Vorgestern habe ich einen gewissen Cultural clash zwischen meiner Vorstellung vom Durchschnittspiraten und meiner Vorstellung vom Durchschnittsgendertheoretiker festgestellt. Was tun?
Im (noch inoffiziellen) Kodex der Piratenpartei gibt es den schönen Abschnitt »Piraten hinterfragen«. Darin heißt es:
Jedes System kann gehackt werden. Mit “System hacken” meint man nicht, dass es zerstört wird, sondern einfach nur komplett verstanden. Erst wenn man ein System komplett versteht, sieht man die Schwachstellen/Fehler. Beispiel: Fernsehabteilung – Dort werden verschiedene Fernseher mit unterschiedlicher Farbtemperatur betrieben. Da die meisten Leute ein warmes Bild (mehr Rot) lieber mögen als ein kaltes (mehr blau), können so gezielt die Fernseher verkauft werden, die raus müssen. Ein Pirat würde sich also fragen: Wieso sieht die Farbe bei den verschiedenen Fernsehern unterschiedlich aus? Kann man die Farbe korrigieren? Wenn ja, warum machen die Verkäufer das nicht? Welche Fernseher wollen die Verkäufer mir verkaufen und was sind das für Fernseher?
Das Beispiel ist technisch, das Prinzip nicht. Hacking gibt’s auch anderswo. Kommunikationsguerrilla ist nichts anderes. Der ganze Gender-Ansatz, auch »geschlechtergerechte« Sprache ist eine Form von Hacking. Was Judith Butler in Gender Trouble vorschlägt, nämlich gesellschaftlich vorgegebene binäre Kodierung von Geschlecht durch ein erwartungswidriges Handeln (etwa drag) zu unterlaufen, ist eine Form von Hacking.
Über Frauenquoten, Frauenanteile, »geschlechtergerechte« Sprache, Frauenforen, Frauenpolitik zu reden, bringt den Piraten – und den Feministen! – überhaupt nichts, das haben die Diskussionen der letzten Tage in der Blogosphäre gezeigt (etwa bei Antje Schrupp, Adrian Lang und Danilo Vetter). Ein immer wieder vorgebrachtes Argument, nämlich »bei uns ist das kein Thema, also kein Problem« (und umgekehrt) stimmt nämlich insofern, daß ein Aufpfropfen von solchen Methoden weniger der Geschlechtergerechtigkeit dienen würde, als zu einer Reifizierung führen würde: Das Problem wird geschaffen und verstärkt sich selbst, indem es in Strukturen angegangen wird, die als Teil eines Problems und nicht einer Lösung gesehen werden. (So ist dann auch eines der Don’ts im HOWTO Encourage Women in Linux »Don’t complain about the lack of women in computing«.)
Es hilft nichts, immer wieder auf die Piraten zu zeigen (wie gerade im Mädchenblog) und zu sagen, daß sie ignorant oder sexistisch oder was auch immer seien. (Sind sie nämlich erstens nicht, und, zweitens, wenn sie’s wären, würde es auch nichts bringen, ihnen das so zu sagen.)
Was dann? Organisiert doch mal ein BarCamp zum Thema »Soziale Systeme hacken«, ladet dazu Genderwissenschaftler, Kommunikationsguerilleros, Spezialisten für Social Engineering, Drag Queens ein. Redet nicht darüber, wie ihr mehr Frauen in die Partei bekommt. Redet darüber, wie die unterschiedlichen Leute mit ihren unterschiedlichen Hintergründen Systeme hacken.
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