Zivildienst bildet. Dritter und letzter Teil.

Es ist vollbracht. Ich bin wieder im Vollbesitz meiner Grundrechte. Es folgt also der letzte Teil der Leseliste.

Bert Brecht, »Die Gesichte der Simone Machard«, Douglas Hofstadter, »Die Fargonauten«, Edmund H. Carr, »Romantiker der Revolution«, Ernst Wasserzieher, »Leben und Weben der Sprache«, Feridun Zaimoglu, »12 Gramm Glück«, Hans Joachim Störig, »Das Problem des Übersetzens«, Heimito von Doderer, »Die Wasserfälle von Slunj«, Heinrich Böll, »Irisches Tagebuch«, Immanuel Kant, »Vom ewigen Frieden«, James Joyce, »Verbannte«, Jan Pierre Ganske, »Katholische Jugendarbeit im Spannungsfeld zwischen sich säkularisierendem Umfeld und kirchlichem Lehramt«, John Stuart Mill, »On Liberty«, »On Utilitarianism«, Karlheinz Deschner, »Kitsch, Konvention und Kunst«, Kurt Tucholsky, Werke 1917–1920, Lewis Wolpert, »Unglaubliche Wissenschaft«, Ludovico Arios, »Rasender Roland«, Lynne Truss, »Eats, Shoots & Leaves«, Sauter/Schweyer/Waldner, »Der eingetragene Verein«, Siegmar Ott, »Vereine gründen und erfolgreich führen«, Stanislaus Joyce, »Dubliner Tagebuch«, Th. Th. Heine u.a., »Simplicissimus Humor« (sic!), »Bilder aus dem Simplicissimus«, Thomas Morus, »Gebete und Meditationen«, Uwe Pörksen, »Was ist eine gute Regierungserklärung«, Victor Klemperer, »LTI«.

Traumberufung

Seit heute bin ich stolzer Besitzer eines Personalschematismus der Erzdiözese Freiburg von 1938. Damals gab es für Priester noch wirklich gute Stellungen! [Anm. d. Lektors: Missions-Kalauer gestrichen] Zum Beispiel die des Erzb. Geistl. Rates und Caritasdirektors Walter Baumeister: Er fungiert als »Leiter der Asozialen- und Trinkerfürsorge«. Ungerecht: Ich mache quasi im selben Geschäft, darf mich aber nichtmal Obergefreiter nennen.

Zivildienst in der Bahnhofsmission. Fragment, Januar 2004

Ein Radiosender fragte dieser Tage, was sich für junge Männer ändern würde, wenn der Zivildienst abgeschafft würde und gab auch gleich selbst die Antwort: Sie müßten in Zukunft den Geldbeutel der eigenen Oma klauen, sich von jemand anderem erzählen lassen, wer die Autobahnen gebaut hätte und könnten in Zukunft die Rollstuhlrennen nur noch in den eigenen vier Wänden veranstalten.

Auch der Spiegel fand deutliche Worte: »Zivis sind die nützlichen Deppen einer Nation, die die Augen verschließt vor ihrem ›sozialen Problem‹: Sie delegiert die Verantwortung für Alte, Kranke, Hilfsbedürftige.«

Ich bin einer dieser »nützlichen Deppen«. Als Zivildienstleistender in der Bahnhofsmission habe ich vielfältige Aufgaben: Umsteigehilfen, Verwaltungstätigkeiten, Instandhaltungsarbeiten, gezielte soziale Hilfen – mein Aufgabenfeld ist so breit gefächert wie die Angebote der Bahnhofsmission.

Nützlich bin ich (bei aller Bescheidenheit) also durchaus. Wie sieht es mit dem »Depp« aus?

Als Zivildienstleistender in der Bahnhofsmission kann man sehr eigenständig und auf gleicher Höhe mit den Ehrenamtlichen arbeiten. Da man quasi ständig präsent ist, entwickelt man einerseits eine gewisse Routine und behält den Überblick, kann aber andererseits auch häufiger auftauchenden Klienten besser helfen, da sie ihre Geschichte nicht jedesmal neu erzählen müssen. Und gerade die länger dauernden Fälle sind die spannenden: Von den bestohlenen Italienern, die in ihre Heimat zurückwollen (und sich im deutsch-italienischen Behördendschungel verirren) zu von Obdachlosigkeit bedrohten Jugendlichen tauchen immer wieder Fälle auf, die sich eben nicht in einer Schicht lösen lassen.

