Die Kritik liebt den Holzhammer mehr als das Reclamheft

© polyband Medien GmbH
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»Wer darauf besteht, daß hinter jedem ›Goya‹ ein ›der berühmte spanische Maler‹ steht, der ist nicht mein Freund« – so oder ähnlich habe ich jüngst einen vielleicht etwas bildungshuberigen Schriftsteller über allzu erklärfreudiges Lektorat sagen hören. (Wer das war – Umberto Eco? Fritz Raddatz? Ich habe es nicht nachgegoogelt bekommen.) Gestern war ich im Kino, die neue Kohlhaas-Verfilmung von Arnaud des Pallières, und an dieses Zitat mußte ich wieder denken. Kleists Michael Kohlhaas ist zeitlos, wie es Fragen von Gerechtigkeit und Rache, Recht haben, Recht bekommen radikal durchdekliniert.

Der Film ist anders als die Novelle, nicht Kleists treibende Prosa, viel stiller, ständig Dialoge, die zur Hälfte aus Schweigen bestehen, die Wut Kohlhaas‘ ist viel kälter und ruhiger, eine wildromantische Ästhetik (natürlich: die Cevennen statt Brandenburg) mit schönen Pferden und schönen Landschaften. Der Film trifft eine Auswahl, reduziert die heiße Rache auf eine melancholische Verzweiflung an der Ungerechtigkeit, präpariert das Zeitlose – oder: von dem Zeitlosen, das in Kleists Novelle steckt – heraus, ohne mit Gewalt Bezüge und Anspielungen auf die Gegenwart herstellen zu müssen. Sie ergeben sich. Sapienti sat. (Freilich: Das Presseheft entblödet sich nicht, gleich auf der ersten Textseite eine Parallele aufzumachen – »schlägt furios den Bogen zur Gegenwart« – zu Hessels »Empört euch«.)

Der Regisseur traut den Zuschauer_innen etwas zu. Er stellt Andeutungen in den Raum, ohne sie ausführen zu müssen. Die Figur, die bei Kleist Luther ist (und für die in den Cevennen die Parallele nicht offensichtlich ist, aber auch nicht wichtig ist), wird nicht lange eingeführt und erklärt, sie sagt, was zu sagen ist, und sie wirkt aus ihren Handlungen und aus ihrem Dialog. Arnaud des Pallières zeichnet einzelne Akzente und Blitzlichter, vertraut auf die Kraft der Bilder und Figuren. Show, don’t tell.

Das hebe ich deshalb so heraus, weil ich dieses Jahr im Theater – wo ich auch vorwiegend Klassiker gesehen habe – oft das Gegenteil erlebt habe. Die Dresdener Inszenierung der Dreigroschenoper: Eine Nummernrevue mit Muppetmasken und unerklärlichen Auftritten von Darth Vader. Die Freiburger Inszenierung von Dantons Tod: kommt natürlich nicht ohne Che Guevara aus (wie schon bei der letzten Freiburger Inszenierung vor sieben, acht Jahren), nicht ohne einen Robespierre, der über Coltanabbau für das neue iPhone doziert. In dieser Form des Regietheaters wird das Publikum für dumm gehalten. Als würde nicht Büchners nackter Text von 1835 allein schon radikal sein. Als würde die Reflexion über die Revolution, die ihre Kinder frißt, über Geschichtsphilosophie, über Tugend und Republik nicht stark genug sein, daß ein nur minimal verständiges Publikum daraus selbst seine Schlüsse ziehen könnte. Die Regie vertraut entweder dem Text oder dem Publikum nicht, oder wahrscheinlich sich selbst und ihrer langweiligen Gesinnung von der Stange am meisten. Die Regie kaut und verdaut vor, bricht in mundgerechte Stücke und bereitet zeitgeistig auf, und bleibt dabei doch bestenfalls epigonal, indem sie ihr langweiliges und stromlinienförmiges Wiederkäuen von gedankenlos-populistischer Kabarett-Politik à la Heute-Show mit Haltung verwechselt, und das saturierte bildungsbürgerliche Publikum macht mit und gefällt sich in seiner Salonradikalität, wenn noch jede Tragödie als Farce wiederaufgeführt wird.

