Gestern habe ich »Sex and the City II« gesehen. Den Film einfach als flach, sexistisch und kulturell unsensibel, mindestens aber als nicht feministisch abzutun, reicht nicht weit genug. Drüben bei Gay West nimmt Adrian diese einfachen Interpretationen sehr treffend auseinander, und ich kann seiner Schlußfolgerung nur zustimmen. (Auch wenn mir Markus Zierke ziemlich egal ist; schon zu Serienzeiten war ich immer für Aidan – was allerdings auch an meiner verkorksten postmateriellen Sozialisation liegen mag.)
Es ist nämlich nicht so einfach. Einfach einen Feminismus als politisch korrekte Leitkultur aus dem bunten Strauß aus Feminismen auszuwählen, dessen Einstellung zu Sexualität, dessen Ästhetik, dessen Moral, dessen Moral der Ästhetik und dessen Ästhetik der Moral als Maß zu nehmen: Das muß scheitern. Zwischen Burka und Porno gibt es keine gesunde und objektiv bestimmbare Mitte.
Darum geht es nämlich eigentlich in diesem Film, und mir scheint das sehr gelungen zu sein.
Ich habe das nicht erwartet. Der erste Film war enttäuschend. Eine sehr vorhersehbare Handlung, alles dreht sich ums Heiraten, tausendmal gehört. Der Trailer zum zweiten ließ ähnliches erwarten, und ich teile Sigrid Neudeckers Einschätzung dazu (die nebenbei auch noch erläutert, warum die Serie so großartig war). Sicher: Der zweite ist keine große Geschichte, und als story versagt er völlig. Was diesen Film stark macht, ist gerade seine plakatartige Ästhetik. Nicht die Geschichte erzählt die Geschichte, die Bilder erzählen die Geschichte.
Es stimmt: In SATC2 werden Frauenbilder verhandelt. Es greift aber zu kurz, diese Frauenbilder als defizitär anzusehen. Susan Vahabzadeh kommentiert in der SZ:
Das Frauenbild, das Carrie Bradshaw transportiert, war immer schon eine giftige Mischung aus freizügiger Moderne und alten Klischees, wie sie Schopenhauer gefallen hätten: kindisch, putzsüchtig, oberflächlich.
Auch Ruth Schneeberger teilt, auch in der SZ, diese Meinung:
Diese vier Frauen sind nicht so, wie Frauen sind. Sie sind so, wie schwule Männer sich Freundinnen vorstellen. Das ist keine diskriminierende Aussage – diskriminierend ist vielmehr, ein solch reaktionäres Frauenbild vorgesetzt zu bekommen.
An Schneebergers Position läßt sich das Problem, das ich sehe, sehr gut ablesen: Die Figuren werden daran gemessen, »wie Frauen sind«. Es gibt aber kein »wie Frauen sind«. Es gibt auch kein »wie Männer sind«, kein »wie schwule Männer sind«. »Die Frau«, »der Mann«, »der schwule Mann«, das sind erstmal natürliche Vorbedingungen, aus denen aber noch nichts Normatives folgt, und aus dem auch noch keine Rollen entstehen. Das ist mit Sartre gut existentialistisch argumentiert: Die Existenz geht der Essenz voraus. Wie man sein Leben entwirft, hängt von einem selbst ab, und diese Freiheit findet ihre Schranken erst in der Abwägung mit der Freiheit anderer. Oder klassischer, mit Thomas von Aquin argumentiert: Natürlich kann man eine »Artnatur« konstatieren, das, was allen Mitgliedern einer »Art« gleichermaßen zukommt. Und dennoch gibt es auch eine Individualnatur: Was dem je einzelnen natürlich zukommt.
Das ist kein moralischer Relativismus: Hier wird die Individualität, die Personalität der Menschen ernstgenommen. Moralischer Relativismus wäre, jedem einzelnen Menschen eine kollektive Artnatur überzustülpen, die Hybris, ein für alle gleichermaßen gültiges und tragfähiges Lebenskonzept entwerfen oder erkennen zu können.
Aus einer solchen Sicht darf aber auch kein Kulturrelativismus erwachsen: Carry und die Mädchen sind halt so, die Leute in Abu Dhabi sind eben anders, und das ist gleichermaßen gut, und solche kulturellen Grenzen hat man zu achten. Eine Argumentationsfigur, die auch in den Kritiken auftaucht, hier etwa bei Vahabzadeh:
Man muss ja gar nicht irritiert darüber nachdenken, ob eine Frau, die in einem arabischen Suk eine Kondom-Debatte vom Zaun bricht, nicht ein ziemlich dummes Huhn ist, da reicht schon der permanente Kleiderwechsel.
(Übrigens eine ziemlich unappetitliche Interpretation der Szene: Samantha bricht keine »Kondom-Debatte vom Zaun«, ihr fallen Kondome aus der Tasche, die ihr weggerissen werden soll – und die Männer drumrum fühlen sich provoziert. Was Samantha dann macht, ist wütend völlig zurecht darauf hinzuweisen, daß es andere einen Scheiß angeht, was sie in ihrer Tasche mit sich trägt. Völlig unabhängig von der Gesetzeslage! Das mag, denkt man über die eigene körperliche Unversehrtheit nach, nicht sonderlich klug gewesen zu sein – aber waren die Suffragetten dann auch dumme Hühner?)
Auf die Spitze treibt die kulturrelativistische Argumentation die taz, die Abu Dhabi als »präfeministisches Terrain« bezeichnet (und dieses Schlagwort prominent so in der Überschrift plaziert, daß damit nur der ganze Film gemeint sein kann):
[In Abu Dhabi] sind die Frauen verschleiert. Also gar nicht frei! Von nahe liegenden Reflexionen zum Zusammenhang zwischen Freiheit und dem Sex-and-the-City-Regime aus Pilates, Botox, South-Beach-Diät und Christian-Louboutin-Pumps muss mit ergriffenen Huchs!, Wows! und Hachs! vor orientalischer Märchenkulisse abgelenkt werden.
Natürlich muß man kulturelle Zwänge thematisieren und diskutieren, und ohne Zweifel gehören dazu auch Schönheitsnormen. Das kann aber nicht nur per generellem Unwerturteil geschehen; jede Ächtung führt zu einer Gegenbewegung. Mittel der Wahl müßte eine Stärkung des Selbstvertrauens sein, so daß – wie bei den Protagonistinnen – das »Sex-and-the-City-Regime« ein frei gewähltes ist.
In der taz spielt das keine Rolle; es wird vermischt, was nicht zusammengehört. Ein staatlicher Zwang, Schleier zu tragen, eine staatliche erzwungene Sexualmoral auf der einen Seite, eine freigewählte Lebensgestaltung auf der anderen Seite. Denn dafür steht gerade Sex and the City: Eine Emanzipation von emanzipativen Vorstellungen, die nur einen Zielzustand für alle Frauen (und Männer) gelten lassen will.
Den Unterschied möchte ich mit Gregor von Nazianz deuten. In der Debatte darüber, ob Christus nicht nur menschliches Fleisch, sondern auch menschlichen Verstand angenommen hat, argumentierte er: quod non est assumptum, non est sanatum. Was nicht angenommen ist, ist nicht erlöst. Für die Erlösung des Menschen muß Christus also menschlichen Leib und menschlichen Geist angenommen haben. »Non assumptum, non sanatum« läßt sich aber auch säkular deuten: Verdrängung (Nicht-Annahme der Natur) kann nie zu einem gesunden Verhältnis zu sich selbst führen. (Deshalb folgt aus der Menschwerdung Christi auch viel mehr als nur die Bedingung der Möglichkeit eines sündenkompensierenden Opfergeschäfts. In der Menschwerdung Christi geht es auch um die Rechtfertigung des einzelnen Menschen schlechthin.)
Genau darum geht es bei Sex and the City, oder genauer: Es geht um die Frage nach Sexualisierung. Die vordergründige Antwort auf diese Frage ist, daß es sich um übertrieben sexualisierte Figuren handelt, um ein ungesundes Primat des Sexuellen, daß alle Gespräche mindestens mittelbar um Sexualität kreisen. Daran setzt dann auch eine Spielart feministischer Kritik an: Sexualisierung als Schwester der Objektivierung, und damit eine feministisch nicht zu rechtfertigende Haltung.
In der Serie wurde das bereits aufgebrochen: Sexualisierung findet nicht als Objektivierung statt, sondern aus freien Stücken, affirmativ und im Handeln freier Subjekte. Die Figuren sind der Urkraft Sexualität nicht passiv ausgeliefert (wie es eine klassisch männlich konnotierte Deutung weiblicher Sexualität nahelegen würde), sie gestalten sie aktiv und affirmativ, verhalten sich aber gleichzeitig aus einer ironischen Distanz zu ihr. Insofern ist die Sexualisierung, die Sex and the City betreibt, eine positive Sexualisierung.
Der zweite Film treibt das auf die Spitze in der brillanten Szenenfolge, die zwischen dem Rauswurf aus dem Hotel und was zu ihm geführt hat einerseits und dem Rückflug andererseits liegt. Einer positiven Sexualisierung, einer selbstbewußt gelebten Sexualität tritt eine negative Sexualisierung entgegen, eine verdrängte Sexualität.
Die arabische Kultur wird dargestellt als eine durch und durch sexualisierte Kultur. Sexualität wird zur Obsession, neurotisch wacht eine staatlich garantierte öffentliche Moral darüber, daß Abweichungen nicht toleriert und hart sanktioniert werden. Für alle verbindliche Lebensentwürfe führen dazu, daß Menschen entpersonalisiert werden: Uniforme Kleiderzwänge für Frauen, uniforme Empörungszwänge für beide Geschlechter. Wenn Samantha offensiv-körperlich flirtet und dafür von einem arabischen Ehepaar angezeigt wird, ist es bezeichnend, daß in den Credits die beiden nur als »outraged man« und »outraged woman« angeführt werden; wenn Samantha von einer wütenden Menschenmenge umgeben ist, die sich über ihre knappe Kleidung und die aus der Tasche gefallenen Kondome erregen, tauchen sie auf als »angry man 1–n«.
Wenn dann Frauen heimlich Designerkleider unter ihrem Schleier tragen und im Lesekreis einen Ratgeber zu Wechseljahren besprechen, dann ist das keineswegs der »alte amerikanische Traum von der Weltherrschaft«, wie Schneeberger es interpretiert. Das ist der alte amerikanische Traum des pursuit of happiness, der sich nicht dem gesunden Volksempfinden zu unterwerfen hat.
Sex and the City steht dafür, daß Lebensentwürfe nicht nach ihren Äußerlichkeiten beurteilt werden können. Sex and the City steht für Lebensentwürfe, die jeweils an der individuellen Freiheit gemessen werden müssen. Das leistet der zweite Film in brillanter Weise.