Spaß und Protest

Wird die Piratenpartei diskutiert, dann geht es meistens um das Programm: Wofür steht die Partei, hat sie ein Programm, hat sie Themen (und hat sie mehr als eins), wie ist sie ins politische Spektrum einzuordnen? Es geht auch um strukturelle Fragen: Wer ist Mitglied, wer wählt sie – und warum? Ist es Protest, ist es Spaß?

Protestpartei und Spaßpartei – in diesen Frame wollen die etablierten Parteien die Piraten einpassen. Das ist korrekt. Die Piraten sind eine Protestpartei und eine Spaßpartei – aber nicht in dem Sinn, wie diese Begriffe gemeinhin benutzt werden. Protest und Spaß: Das macht die Piraten aus, und das ist ihre Stärke und ihr Beitrag zum Parteiensystem.

Die Piratenpartei ist eine Protestpartei. »Protestpartei« hat keinen guten Klang; der mitschwingende Vorwurf ist der eigentlicher Profillosigkeit. Profil wird nur über die Abgrenzung vom Gegner gewonnen: Die Linke in Westdeutschland ist nicht die SED-Nachfolgepartei, sondern die Wahlalternative der enttäuschten Traditionssozialdemokratie. Die Freien Wähler auf Landesebene in Bayern sind ein Phänomen der CSU-verdrossenen Konservativen.

Der Protest der Piratenpartei ist anders; zwar definieren auch sie sich in Abgrenzung von den anderen politischen Akteuren. (Nicht umsonst machen die Piraten die Bezeichnung »Altpartei« fast wieder salonfähig.) Die Abgrenzung ist aber weniger eine auf den Inhalten basierende; das inhaltliche Verdienst der Piratenpartei in thematischer Hinsicht ist es, das Thema Netzpolitik prominent auf die Agenda aller Parteien zu bringen – aber selbst auf dem namensgebenden Politikfeld des Urheberrechts stellt die Piratenpartei bestenfalls die Fragen besser als andere Parteien: Ein konkreter, ausgearbeiteter, durchdachter Vorschlag fehlt. hat es lange gedauert, bis in den Dezember 2011, bis ein konkreter, ausgearbeiteter, durchdachter Vorschlag vorlag. Darüber hinaus ist die Programmatik unspektakulär oder rudimentär.

Das liegt nicht nur daran, daß noch die Ressourcen wissenschaftlicher Mitarbeitenden und parteinaher Thinktanks fehlen: Die Piratenpartei ist eine Protestpartei gegen die etablierte politische Kultur. Sie ist weniger eine Policy- als eine Polity-Partei. Piraten und ihre Anfrage an das etablierte Parteinsystem und den Staat beschäftigen sich weniger mit konkreten Inhalten, die innerhalb des Systems verhandelt werden, als mit dem System selbst. Transparenz, Partizipation, Teilhabe: Die Piraten sorgen eher dafür, eine Infrastruktur durch Versuch und Irrtum und auf der Basis ihres Politik-Verständnisses zu erarbeiten, als daß sie kohärente Inhalte und Ideologie ausbilden. (mspro bringt den Inhalt der Piraten auf den gemeinsamen Nenner der »Plattformneutralität«.)

Für junge Parteien ist es normal, daß sie noch eine große ideologische Spannbreite haben (wie bei den Grünen zwischen K-Gruppen und Gruhl); ich habe aber den Verdacht, daß die Piraten weiterhin ideologisch divers bleiben (auch wenn sie bereits jetzt eine deutliche linksliberale, postmaterielle Schlagseite haben).

Als derartige Protestpartei trägt die Piratenpartei mit ihrer jungen Wählerschaft die Anfragen ins parlamentarische System, die zum Bedeutungsverlust der etablierten Parteien und zu den Pathologien von Großorganisationen überhaupt führen. Die Politik der Piratenpartei ist Protest gegenüber der gemäß dem ehernen Gesetz der Oligarchie erstarrten Strukturen etablierter Parteien.

Die Piratenpartei ist außerdem eine Spaßpartei. Auch »Spaßpartei« hat keinen guten Klang. Spaßparteien in Deutschland, das hieß bisher Christoph Schlingensiefs Chance 2000, die pogoanarchistische APPD, Martin Sonneborns PARTEI. Parteien als mit deutscher Gründlichkeit bis zur Perfektion durchexerzierte Streiche. Das war die Piratenpartei nie, sie war immer ernst gemeint. Sie war auch nicht in dem Sinn Spaßpartei, wie es die FDP in ihrer 18-Prozent-Guidomobil-Phase sein wollte – deren Spaß war bloß aufgesetzter Klamauk. Ein im eigentlichen Sinn unpolitischer Spaß. Der Unterschied der Piraten zu diesen Ausprägungen der Spaßpartei: Es wird ernsthaft Politik betrieben; diese Politik macht aber plötzlich Spaß.

