Daß der europäische Gerichtshof für Menschenrechte gegen Kreuze in italienischen Schulen entschieden hat, ist bekannt. Die unvermeidbaren Reaktionen folgten, gerne von Bischöfen. Der einhellige Tenor: So nicht. Vorhersehbar, aber kurzsichtig.
Die Argumente gegen das Urteil: Das Kreuz sei kulturelles Symbol, der christliche Glaube Wertfundament Europas, die Entscheidung sei undemokratisch, ein Ausdruck falschen Verständnisses von Religionsfreiheit. Keines dieser Argumente kann überzeugen; ein bloßes Rückzugsgefecht gegen die Welt – und ein intellektuelles Armutszeugnis unserer Bischöfe.
Besonders bizarr ist das Argument, das Kreuz sei ja in erster Linie ein kulturelles Symbol für Europas Werte – gegen diesen Verschleiß des Symbols (so die NZZ in einem sehr lesenswerten Kommentar) müßten sich die Bischöfe wehren: Eine Vereinnahmung des Christentums durch den Staat, der die Deutehoheit über religiöse Symbole an sich reißen möchte. Der Passauer Bischof Schraml, zitiert nach katholisch.de:
[Das Kreuz] veranschauliche Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi, sei damit Zeichen der Hoffnung auf das Reich Gottes und das ewige Leben. Es verletze keine religiösen Gefühle. Christen müssten das Kreuz zeigen dürfen. Das Symbol des christlichen Glaubens stehe auch für Toleranz. Wer das Kreuz verbiete, verleugne auch die Wurzeln des Christentums und damit die Wurzeln des christlichen Europas.
So viele Fehlschlüsse auf so wenigen Zeilen: Zunächst wird das Kreuz eindeutig als religiöses Zeichen bestimmt, der Hohe Herr verfügt darauf, daß es keine religiösen Gefühle verletze (was natürlich nicht stimmt, wie Klagen zeigen; die Frage ist, ob die Verletzung zu erdulden ist oder nicht); schließlich zeigen hier nicht Christen das Kreuz (und sie dürfen es auch weiterhin), sondern staatliche Schulen zeigen das Kreuz. Die Behauptung, daß aus einem Verbot des Kreuzes (was schon sachlich unsinnig ist, da natürlich das Kreuz nicht verboten wurde) die Wurzeln des christlichen Europas verleugnet würden und damit natürlich »vom Geist Europas nur noch ein undefinierbares Vakuum übrig[bleibt], das mit jeder beliebigen Ideologie aufgefüllt werden« kann (so Bischof Mixa) ist eine Form von genetic fallacy: Ein Fehlschluß, der davon ausgeht, daß nur, weil die Menschenrechtsidee in einer (oder gar gegen eine?) christlichen Kultur entstanden ist, Menschenrechte nur christlich begründet werden könnten.
Hier ist ein Ansatzpunkt für eine theologische Kritik der bischöflichen Kritik: Aus der immer wieder wiederholten Behauptung, daß nur eine homogen christliche Kultur und der ständige Verweis auf diese Kultur eine öffentliche Moral verbürgen können, spricht von einer Geringachtung des Naturrechts: Wenn es schon zum Verfall der Kultur und der Menschlichkeit kommt, weil Kreuze in den Schulen abgehängt werden (und sei es nur als Symptom), so kann es mit der naturrechtlichen Einsichtigkeit moralischer Strukturen so weit nicht her sein. (In diesem Geist habe ich vor kurzem Meisners Allerheiligenpredigt kritisiert; das Argument wird weiter ausgeführt in meinen Anmerkungen zu Kolakowski, der behauptet, daß Menschenwürde »wissenschaftlich« gesehen nur Aberglaube sei.)
Daß auch die Trennung von Kirche und Staat eine Errungenschaft einer christlich geprägten Kultur ist, wird ausgeblendet. Daß die Kirche, daß Christen davon profitieren, daß sie nicht staatlich religiös vereinnahmt werden, hat man seit Konstantin vergessen im warmen Schoß des christlichen Staats. Das Argument wird weitergedreht: Das Fehlen der Kreuze in der Schule sei schon eine religiöse Vereinnahmung. Die weltanschauliche Neutralität des Staats wird nur selektiv zugestanden: Wenn der Staat nicht in kirchliche Organisation hineinregieren soll, wird sie hochgehalten.
Den bischöflichen Verlautbarungen liegt ein seltsames Verständnis von Religionsfreiheit zugrunde:
Religionsfreiheit bedeute nicht »Frei-sein von Religion«, kritisierte der Bischof [Schraml] das Urteil. Unter dem Deckmantel der Neutralität würden damit auch christliche Werte in Frage gestellt.
Ein Strohmann-Argument: Der Popanz eines verordneten Rechts auf völliges Unbehelligtwerden durch Religion wird aufgebaut; als ob Kirchtürme und Minarette, Kippas und Ordenstrachten verhüllt werden müßten. Die österreichische Bischofskonferenz sieht gar einen totalitären Staat am Horizont (via Gaywest):
In letzter Konsequenz führt diese einseitige Sicht des Gerichtshofes dazu, dass die individuelle Religionsfreiheit einzelner Personen das Recht auf kollektive, individuelle Religionsübung aushöhlt, was bislang nur in religionsfeindlichen totalitären politischen Systemen vorgekommen ist.
