Non assumptum, non sanatum: Zu Sex and the City II

Gestern habe ich »Sex and the City II« gesehen. Den Film einfach als flach, sexistisch und kulturell unsensibel, mindestens aber als nicht feministisch abzutun, reicht nicht weit genug. Drüben bei Gay West nimmt Adrian diese einfachen Interpretationen sehr treffend auseinander, und ich kann seiner Schlußfolgerung nur zustimmen. (Auch wenn mir Markus Zierke ziemlich egal ist; schon zu Serienzeiten war ich immer für Aidan – was allerdings auch an meiner verkorksten postmateriellen Sozialisation liegen mag.)

Es ist nämlich nicht so einfach. Einfach einen Feminismus als politisch korrekte Leitkultur aus dem bunten Strauß aus Feminismen auszuwählen, dessen Einstellung zu Sexualität, dessen Ästhetik, dessen Moral, dessen Moral der Ästhetik und dessen Ästhetik der Moral als Maß zu nehmen: Das muß scheitern. Zwischen Burka und Porno gibt es keine gesunde und objektiv bestimmbare Mitte.

Darum geht es nämlich eigentlich in diesem Film, und mir scheint das sehr gelungen zu sein.
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Inglourious Basterds

Warum funktioniert »Inglourious Basterds« – ein bis ins Lächerliche brutaler Film, der das Genre Italowestern mit dem Nazithema verquickt? Natürlich: Tarantino, die Musik, eben die Ästhetik der Brutalität, die virtuose Mehrsprachigkeit. Und dennoch: Primär ist Inglourious Basterds ein zweeinhalbstündiges Schlachtfest, und dennoch ist Inglourious Basterds nicht einfach nur ein Reverse-Nazisploitation-Film. An zwei anderen Filmen kann man das Faszinosum von Inglourious Basterds festmachen: The Wall und Dogville.
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Klientelwirtschaft statt Open access

Das Interview im Deutschlandradio Kultur mit Kulturstaatsminister Bernd Neumann klingt beim Anhören recht harmlos; es geht ja nur um sein Steckenpferd, die Filmförderung. Zusätzlich zur Steuerfinanzierung wird über ein umfangreiches Gebührenprojekt – Zwangsabgaben von Kinos, Verleihern, Rundfunk – Geld erwirtschaftet, das dann zur Filmförderung eingesetzt wird.

Daß auf diese Weise politisch Erwünschtes gefördert wird, ist übliche politische Praxis. Immerhin: Film ist nicht mehr das böse Medium, sondern wird auch kulturpolitisch anerkannt.

Das Gespräch schlägt dann aber eine interessante Richtung ein: Urheberrecht. Von »Raubrittertum« ist die Rede, der Kulturstaatsminister ist sehr besorgt: »[…] wir sind noch nicht in einem Zustand, der geistiges Eigentum voll schützt.« Was also tun?

Hier gibt es mehrere Möglichkeiten. Zum einen die Möglichkeit, dass man Vergehen ahndet, und das geht so, dass man sich zusammensetzt, dass man über freiwillige Vereinbarungen mit den Providern – ähnlich wie das in anderen Ländern schon angedacht und teilweise praktiziert ist – kommt. Darüber hinaus muss man alles unterstützen, was neue Verwertungsmodelle ausmacht.

Ein bemerkenswerter Satz: Ahndung über »freiwillige Verträge« mit Providern. Kennt man schon. Über die Inhalte dieser Verträge schweigt sich Neumann aus: Die Verwendung von Verbindungsdaten für die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche? Verletzung der Netzneutralität?

Auch was »neue Verwertungsmodelle« meint, erwähnt der Kulturstaatsminister nicht. (DRM?)

Eine Sache scheint für ihn aber selbstverständlich zu sein: Der Staat reicht Geld an Wirtschaftsunternehmen weiter, das er über Steuern und Zwangsabgaben eingetrieben hat, ähnliche Modelle werden diskutiert (im Interview auch explizit die Zwangsabgabe Kultur-Flatrate, wenn er auch dagegen ist), aber an den Kern geht er nicht: Warum ist es selbstverständlich, daß Dinge, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, der Öffentlichkeit nur unter erneuter Bezahlung wieder zugänglich gemacht werden?

