle Teller in der Mensa (»Schnitzler mit Hobbes hesiod-weiß«). Wird fortgesetzt. Fortwährend.

In allen vier Ecken/Soll Liebe drin stecken

These: Jeder große Denker läßt sich als Steinbruch für Poesiealben mißbrauchen.

Beweise:

  • »Die wissende Heiterkeit ist ein Tor zum Ewigen.« (Heidegger, Sein und Zeit)
  • »Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern Unzeitlichkeit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt.« (Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus)