Freiheit, Würde und Grenzüberschreitung

Bruder Paulus Terwitte OFMCap hat einen Text unter dem Titel »Karlsruher Ladenöffnungs-Urteil und Minarette« (Link auf die Startseite; einen Permalink scheint es nicht zu geben, mittlerweile ist er gar nicht mehr zu finden.) veröffentlicht: Er kreist darin um den Begriff »Grenze« und kommt zu einem seltsamen Schluß. Zentral ist dieser Satz, auf dem die gesamte Überlegung aufbaut:

Dass wir nicht Gott sind, ist der oberste Grundsatz aller Religionen. Deshalb haben Menschen für Gott sich selber Grenzen gesetzt.

Auf dieser Grundlage schafft es Bruder Paulus, aus christlicher Perspektive über »Grenzen« zu schreiben, ohne von Freiheit, Würde und dem Überschreiten von Grenzen zu handeln.

Schon diese Eingangsthese Br. Paulus’ ist fragwürdig: In der Tat ist der fundamentale Unterschied zwischen Mensch und Gott, zwischen Welt und Gott, zwischen Immanenz und Transzendenz zentral in vielen Religionen. Wenn aber dieser fundamentale Unterschied besteht: Warum müssen Menschen sich dann »für Gott« selbst Grenzen setzen? Die Grenze ist ja bereits im Wesen des Menschen angelegt: Gerade die Begrenztheit macht den Menschen aus. (Religion erinnert auch an diese Grenze; in der katholischen Kirche etwa in der Aschermittwochsliturgie.) Wenn aber die Grenze hier so gefaßt wird, daß es um eine reine Selbstbegrenzung geht, dann entsteht der Eindruck, der Mensch sei unbegrenzt und setze sich erst selbst Grenzen. Es braucht ja die Selbstbegrenzung nicht, da die Begrenzung faktisch schon da ist.

Der Gedanke von Br. Paulus hat dennoch seine Berechtigung: Der Mensch ist begrenzt, aber auch frei. Freiheit ist die Voraussetzung für Verantwortung; und in Verantwortung setzt sich der Mensch selbst Grenzen – nicht, um damit seinen Unterschied zu Gott zu betonen, sondern um seiner Würde gerecht zu werden. (Das gehört zum Sinn der freiwillig gewählten evangelischen Räte, die alle Selbstbegrenzungen um einer größeren Freiheit um Gott willen sind.)

Bei Br. Paulus werden nur selbstgewählte Grenzen erwähnt, die negativ abgrenzen – von einer Zeitgrenze über eine Handlungs- zur Gemeinschafts- hin zur Religionsgrenze: Nicht immer alles und überall mitmachen wollen. Das sind christliche Tugenden: Bescheidenheit, eben Einsicht in die eigene Begrenztheit. Die Grenze, über die man anderen und sich selbst begegnet, ist aber keine selbstgesetzte. Gerade in der unveräußerlichen Würde, die völlig unabhängig vom eigenen Dazutun ist, begegnet der andere. Das kommt bei Br. Paulus nicht vor. Er findet seinen Bogen von den selbstgesetzten Grenzen zur Überschrift so:

Daraus folgt eine Haltung des Respektes. Sie respektiert Grenzen. Ich laufe nicht in Shorts durch Istanbul. In Dubai im Bikini am Strand liegen nur jene, die vergessen können, dass Luftlinie 2000 m Frauen nur in Burka sich der Öffentlichkeit zeigen. Am Sabbat werde ich in Israel nicht arbeiten. Der Sonntag ist heilig hier bei uns. Und warum also Minarette bauen in einem Land, wo dem Ganz Anderen in langer Tradition auf christliche Weise gehuldigt wird? In den muslimischen Ländern dürfen jedenfalls keine Kirchtürme gebaut werden. Mit Recht. Und bei uns sollte der Sonntag nicht angetastet werden. Gott muss mehr zählen als Geld.

Diese Aufzählung paßt gut in die Argumentationsrichtung: Es geht um gesetzte Grenzen, im Unterschied zu natürlichen Grenzen. Diese Aufzählung ist eine Apologie des Rechtspositivismus und jeglicher Tradition. Betont werden Grenzen, die Kollektive festgelegt haben, Grenzen, die willkürlich sind. Es heißt nicht »der Sonntag, der Sabbat ist heilig« (weil das aus einem göttlichen Gebot hergeleitet wird), der Sonntag ist heilig nur »hier bei uns«. Und das schlimmste: Es geht nicht um frei gewählte Grenzen, sondern um Grenzen, die von anderen auferlegt werden.

Um Grenzen, die in der Würde des Menschen liegen, geht es hier nicht. Kein Wort davon, daß nicht der Bikini obszön ist, sondern daß Frauen gezwungen werden, Burkas zu tragen. Hier gibt es kein Recht auf Religionsfreiheit, das gerade für die Minderheit gilt: Hier im Abendland bitte keine Minarette, »es ist Deutschland hier«, und im Gegenzug ist es »Recht«, wenn in muslimischen Ländern Christen ihre Religion nicht frei ausüben dürfen. Wo ist die Grenze dafür, welche Grenze man akzeptieren muß? Nach Saudi-Arabien darf man keine Bibel mitnehmen. In der Türkei ist es fast unmöglich, Kirchen (auch ohne Kirchturm) zu bauen. »Mit Recht«? Es fehlt, daß »Grenzen respektieren« auch die Freiheit des anderen respektieren heißt.

Und noch ein Aspekt fehlt völlig: Das Christentum ist eine Religion der Grenzüberschreitung. Das Christentum kennt nicht den völlig abwesenden, unbeteiligten Gott. Im Christentum ist Gott Mensch geworden und hat damit die Definition von Religion gesprengt, die Br. Paulus oben anführt. Der Ganz Andere begegnet dem Menschen auf Augenhöhe: »Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.« (Phil. 2,6) Es fehlt der Gott, der sein Volk aus Ägypten hinausführt, es fehlt der Gott, bei dem die Standes- und Geschlechtsunterschiede nicht wichtig sind, es fehlt Jesus, der am Sabbat heilt und Ähren bricht, der mit Zöllnern, Aussätzigen, Ausgestoßenen und Fremden spricht. Dagegen Br. Paulus: »Grenzen müssen Orte des Dialoges werden. Sie einfach zu überschreiten, ist lebensgefährlich.« Auch mit dem Gott, mit dem man Wälle und Mauern überspringen kann?

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