Neumann: »Darüber hinaus muss man alles unterstützen, was neue Verwertungsmodelle ausmacht.« Dabei wäre es so einfach: Subventionen nur unter der Bedingung, daß das Werk unter eine Lizenz im Stil von Creative Commons by-nc-sa veröffentlicht wird: Weitergeben und remixen ja (es ist öffentlich finanziert, also sollte es öffentlich benutzbar sein), keine kommerzielle Verwendung (immerhin zieht man ja die Kommerziellen der Branche, Kinos, Verleiher …, zur Finanzierung heran), und schon hat man ein prima Verwertungsmodell.

Über solche Fragestellungen redet man aber nicht, wenn man in Ulrike Timm eine Gesprächspartnerin hat, die permanent Begriffe wie »Raubrittertum« ins Gespräch bringt und für die Kulturförderung nicht Förderung von Kultur, sondern der Wirtschaft ist: »Die schönste Förderung, die nützt ja nichts, wenn man sich den Film anschließend für nichts als Raubkopie beschaffen kann oder aus dem Internet ziehen.«

(Übrigens: Wenn Neumann so etwas sagt: »Ich möchte das tun als Politiker, was der Wirtschaft hilft« – dann ist das eines ganz sicher nicht: liberal. Das ist Klientelwirtschaft.)

Disclaimer: Trotz Namensgleichheit bin ich mit Bernd Neumann weder verwandt noch verschwägert. Meines Wissens.

Das Wort vom Kreuz ist kein Ponyhof

Τετέλεσται: Ich habe den Film gesehen. catholicismwow.de hat völlig recht: wer kann es sich erlauben, einen Film nicht gesehen zu haben, vor dem einhellig durch die katholische Bischofskonferenz, der EKD und dem Zentralrat der Juden in Deutschland gewarnt wird?

Am Wochenende auf der Diözesanratsvollversammlung war Domkapitular Sauers Stellungnahme heißes Thema: Wie kann er nur den Film loben? Mittlerweile weiß ich: mit recht. Ja, The Passion ist stellenweise übelstes Splatter-Kino (zum Beispiel, wenn nach dem Lanzenstich in Jesu Seite Springfluten aus ebender hervorbrechen), das mir fast schon ins Lächerliche überzeichnet schien – aber τὸ σκάνδαλον τοῦ σταυροῦ ist eben brutal. Die Intention des Filmes ist auch eindeutig nicht, Jesulein-mein-Herz-ist-klein – The motion picture zu drehen, sondern das Gottesknechtslied Jesajas, einen Kreuzweg zu verfilmen. Und wenn »Kreuzweg« gleich »problematische Verkürzung« ist, frage ich mich, ob dann in jeder Kirche problematische Verkürzungen zu finden sind und sogar ich regelmäßig problematisch verkürze.

Das dann gleich als filmische Meditation zu feiern, wie Sauer es tut, halte ich für übertrieben. Durch die Art der Gewaltdarstellung, durch die allzu hollywoodesque (und dazuerfundene) Figur des Satans (eine Idee, die interessanterweise von Sauer nur wegen der möglichen Verbindung zu Mysterienspielen gleich als besondere theologische Tiefe geadelt wird) und vor allem allgemein durch die doch deutlich dem B-Film-Genre entlehnte Bildsprache disqualifiziert sich The Passion in meinen Augen als anspruchsvolles Filmkunstwerk. Anspruch definiert sich auch nicht über Unverständlichkeit, wie Sauer zu meinen scheint, wenn er die – stellenweise historisch durchaus fragwürdige – aramäische und lateinische Sprache (Latinum lohnt sich wieder: die Geißelung ist nicht untertitelt, dafür ist das hier gesprochene Latein recht verständlich) erwähnt.

Aber.

Aber da gibt es Überraschendes: Am plakativsten ist eine der Rückblenden, in der Jesus mit Maria herumalbert – das paßt eigentlich nicht zur (sicherlich größtenteils gerechtfertigten) Kritik an Gibsons Theologie. (Nicht nur hier zeigt Gibson Humor: Maria Mariaque zitieren bei ihrem ersten Auftritt den Beginn der jüdischen Pessachliturgie.) Subtiler – und daher interessanter und gehaltvoller – sind die Frauenfiguren: der stille Protest der Frau von Pontius Pilatus, und vor allem: die beiden Mariä! Die Folterszenen (die übrigens gleich noch zeigen, daß der Film wenn überhaupt anti-, dann maximal antirömisch ist) mögen abgeschmackt sein – Mariä Mienenspiel (gerade noch konnte ich mir den unpassenden Kalauer »Mariä Gsichtstreß« verkneifen) ist es nicht. Zu den eindrücklichsten und besten Szenen gehört das stille Entsetzen, mit dem die beiden Jesu Blut mit Tüchern aufsammeln. Schließlich, am Schluß: die Pietà.