Persönlich

Der Artikel wurde nie fertiggeschrieben, geschweigedenn im Jahresbericht veröffentlicht.

Zivildienst bildet, Teil 2

Halbwegs pünktlich zur neuen Soldstufe wieder meine Leseliste.

Erasmus von Rotterdam, »Lob der Torheit«; Kate Atkinson, »Nicht das Ende der Welt«; Jamie O’Neill, »Im Meer, zwei Jungen«; Per Højholt, »Auricula«; Marie-Luise Scherer, »Der Akkordeonspieler«; Bert Brecht, »Leben des Galilei«, »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny«, »Die heilige Johanna der Schlachthöfe«, »Schweyk im zweiten Weltkrieg«, »Die Gewehre der Frau Carrar«, »Furcht und Elend des Dritten Reiches«; Heinrich Böll, Romane und Erzählungen 1947–1951; Walter und Inge Jens, »Frau Thomas Mann«; Thomas Mann, »Joseph und seine Brüder«; Michael Graff, »Glauben ohne Fremdwörter«; Heiner Geißler, »Was würde Jesus heute sagen?«; Karl Popper, »Die offene Gesellschaft und ihre Feinde«, Søren Kierkegaard, »Geheime Papiere«

Im Frauenbuchladen war ich immer noch nicht.

Zuvieldienst

Bei einem sozialen Schulpraktikum hat Felix Neumann die Bahnhofsmission kennen gelernt. Dem Gymnasiasten aus Waghäusl hat es an dem besonderen Knotenpunkt des Lebens so gut gefallen, dass er sich nach dem Abitur um eine Zivistelle am Gleis 1 des Mannheimer Hauptbahnhofs bewarb.

So fängt der Artikel »Wird die Truppe an der Sozialfront zurückgepfiffen, müssen neue Konzepte her« im auch sonst nicht zu empfehlenden Mannheimer Morgen heute an. (Erstens bin ich genausowenig »Gymnasiast« wie »Grundschüler«, zweitens heißt es Waghäusel, drittens habe ich mich dort schon weit früher beworben – all das sollte ein sorgfältig arbeitender Journalist aber selbst korrekt recherchieren.)

Anderen Medien, namentlich dem Usenet, entnimmt man besser Recherchiertes:

Drei Dinge, die sich für die Zivildienstleistenden ändern, sollte der Dienst bis 2008 wirklich abgeschafft werden:

  1. Sie müssen in Zukunft den Geldbeutel der *eigenen* Oma klauen.
  2. Sie müssen sich in Zukunft von jemand anders erzählen lassen, wer die Autobahnen gebaut hat.
  3. Sie können in Zukunft die Rollstuhlrennen nur noch in den eigenen vier Wänden veranstalten.

Die taz findet noch einen Nachteil: Nichts mehr mit rechts husten.

Leseliste

Zivildienst bildet. Zumindest, wenn man nichts zu tun hat. Bilanz bisher:

Robert Burton, »Anatomie der Schwermut«; Martin Gilbert, »Liebe Tante Fori«; Antal Szerb, »Reise im Mondlicht«; Jean-Pierre Luminet, »Alexandria 642«; Ljudmila Ulitzkaja, »Die Lügen der Frauen«; Heinrich Böll, »Gruppenbild mit Dame«, Heinrich Böll, »Ansichten eines Clowns«, Philipp Blom, »Sammelwunder, Sammelwahn«; Sven Regener, »Herr Lehmann«; Arno Schmidt, Zürcher Kassette, Band 6 ; Cord Riechelmann, »Bestiarium«; Heinrich Böll, »Gruppenbild mit Dame«; Thomas Mann, »Lotte in Weimar«; Thomas Mann, »Tonio Kröger«, »Mario und der Zauberer«; Dietmar Dath, »Höhenrausch«; Heinrich Böll, »Ansichten eines Clowns«; Karl Kleinschmidt, »Keine Angst vor guten Sitten«; Asfa-Wossen Asserate, »Manieren«; Ernst Augustin, »Die Schule der Nackten«; diverse, »Reformation und Humanismus im Kraichgau«; Jan Tschichold, »Die neue Typographie«; O. A. W. Dilke, »Mathematik, Maße und Gewichte in der Antike«

Nun stellt sich mir immer noch die bange Frage, was ich nun im Frauenbuchladen Xanthippe kaufen soll (obgleich mir manche mit kaum verhohlenem Overstatement das größte Gehirn der Welt nachsagen, fand ich bisher die Antwort nicht).