In der Süddeutschen schreibt Heribert Prantl von diesem Zugang zur Politik: »Die Piratenpartei befriedigt offenbar eine gutgläubig-unbefangene, herzhaft basisdemokratische Lust auf Politik« – mit dieser Analyse sagt er etwas wichtiges über das Wesen der Piratenpartei.

Es geht in der Tat um die Lust, um den Spaß am Politischen. Das paßt nicht recht in unsere offiziöse und seriöse politische Kultur. Politik ist serious business. Politik hat staatstragend zu sein. Und Pony time ist nicht staatstragend. Mit Max Weber ist Politik vor allem das lange und langsame Bohren dicker Bretter.

Die deutsche politische Kultur ist eine, in der Webers Diktum selten zu Ende gelesen wird: Die Bretter sind mit Augenmaß zu bohren. Das ja. Aber bei Weber eben nicht nur mit Augenmaß, sondern auch mit Leidenschaft.

Die Piraten bringen einen neuen Politikbegriff in die politische Kultur: Den Hannah Arendts. Für sie ist Politik nicht nur Verwaltung (genau genommen: gerade nicht Verwaltung), sondern der Modus des Handelns, in dem das eigentlich Menschliche zum Vorschein kommt. In der Politik finden Menschen Erfüllung, Politik wird auch um ihrer selbst willen betrieben: Es ist ein Wert an sich, die Bedingungen der Freiheit auszuhandeln.

In diesem Sinn ist die Piratenpartei eine Spaßpartei: Sie greift diesen spielerisch-existentiellen Charakter der Politik auf. Politik ist für ihre Mitglieder nicht das, was eine technokratische Fachpolitikerkaste tut, sondern etwas, was alle angeht, woran sich alle beteiligen sollen, woran sich alle beteiligen können sollen.

Zur Kritik an Hannah Arendts Politikbegriff wird immer wieder der Vorwurf der Inhaltslosigkeit vorgebracht. (Mary McCarthy soll Arendt einmal gefragt haben, was denn außer »Krieg und Reden« von ihrem Politikbegriff einbegriffen sei.) Die angebliche Inhaltslosigkeit der Piratenpartei ist ein Ergebnis der Aspekte der Protest- und der Spaßpartei: Die Piratenpartei möchte die politischen Rahmenbedingungen so umgestalten, daß ein lustvoller, daß ein alle einbeziehender und motivierender Politikstil möglich wird. Die Piratenpartei hat da ihre Stärken, wo sie Plattform für politisches Handeln ist; ihre offene und partizipationsorientierte Gestalt macht sie attraktiv für verschiedene politische Meinungen, und es kommt systemkonform gar nicht darauf an, eine piratige Position zu haben – sondern daß Positionen piratig erarbeitet werden. (Ein inhaltlich wie ideologisch kohärentes und stringentes umfassendes Programm könnte also sogar den spezifisch piratigen Charakter der Piratenpartei bedrohen.)

Das ist in der gegenwärtigen Phase der Parlamentarisierung der Piratenpartei dann auch die Zukunftsfrage und das Risiko: Ohne Mandate und echte Teilhabe an der Macht läßt es sich einfach ohne Geländer denken (ein von Arendt geprägter Begriff). Aber wie wird es sich jetzt auf die Partei auswirken, wenn sie ins System integriert wird, wenn sie vollends Teil der politischen Maschinerie wird, und nicht nur an ihren Hoffnungen, sondern an ihren Erfolgen gemessen wird?