Wirklich schmerzhaft ist auch nur der Schmerz, der sich in den Reaktionen der Frauen spiegelt; die schmerzhafteste – und mit beste – Szene ist aber Simon von Kyrene vorbehalten: Ein kurzes Aufatmen auf dem Kreuzweg; Jesus scheint verschnaufen zu können. Ein Augenblick Ruhe – der brutal von den Römern auseinandergegeißelt wird.

Fazit: Die Passion Christi ist ein mittelmäßiger Jesusfilm – aber ein brillanter Marienfilm.

(Aber auch: Wer Life of Brian kennt, wird viele liebgewonnene Details wiedererkennen. Wer hat den Stein geworfen?)

Das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi

Heute habe ich interessanten Spam bekommen: unter dem Titel The book that inspired Mel Gibson to film “The Passion of the Christ” wurde Werbung gemacht für – richtig: The Dolorous Passion of Our Lord Jesus Christ von Anne Catherine Emmerich.

Der Film mag die Passionsgeschichte auf einen blutigen Fleischklops namens Jesus (taz) verkürzen, aber immerhin führt er so über Umwege nicht nur zum Evangelium, sondern auch zu Clemens Brentano – und das ist ja schon mal was wert. (Auch wenn die Romantiker und deutschen Idealisten politisch wie philosophisch sehr zweifelhaft waren – Stil hatten sie.)

Interessant finde ich auch die Reaktion der konservativen katholischen Blogszene (exemplarisch sei Credo ut intelligam genannt), die ansonsten wortreich jeden Linksabweichler von der Una sancta geißelt, für Mel Gibson aber fast nur Lob übrig hat, und das obwohl seine »Holy Family« das Zweite Vaticanum nicht anerkennt, dafür von der zuständigen Bischofskonferenz nicht anerkannt wird und von Theologen durchaus schon mal als »Absplitterung« oder gar »schismatisch« bezeichnet wird (ich berufe mich hier auf einen Artikel der österreichischen katholischen Nachrichtenagentur kathpress).

Wir beim vielgeschmäen BDKJ stehen da doch nachdrücklicher hinter der katholischen Kirche und dem Konzil: Ecclesia semper reformanda.

Kino und Kanon

Gestern abend nach dem sehr zu empfehlenden Film »Lost in Translation« ging’s, wie so oft, noch ins ebenfalls sehr zu empfehlende »Königin von Saba«, um die aktuelle Bildungsmisere zu bejammern. Thema unter anderem: Welche drei Texte sollte jeder gelesen haben? Meine Antwort:

  1. Epikur, »Brief an Menoikeus«
  2. Immanuel Kant, »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?«
  3. Heinrich Böll, »Brief an einen jungen Katholiken«

Die Schauburg hat übrigens die verdienstvolle Einrichtung der »14-Tickets-Regel«, die nicht nur ab und an zu einer Freikarte führt, sondern durchaus auch der Gedächtnisstütze über das vergangene (Kino-)Jahr dient:

Die Unbarmherzigen Schwestern, Casablanca, Good Bye, Lenin, Berlin Babylon, Frida, Metropolis, La Strada, City of God, Lichter, Das Gesetz der Begierde, Herr Lehmann, Sonnenallee, Kill Bill Vol. 1, Dogville, Die Träumer, Lost in Translation, Kalendergirls.

Was ich in der Kinemathek, dem Cinema Quadrat und anderen Kinos gesehen habe, läßt sich nicht so einfach rekonstruieren:

Matrix I, Matrix II, Herr der Ringe I–III, Seom, Ich kenn’ keinen, Best of shorts (Lesbisch-Schwule Filmtage Karlsruhe), Findet Nemo, Das Fliegende Klassenzimmer, Ten.