(»Kunst dem Volke?!: den slogan lasse man Nazis und Kommunisten: umgekehrt ists: das Volk (Jeder!) hat sich gefälligst zur Kunst hin zu bemühen!«)

Zweimal habe ich Dantons Tod dieses Jahr gesehen. Das erste Mal war am Berliner Ensemble in einer recht werknahen Inszenierung: Peymann hat den Mut, den Text wirken zu lassen. Bizarr waren die Kritiken: Während Peymanns handwerklich perfekte Inszenierung den Text kongenial in seiner Radikalität auf die Bühne brachte, bemängelten die Kritiken gerade die mangelnden Zeitbezüge – die Kritik liebt den Holzhammer mehr als das Reclamheft –, und bei der Freiburger Inszenierung wurde die abgestandene Modernisierung mit Wolf-Biermann-Guevara-Heiligenliedern als Repolitisierung gelobt, als bedürfte Büchners Text einer solchen und wäre nicht schon immer Wort für Wort eine Dramatisierung jeglicher Dialektik der Aufklärung avant la lettre.

Zum Glück war ich gestern im Kino, wo nicht nach jedem Akt ein Nackter einreitet und über die Finanzkrise spricht.

Lob des Selberhostens⸮

Hoste das Einfachste! Für die,
Deren Zeit gekommen ist,
Ist es nie zu spät!
Hoste Diaspora, es genügt nicht, aber
Hoste es! Laß dich nicht verdrießen!
Fang an! Du mußt alles wissen!
Du mußt die Server übernehmen.

Hoste, Mann im Asyl!
Hoste, Mann im Gefängnis!
Hoste, Frau in der Küche!
Hoste, Sechzehnjährige!
Du mußt die Server übernehmen.
Suche Github auf, Obdachloser!
Verschaffe dir Adminzugang, Frierender!
Hungriger, greif nach der Shell: sie ist eine Waffe.
Du mußt die Server übernehmen.

Scheue dich nicht zu fragen, peer!
Laß dir nichts einreden,
Setz selber auf!
Was du nicht selber hostest,
Hast du nicht.
Prüfe die Checksumme
Du mußt sie ausrechnen.
Lege den Finger auf jeden Post,
Frage, wie kommt er hierher?
Du mußt die Server übernehmen.

Sigint 2010: Urheberrecht, Eigentum und Kunst

Auf der Sigint 2010 habe ich den Einführungsvortrag zum Panel Kommunismus oder Kommunitarismus? Voraussetzungen für und Anforderungen an ein Neues Urheberrecht gehalten. Hier der ausformulierte Vortrag und die Folien zum Download.

Um das Problem des gegenwärtigen Urheberrechts auf die Spitze zu treiben behandle ich zwei Begriffe: Eigentum und Kunst.

Das Thema Eigentum gehe ich aus einer liberalen Perspektive an; nicht nur, weil das die Denkschule ist, mit der ich vertraut bin, sondern auch aus einer politischen Notwendigkeit: Mit einer »linken« Argumentation läßt sich eine »Vergesellschaftung geistigen Eigentums« leicht begründen. (Zu unterschiedlichen Begründungs- und Kritikstrategien »geistigen Eigentums« mein Artikel »Digitalkommunismus oder liberale Avantgarde«) Es gilt, FDP und CDU zu überzeugen. (Bei einer nominell christlichen Partei wie der CDU ließe sich auch noch in der Tradition der christlichen Sozialethik argumentieren und, will man am Begriff »geistiges Eigentum« festhalten, dessen Sozialpflichtigkeit betonen. Mit der Rezeption »christlicher« Netz- und Urheberrechtspolitikansätze ist es aber in der CDU nicht weit her. Vergleiche dazu meinen Artikel /»netzpolitik.va – was die CDU vom Vatikan lernen kann«)

