Ich habe Julia Schramms Buch »Klick mich. Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin« gelesen – nachdem ich einige Kritiken gelesen habe, zumeist Verrisse. (Allein mit dem Text läßt sich das kaum erklären – dazu sehr gut @silenttiffy.)
So schlecht fand ich es gar nicht, wenn ich auch einiges an verschenktem Potential sehe. »Klick mich« (der Titel war eine Vorgabe vom Verlag, im Gegenzug durften allzu gebildete Referenzen stehen bleiben, so twitterte Schramm einmal – ich habe den Tweet leider nicht mehr gefunden) ist eine Art autobiographischer Entwicklungsroman unter den Bedingungen des Netzes, und als solcher bedingt gelungen.
Vieles, was allgemein kritisiert wird, sehe ich auch so: Die gebildeten Dialoge (fast alle Dialoge) wirken hölzern, künstlich, affektiert. (Andererseits habe ich genug Zeit mehr oder weniger betrunken in einem Philosophie-Fachschaftsraum verbracht, um diese Simulation von weltgewandtem Esprit auch aus echten Gesprächen zu kennen.) Gerade der Anfang wirkt sprachlich sehr bemüht, auch hier wieder mehr oder weniger passende gebildete Referenzen eingestreut, die leider oft auch bloßes Namedropping zu sein scheinen.
Die Zielgruppe von »Klick mich« ist schwer zu beschreiben: Der Verlag, der knallige Titel (der mehr Boulevard vortäuscht, als tatsächlich im Buch zu finden ist), das ausführliche Glossar, das (im Text als Links ausgezeichnete) einfachste Begriffe aus der Netzkultur (bisweilen sehr schlampig – vgl. s.v. »Warp-Antrieb«) erläutert – das zielt auf interessierte Digital outsiders bis immigrants, die wissen wollen, was diese jungen Leute in diesem Netz so machen. Dafür ist was erzählt wird teilweise sehr voraussetzungsvoll; ich bin mir nicht sicher, ob ohne eine gewisse Milieukenntnis dem Buch so ohne weiteres zu folgen ist. Angesprochen, oft nur angerissen, wird eine Fülle an netzpolitischen und netzkulturellen Themen, ohne wirklich in die Tiefe zu gehen. Es geht um Netzsperren und Cybersex, Jugendschutz und anonyme Kommunikation, gesellschaftliche Umwälzungen und Nerdtum, politisches Engagement und die beiläufige Nutzung mobiler Endgeräte – und so weiter und so weiter, und alles flott nur halb erklärt.
Vom mutmaßlichen Anspruch des Verlages ist das Buch also eher gescheitert.
Ich lese es aus einer anderen Perspektive: Schramm ist zwei Jahre jünger als ich, ich habe denselben Ausschnitt der Geschichte in ähnlichem Alter erlebt, in dem das Netz immer mehr in die Gesellschaft eingedrungen ist. Diese Sozialisation nachzuerzählen gelingt ihr sehr gut. Vieles fühlt sich beim Lesen intuitiv richtig an: So fühlt es sich an, in dieser Zeit zu leben. Verschiedene Nicks treten als handelnde Personen auf, von chloe.f.f.w. und Arielle13 über jade zu @laprintemps, die alle Facetten von »Ich – Eine unzuverlässige Erzählerin« aus verschiedenen Lebensabschnitten sind. Dieser Griff macht »Klick mich« zu einem Pubertäts- und Entwicklungsroman, in dem das Disparate und Widersprüchliche nicht zwanghaft vereinigt werden muß. Natürlich geht es immer um dieselbe Person, aber Erwachsenwerden ist eben auch ein Spielen mit Rollen, Identitäten und Ich-Konzepten, zumal wenn dieses Spiel körperlos am Bildschirm abläuft. (Das Buch selbst ist Teil dieses Spiels; bisweilen ist es sehr anstrengend, weil sehr viel Selbstbespiegelung und sehr wenig Selbstreflexion; 180 Seiten anerkennendes Staunen: Das bin ja ich!) Überhaupt passiert (natürlich) vieles online, in Textform. Chatprotokolle, Tweets wirken oft als Fremdkörper – es müssen sich wohl erst noch Formen ausbilden, wie diese zusätzliche Ebene der Realität fiktional abgebildet werden kann. Realität bekommt einen zusätzlichen (Daten-)Layer, das macht unser alltägliches Handeln immer mehr aus. (Mit diesem Layer haben auch andere Erzählungen Probleme; ansatzweise überzeugend gelungen scheint mir das bisher nur bei Sherlock zu sein.)