Auch das ist natürlich eine alarmistische, unseriöse Deutung. Kreuze in der Schule sind staatlich verordnet und keine »kollektive Religionsübung«, kein persönlicher Ausdruck von Glauben. Wenn allgemeine Schulpflicht herrscht, muß vom Staat erwartet werden, daß er weltanschaulich neutral bleibt. (Übrigens auch das gut katholisch: Das Konzilsdokument Gravissimum Educationis bekräftigt noch einmal die alte Lehre, daß die sittliche und religiöse Erziehung den Eltern zukommt, und nicht etwa der Schule oder gar dem Staat.) Nach meinem Bischof heißt Religionsfreiheit gar »allen Religionen die freie Ausübung zu garantieren« – was natürlich stimmt; nur paßt dieser Aspekt nicht auf das Problem. Oder soll etwa jedes Kind seine weltanschauliche Dekoration im Klassenzimmer verlangen können? Soll gar jede Religion definieren dürfen, wie sie die Klassenzimmer gerne dekoriert hätte?
Darum geht es natürlich nicht. Demokratie heißt (zumindest, wenn es nach Walter Kasper und Ratzinger geht):
Es könne nicht angehen, dass sich die Mehrheit nach einer Minderheit richten müsse, sagte der Präsident des Rates für die Einheit der Christen [Kasper] im Interview der Tageszeitung »Corriere della Sera« […].
Minderheitenschutz scheint nicht zu Kaspers Demokratie zu gehören, ebensowenig wie ein Bewußtsein der Tragweite dieser Behauptung: Würde die Kirche wirklich das glauben, könnte sie kaum fordern, daß ihre Sexualmoral auch durch Gesetze durchgesetzt wird. (Was die österreichischen Bischöfe mit gleicher Pressekonferenz tun.) Mixa jedenfalls fordert die politisch Verantwortlichen auf, »das Urteil schlichtweg zu ignorieren«. (Vermutlich wird man in der FAZ keinen Kommentar von G.H. finden, der in dieser Äußerung so kritisiert, wie er Mützen als Rechtsbeugung bei muslimischen Lehrerinnen kritisiert hat.) Es geht den Bischöfen ja auch nicht um Demokratie: Es geht darum, die Deutungshoheit zu behalten.
Das Bild, das die Bischöfe hier abgeben, ist traurig: Sie führen Rückzugsgefechte gegen eine zunehmend wenn nicht säkulare, so doch entkirchlichte Gesellschaft. Der säkulare Staat wird als Gefahr, nicht als Chance gesehen: Die bischöflichen Äußerungen drücken alle eine Sehnsucht nach einer warmen, einheitlich christlichen Gesellschaft aus, nach einer umfassenden Volkskirchlichkeit. Alles, was davon abweicht, ist zu kritisieren. Dabei eröffnet gerade eine säkulare Gesellschaft neue Wege fürs Christentum: Glauben ist dann wirklich eine freie Entscheidung und nicht nur kulturelles Erbe, das man aus Gewohnheit mitschleift.
Kreuze in der Schule bringen überhaupt nichts. (Ebensowenig wie ein anachronistisches Festhalten an staatlichen Bekenntnisschulen.) Kreuze in der Schule sind ganz profan Ärgernis – und kein Ärgernis, das zu einem vertieften Nachdenken und einem Zugang zum Christentum führt (wie Navid Kermani es in seiner brillaten Betrachtung von Renis Kreuzigung erfahren hat) – sondern ein Ärgernis, das nicht durch die Ungeheuerlichkeit der Menschwerdung Gottes erregt wird, sondern durch die Verbohrtheit der Bischöfe, die ihre schwindenden Privilegien verteidigen wollen.
Hallo Felix,
sehr gutes Posting. Ich hab gerade gestern einen kurzen Kommentar in “Christ in der Gegenwart” zu dem Thema gelesen, in dem der Autor auf einen weiteren Aspekt der falschen bischöflichen Kritik hinweist.
Indem die Bischöfe das Kreuz “als kulturelles Symbol des christlichen Europa” bezeichnen, nehmen sie diesem dessen viel tiefere theologische Bedeutung als christliches Symbol der Leiden Christi.
Letztlich sehe ich in der harschen Kritik vieler Bischöfe vor allem aber ein weiteres Zeichen, dass sich die Kirche einseitig auf manche politische Entscheidungen stürzt und bei diesen ganz massiven Druck ausübt. (z.B. derzeit in den USA beim Thema Abtreibung als Teil der Krankenversicherung: http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2009/11/11/AR2009111103718.html )
Während sie zu anderen Fragen weitgehend schweigen. Wenn sich ein Kardinal Meisner oder ein Bischof Mixa mal mit ebenso hoher Begeisterung für Umweltschutz oder Familien am Rande des sozialen Abgrunds einsetzen würden, wie für Kreuze in den Schulen oder gegen das Elterngeld, wäre für die Kirche viel gewonnen.