15 Gedanken zu „Spaß und Protest“

  1. Interessante Gedanken. Ich bin mir nicht sicher, ob du die Piraten zu optimistisch siehst. Mir kommen sie ein wenig vor wie das Sammelbecken derjenigen, die zuvor zu den tendenziell Unpolitischen gehörten. Die Piraten scheinen mir eher einer sozialen Bewegung zu gleichen, die auf alle anderen Parteien einwirken möchte, nicht aber sich selbst an die Macht bringen will. Der starke Reflex gegen die „etablierten Parteien“ aller Farbrichtungen könnte – wenn man die Vieldeutigkeit der vorhandenen Programmbestandteile und die zahllosen Themen ansieht, die gar nicht im Blickfeld sind – auch daher rühren, dass die Piratenpartei auch ein Aufstand gegen die Komplexität der modernen Gesellschaft ist, die durch eine unüberschaubare Vielfalt von Problem- und Interessenslinien gekennzeichnet ist, die sich in den Parlamenten und der Gesetzgebung schneiden und gegenseitig bedrängen. Zu allem, was etwas kompliziert ist, will man sich vorerst gar nicht äußern. Da ist auch viel – wie ich finde: naive – Sehnsucht nach einer neuen Einfachheit des Politischen enthalten. So etwa: „Die Leute sollen diskutieren, was geschehen soll, und das geschieht dann auch.“ Diese Naivität ist erfrischend und trifft augenscheinlich auf ein breites Interesse, aber eigentlich ist sie nur da anwendbar, wo die Probleme entsprechend strukturiert sind. Zum Beispiel auf lokaler Ebene. Oder Internet-Freiehti. Und vielleicht noch bei einigen anderen größeren Fragen, die dann und wann auftauchen. Ansonsten wird die Piratenpartei weder uns noch sich von der Komplexität moderner Politik befreien. Ich frage mich skeptisch, ob die „Piraten“ nicht daran zerbrechen werden, dass sie fatalerweise eine echte Partei sein wollten. Partei und Politik haben beide unvermeidlich mit Macht, taktisch sublim aufgezogenem Druck und der Beschaffung von Mehrheiten zu tun. Das heißt, es wird intern Minderheiten, Dissens und Enttäuschung geben. Der Spaß ist dann vorbei. Dieses Zerbrechen wäre sehr bedauerlich, denn die Kernthemen der Piraten sind ganz bestimmt Kernthemen für die Entwicklung unserer Demokratie.

    1. Nachdem ich mit dem Artikel fertig war, habe ich mir auch gedacht, daß das extrem positiv rüberkommt, und warum ich eigentlich nicht da Mitglied bin. Mein Artikel beleuchtet positive Seiten. Einseitig. Das alles hat seine Kehrseite – und so heftig, daß ich ganz froh bin, da nicht dabei zu sein. Als Politikwissenschaftler mit Interesse an politischer Theorie und Organisationsentwicklung sind für mich die Piraten ein wunderbares Experiment, die all das ausprobieren, was in der politikwissenschaftlichen Literatur seit Jahren diskutiert wird, ohne daß es Recht in die Praxis kommt. Daher mein Grundsätzliches Wohlwollen. Zu Deinen Anmerkungen:

      Ja, die Piraten sind ein Sammelbecken vorher Politikferner. Das ist ihr großes Verdienst, diese Kreise in die Parteipolitik geholt zu haben. Das führt aber auch dazu, daß Erfahrungen in Parteipolitik fehlen, daß jedes Rad gesondert neu erfunden wird, daß aus Unverständnis über die Dynamik einer Großorganisation komplexitätsreduzierende Verfahren von vornherein abgetan werden (Regionalproporz, Absprachen für Listen, kleinere Entscheidungsgremien, Delegation, Repräsentation …). Dieses Anti-Parteien-Moment macht die Piraten stark als Parteienalternative, wird aber, je größer die Partei wird, je realer die Machtbeteiligung durch Parlamentseinzüge wird, auch zu einer Schwäche. Ein schönes Beispiel ist das aktuelle FAZ-Interview mit Sebastian Nerz: Ein Vorsitzender, der nur um Fettnäpfchen und Shitstorms herumlaviert, weil seine Partei aus individualistischen Egomanen Machtkonzentration und politische Führung nicht leiden kann. (Überhaupt ist die Personalie Nerz ja in Verbindung mit der Nicht-Wahl von Lauer zu sehen, der zu präsent, zu medienaffin, zu polarisierend ist, um eine Chance auf solche Ämter in der Piratenpartei zu bekommen.)

      Die Inhalte sehe ich auch als das große Problem einer Polity-Partei, wie ich es genannt habe: Einigen können sich die Piraten auf politische Prinzipien – selten auf Inhalte. Das reicht nicht aus, genau wie Du es schreibst. Es braucht auch kurzfristige Erfolge, es braucht auch Policy. Benedikt Lux, für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, hat neulich den einen Artikel im Cicero zitiert: »wenn die politik ein gemälde ist, dann starren die piraten lieber auf den rahmen. das bild beachten sie nicht« – den Eindruck habe ich auch oft.

      Deinen Hinweis auf den Wunsch nach Einfachheit finde ich treffend – und zeigt auf ein Paradox: Die Piratenpartei ist allergisch gegen hergebrachte politische Komplexitätsreduktion (wie oben erläutert) – reduziert aber selber extrem die Komplexität bis hin zu sehr klaren Feindbildern. Wer sich inhaltlich exponiert, gar als Vorstand, wird abgestraft, aber gleichzeitig wird eingeschnappt, wenn andere die programmatische Vagheit kritisieren.