Das Glossar simuliert leider nur Interaktivität; schön hätte ich es gefunden, wenn im Text selbst mehr »metamoderne« (ein Lieblingswort Schramms) Intertextualität wäre und nicht nur ganz klassisch gebildete Anspielungen und Zitate. Links in Randspalten, mehr Mut zu anarchischer Typographie (der Text ist durchweg langweilig und lieblos als Fließtext aus der Sabon gesetzt). Mir gefällt die Literaturliste, die kein Quellenverzeichnis ist, sondern eine Liste von »Texte[n], die ich gelesen habe, während das Buch entstanden ist – Texte, die direkten Einfluss auf mich hatten oder die ich einfach gerne mag.« Das ist so unwissenschaftlich wie realistisch: Kein Text ist in sich geschlossen, Texte entstehen immer in einem Textgefüge. (Aber auch hier: Mehr Mut zur Typographie, weg von der Liste, hinein ins Layout des Fließtexts!)
Stilblüten wurden zuhauf zitiert. Gelegentlich gelingen auch nebenbei großartige Formulierungen. Wenn Schramm etwa die Beschreibung des alltäglichen Sexismus ganz lakonisch und trocken schließt:
Sobald sie männliche Pseudonyme benutzte, klappte es plötzlich mit Diskussionen. Klar, man wurde trotzdem beschimpft, aber in der Sache, nicht mehr als Frau. Generation Pimmelfechten.
Mein Eindruck ist, daß sich der zeitliche Ablauf des Schreibens deutlich in der Form niederschlägt: Sicher sind einige der Rezensionen auch deshalb so schlecht ausgefallen, weil gerade der Anfang ungelenk formuliert klingt, weil dort besonders hölzerne Dialoge sind. (Warum hat hier kein Lektorat gesteuert?) Je weiter das Buch vorankommt, desto besser wird der Schreibstil (wohl ungewollt bildet das auch den Reifeprozeß der Erzählerin ab), und gerade das letzte Kapitel ist sehr dicht. Es geht um eine von der Polizei gesprengte Party in einem besetzten Haus, auf der die Erzählerin vom Tod eines Freundes erfährt. Diesen Freund, Junto, lernt sie durch den Netzaktivisten Mortensen kennen, der den arabischen Frühling durch die Bereitstellung von Netzzugängen und TOR-Servern unterstützt. Junto ist dort und kommt wohl zu Tode wegen einer Unachtsamkeit bei der Weitergabe von Fotos von Grausamkeiten des Bürgerkriegs. Dieses letzte Kapitel ist durch die Verschränkung der beiden Ebenen so eindrucksvoll: Hier die von der Polizei gesprengte Party, was beiläufig, wie ein Spiel geschildert wird, lästig, aber letztenendes doch auch cool – dort die Tragödie irgendwo ein paar tausend Kilometer südöstlich, die völlig real für die Erzählerin und Mortensen ist. Nichts ist da »virtuell« oder »unecht«. (Überhaupt hat das Buch überall da seine Stärken, wo von Junto und Mortensen erzählt wird: Das ist der Erzählstrang mit dem meisten Potential.)
»Klick mich« liest sich schnell und nebenbei. Eigentlich ist es kein Buch für ein Buch – die ganzen offenen Enden, ungeglätteten Stellen, das atemlose Springen, die Fülle an Unverbundenem, der Wechsel der Textsorten und Ziele hätte viel besser in ein Blog oder ein Wiki gepaßt. Ab bei allen Schwächen: Ich habe es gern gelesen – ein Folgeroman auf dem Stil des letzten Kapitels aufbauend könnte durchweg großartig werden.
Als Randkommentar zum Einschub (“Allein mit dem Text läßt sich das kaum erklären – dazu sehr gut @silenttiffy)”:
silenttiffy sieht das übrigens inzwischen anders; sie hat das Buch mittlerweile gelesen und selbst einen Verriss geschrieben.
Unabhängig davon besten Dank für diese Betrachtung. Ich bin zwar komplett anderer Meinung (ich fand das Buch schrecklich und habe es nur aus Prinzip komplett gelesen), aber gerade das macht den Artikel ja interessant.
Den zweiten Artikel habe ich erst nach dem Schreiben gelesen. Auch mit dem scheint mir der erste nicht gegenstandslos zu sein. Ich kann gut nachvollziehen, daß das Buch extrem schlechte Kritiken bekommt. Mich wundert aber die Aggressivität, und gerade die Spiegel-Rezension fand ich maßlos – allein am Text scheint mir das immer noch nicht zu liegen. Da geht es auch um die Person der Autorin.
Spannend. Ich finde “Klick mich” absolut furchtbar, aber mir hat auch “Axolotl Roadkill” überhaupt nicht gefallen.