Wenigstens die Weihnachtsgeschenke sind dank Gadgets for God gesichert.

Fahrradfahrer dieser Stadt …

Heute bin ich zum ersten Mal »Kids on Tour« gefahren. »Kids on Tour« (diese Bezeichnung wird seltsamerweise nie abgekürzt …) heißt: alleinreisende Kinder werden von der Bahnhofsmission betreut. Diesmal: Köln–Mannheim. Doch – bis ich erstmal dort war!

Der ICE war gestopft voll, hauptsächlich Soldaten auf Heimatfahrt und Geschäfsleute, ich bin dummerweise in den Raucherwagen eingestiegen (und es gab natürlich kein Durchkommen). Doch natürlich kommt es noch schlimmer.

Vielleicht hat der geneigte Leser es schon bemerkt: ich gebe mir zwar eine vorurteilsfreie links-alternativ-intellektuelle Anmutung (ich besitze sogar Yogi-Tee und diverse Werke von Heinrich Böll!), bin aber dennoch im tiefsten Herzen überzeugter Rassist. Ich verabscheue rheinischen Lebensstil; der Rheinländer an sich löst schon durch Dialekt und Gehabe Widerwillen in mir aus.

In meinem schönen Raucherabteil also saß eine köllsche Reisegruppe (mit Betonung auf dem Doppel-l von »köllsch«), bestehend aus einer Handvoll Ehepaaren im sogenannten »besten Alter«, die jedes Klischee erfüllten: die Damen in einer Weise elegant, die bestenfalls abgeschmackt zu nennen ist, die Herren in rot-braun-blauen Pullovern und mit Otto-Schily-Frisuren (und Joschka-Fischer-prä-Jogging- Bäuchen), und, natürlich, ein Fäßken (sic!) Köllsch (sic!), aus dem man dann und wann ein Gläsken (sic!) zapfte. Die Damen sprachen ihre Gesponse mit – natürlich! – »Daddy« an. Dabei allfällige Analysen über die deutsche Bahn im speziellen und die Lage der Nation im allgemeinen.

Entsprechend anti-rheno-guestphalisch kam ich also zum Rhein (zum Rhein, zum deutschen Rhein), ging auch gleich in die Bahnhofsmission (obgleich ich eigentlich noch eine Stunde gehabt hätte; doch innerhalb dieser Stunde hätte ich nur den Dom geschafft, und in meiner Situation auch noch an Card. Meisner erinnert zu werden …), wo mich der Leiter empfing. Eine ausgesprochen rheinische Frohnatur, die mir begeistert erzählt, daß sie in E-Mails an Mannheim immer »Mann, und dann Leerzeichen, heim« schreibe, »wie wenn da ein Mann heim müsse« – »Spaß« müsse ja »schließlich sein«, und das sei ja ein Wortspiel, »verstehen Sie?«, nudge nudge, knick knack.

Ansonsten war es doch ein recht nettes Erlebnis.

Optisches, Allzuoptisches

Interessant ist immer wieder, wie sehr sich Menschen von der Optik leiten lassen. Neulich im Zug: »Fahrscheine bitte – Semesterticket?» Wahrheitsgemäß verneine ich. »Komisch. Sie sehen so aus wie ein Student.« Und gestern auf dem Bahnsteig: »Und du hörst auch Metal?« Wieder wahrheitsgemäße Verneinung. »Komisch. Du siehst genauso aus.« – was unsere Dienstkleidung für Assoziationen erzeugt …

Hamse jedient?

Mein Lieblingsvaterland ruft zu den Waffen. Oder zumindest ruft es zur Musterung. Schlimm genug. Hatte ich vorher noch mit meinem notorisch maroden Gesundheitszustand gerechnet, bin ich nun um die Erkenntnis reicher, daß Vater Staat (man beachte die Häufung männlicher Metaphern) jeden Krüppel nimmt. Ich zumindest bin T2 und darf mein Leben überall einsetzen — außer als Fallschirmjäger, Fernspäher, Pipeline-Pionier oder beim Wachbataillon. Flußpionier, überhaupt Pionier und Bautechniker sollte ich meiden.

Wenn das mal keine Zukunftsaussichten sind.

In diesem Sinne: Kompanie, hustense mal rechts!