      1. Vielen Dank für die ausführliche Antwort. Nach allem, was man in den letzten Tagen mitbekommen hat, bestätigt sich wohl der Eindruck, dass bei den Piraten viele dabei sind, die noch nie ein politisches Thema gekapert haben. Überleben wird da ganz schwierig, fürchte ich. Und dabei wird der zentrale Unterschied zwischen dem Einzug der Grünen in die Parlamente und dem jetzigen Einzug der Piraten deutlich: Die Grünen kamen alle aus der langjährigen politischen Arbeit und waren – zumal bei ihren Kernthemen – oft argumentativ und fachlich “state-of-the-art”. Die Piraten eben nicht. Die eingestandene, authentische wirkende Hilflosigkeit zieht u.a. Wähler an, denen es auch so geht – sehr viel “Frustrierte”, die anstreben, überhaubt wieder Politik verstehen und mitgestalten zu KÖNNEN. Tragischerweise könnte ihre empfundene Ohnmacht nicht nur an den Politikern liegen, sondern durchaus auch an ihnen selbst. Jedenfalls hat man bei einigen den Eindruck.

  2. Was mit den Piraten passiert, wenn sie sich innnerhalb des politischen Systems beweisen müssen, hat gestern einer ihr Berliner Abgeordneter Christopher Lauer bei Maybritt Illner im ZDF gezeigt: Trotz der Grundhaltung, sich zur Schlecker -Bürgschaft nicht zu äußern, musste er sich auf Nachfrage sich doch äußern und stellte das als seine eigene “Verlotterung” durch den politischen Betrieb dar. In der folgenden Diskussion fragte er dann nach den sachpolitischen Zwängen für die fehlende Länderkompetenz in dieser Frage, warum also der anwesende rheinland-pfälzische Ministerpräsident Krut Beck nicht einfach alleine in seinem Bundesland nicht einen Sonderweg gehen würde, und musste sich dann sogar von Moderatorin Illner darauf hinweisen lassen, dass EU-Recht und Grundgesetz keine sachpolitischen, sondern juristische Zwänge sind.
    http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1607140/ “Sparen-als-Wahlversprechen-”

    Aus meiner Sicht verspielt eine Partei, die viel Sympathie dadurch gewinnt, auf das Verfahren politischer Entscheidungen zu achten und dies transparenter zu machen, diese Sympathie genau dort, wo sie sich um der Distanz zur etablierten Politik Willen nicht mit den komplizierten Strukturen und Rahmenbedingungen auseinandersetzt, sondern sich auf den Standpunkt “Da haben wir keine Expertise und kein Programm, deshalb sagen wir nichts” zurückzieht.
    Der basisdemokratische Ansatz der Piratenpartei, der selbstverständlich dem kulturellen Wandel durch das Medium Internet gerechter wird als die durch Lobby-Arbeit beeinflusste und durch programmatische Ausrichtungen verengte Politik etablierter Parteien, ist zwar einerseits zeitgemäß und für viele Bürger ansprechend. Aber jede Bürgerinitiative vor Ort muss, um überhaupt erfolgreich zu sein, die bloße Protesthaltung ablegen, sich mit den Argumenten der Gegner auseinandersetzen, diese bestenfalls widerlegen und selbst eine gefestigte Position auf der Basis von Fakten, gutachterlichen Einschätzungen und (nicht zuletzt) sozialen Werten einnehmen. Dann aber wird es zwangsläufig kompliziert und der Vorstand der Bürgerinitiative oder wie hier die Parteispitze müssen notwendigerweise mehr Zeit darin investieren, besser informiert sein um nachvollziehbar und überzeugend argumentieren zu können. Wenn das die Piratenpartei nicht schafft – und danach sieht es meiner Meinung derzeit aus – haben sie nicht mal mehr die Chance die Politik über den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung durch mehr Transparenz attraktiver zu machen (durch Veröffentlichung von Fakten, Gutachten und ihrer Überzeugung zugrundeliegenden sozialen Werten) und sich so vom etablierten Politikbetrieb zu unterscheiden.
    Wobei nicht zu vergessen ist, dass eine solche Transparenz schwierig wird, wenn das Gutachten nicht der vorher vorgestellten Position entspricht, die Faktenlage von Einschätzungsspielräumen abhängig ist und eine Festlegung auf bestimmte soziale Werte nicht erfolgen soll, weil man sich weder politisch links noch rechts einsortieren möchte. Das ist das Dilemma der Piratenpartei, aus dem man wohl nur schwerlich auf basisdemokratischen Weg herauskommt.

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