Das Thema Kunst habe ich gewählt, weil sich am Beispiel der Kunst alle Fragen, die auch im Alltag auftreten, radikalisieren lassen. Die »bloße« Reproduktion und Kopie eines Werks scheint intuitiv »falsch« zu sein, die Frage wird aber komplexer, wenn man die Werke etwa von Andy Warhol und Marcel Duchamps betrachtet. Kunst hinterfragt scheinbar einfache Konzepte wie »Schöpfungshöhe« und »Urheber«. Freiheit der Kunst ist eine radikalisierte Form demokratischer Offenheit.
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Bushido, der Tod des Autors und seine Auferstehung

Auch wenn’s den Richtigen trifft: Das Urteil gegen Bushidos Samplingpraxis zeigt wieder einmal die Differenz zwischen Recht und Kunst, und wie das Recht die Kunst behindert und formt.

Die Reaktionen sind erwartungsgemäß einhellig schadenfroh, nachdem Bushido sich mit aggresivem Verfolgen seiner Rechte durch Abmahnungen unbeliebt gemacht hat – derselbe Bushido, der sich damit brüstet, im Bedarfsfall gerne auch mal Uhren zu klauen. Immer wieder ist auch zu lesen, daß Bushido ja ohnehin ein minderwertiger Künstler sei.

Und richtig: Bushido ist kein Grandmaster Flash. Bushido könnte aber auch gar kein Grandmaster Flash sein: Hiphop, wie er entstanden ist, ist aufgrund der immer restriktiver verregelten Ideologie vom absoluten geistigen Eigentum nicht mehr möglich.
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Das Ende der digitalen Politik

»Digital« heißt eigentlich nicht viel mehr als: In Zahlen codiert. Heutzutage muß »digital« als Metapher herhalten für alles, was mit IT zu tun hat. Ganz selbstverständlich spricht man von digital natives und der »digitalen Generation«.

Das ist schmissig, das ist griffig – trifft aber gerade nicht das Politikverständnis, das sich im Zuge der Digitalisierung ausbreitet: Gerade die Digitalisierung trägt dazu bei, daß Politik weniger digital ist.
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Tocotronic, schwarz-gelb

Der bis dato jüngste Kommentar zu Tocotronics »Pure Vernunft darf niemals siegen« auf Youtube, geschrieben von DominikDrinkhahn, lautet lapidar »Das Lied zur Schwarz-Gelben Regierung!«

Solch kryptisch-kurzen Urteile verstehe ich selten. Was will der Autor uns damit sagen? Versuch einer Deutung.
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Inglourious Basterds

Warum funktioniert »Inglourious Basterds« – ein bis ins Lächerliche brutaler Film, der das Genre Italowestern mit dem Nazithema verquickt? Natürlich: Tarantino, die Musik, eben die Ästhetik der Brutalität, die virtuose Mehrsprachigkeit. Und dennoch: Primär ist Inglourious Basterds ein zweeinhalbstündiges Schlachtfest, und dennoch ist Inglourious Basterds nicht einfach nur ein Reverse-Nazisploitation-Film. An zwei anderen Filmen kann man das Faszinosum von Inglourious Basterds festmachen: The Wall und Dogville.
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Plasbergs Populismus

Muß man was dazu sagen? Das Kanzlerduell war, wie man es erwartet hat. Das einzig bemerkenswerte: Frank Plasberg, Chef-Populist des öffentlich-rechtlichen Unterschichtsfernsehen (und in geringerem Maß seine Kollegen).

So unerträglich Plasberg als Person ist: Was er tut, hat System. Was er tut, zeigt viel davon, was in der Politik schiefläuft.
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